Ich hab aufgehört zu rauchen. Ich hab aufgehört zu saufen. Ich mache nun regelmäßig Sport. Ich achte mehr auf mein Gewicht. Ich fühle mich körperlich fit. Ich esse gesund. Ich dünste mein Gemüse anstatt es tot zu kochen. Ich habe das Gefühl, das irgendwas falsch läuft. Ich wäre gerne ein Kommunist. So ein romantischer Kommunist, mit einem Hanf Hang zum morbiden. Aber dann muss man ja rauchen, das geht ja wieder nicht. Ich denke mir: "Das ist alles gut, das ist viel gesünder so, das ist alles richtig." Und manchmal denke ich, dass ich genau das Gegenteil von dem machen sollte, was ich gerade tue. Ich würde gerne rauchen, allein aus dem Gedanken, dass ich mir unwahrscheinlich gerne selbst widerspreche. Mehr trinken, mehr rauchen. Aber das macht einen total unglaubwürdig. Und Glaubwürdigkeit ist ja the new web 2.0 Ding. Ich würde gerne zwischen diesen beiden Polen aufgerieben werden. Immer wieder schwach werden. Das merkwürdige: der Gedanke daran, aufgerieben zu werden, immer wieder schwach zu werden, ist manchmal gar nicht so unangenehm. "Aufgerieben" sein, dass bedeutet auch, ausgequetscht sein, also das letzte aus sich heraus geholt zu haben. Aber: ich hole nicht das letzte aus mir raus. Ich laufe eher davor weg und ziehe mich zurück in Lethargie. Manchmal denke ich, dass ich nicht brutal genug bin, manchmal denke ich, dass es gut ist, mehr Abstand zu haben. Manchmal denke ich mir, der einzige Weg die Zweifel an meinem Selbst begraben zu können, der ist, völlig rücksichtslos zu sein, aber ich kann ja leider nicht mal einer Fliege etwas zu leide tun. Und ich hab ein rheinisch-katholisches Gewissen. Nur Rheinische Katholiken wissen, was das heißt. Was auch wieder eine Ausflucht ist. Ich werde demnächst 40, aber die Mitte, das Ding zwischen den Wünschen und dem was machbar ist, habe ich bis heute nicht gefunden.
Denn: Man soll perfekt sein. Man soll sich vor allem perfekt immer allen Situationen anpassen. Man soll flexibel sein. Man soll auch mal einen Punkt machen können. Man soll konzentriert sein. Man soll einem Weg folgen. Man soll offen sein. Man soll seinen inneren Garten pflegen. Man soll kommunikativ sein. Man soll sich nicht verstecken. Man soll seine Gefühle zeigen können. Man soll alle Gefühle zeigen können. Man soll sich nichts anmerken lassen. Man soll Dummheit ertragen. Man soll zuhören. Man soll verstehen. Man soll sich fügen. Man soll gebildet sein. Man soll das Sein vom Schein unterscheiden könne. Man soll nicht so verschlossen sein. Man soll sich aufbrechen lassen. Man soll normal kommunizieren können. Man soll immer ein Auge auf den anderen haben, aber kein Auge auf andere Frauen. Man soll die Kommunikationswege beherrschen. Man soll eine Wand ohne Einschusslöcher sein. Man soll keine Angst haben. Man soll nicht zu viel verstehen. Man soll die Hoffnung in warme Tücher wickeln. Man soll das Brot gemeinsam brechen. Man soll wissen was man tut. Man soll das Strahlen vergessen, weil nur das Reden zählt. Man soll den Raum zwischen den Wörtern vergessen, weil ihn keiner liest.
Mittlerweile ertappe ich bei dem Gedanken: Der Appetit bleibt, die Fähigkeit verschwindet. Weil man irgendwie immer 20 ist, auch wenn man es längst nicht mehr ist. Und ich bin hin und her gerissen zwischen dem Gedanken, das es einerseits deutlich zu früh für solche Gedanken, andererseits aber auch gesünder ist, sich davon zu verabschieden, immer noch 20 zu sein.
Nachtrag Mir ging es beim Text darum festzustellen, wo man eigentlich steht und wie schwer das manchmal ist, eine eigene Position zu finden. Ich meine freiwillig, ohne das einem eine Position von außen durch wirtschaftliche Zwänge etc. aufgezwungen wird. Früher habe ich immer gedacht, dass die Position, die man im Leben einnehmen wird, schon ganz von alleine kommen wird. Das man sicher wird, in sich ruht, weil man den für sich besten Weg gefunden hat, aber das scheint nicht so leicht zu funktionieren. Immerhin: in der Liebe hat das geklappt, also muss ich vielleicht einfach noch was warten und der Rest folgt dann auch.