Donnerstag, 16. November 2006

"Huhu, haben Sie am Wochenende nicht Lust die Abschlussveranstaltung der "Bobs" zu moderieren?" "Warum nicht," dachte ich mir, denn nicht nur die Deutsche Welle, sondern mit ihr hatte auch die Frau Kaltmamsell gerufen, die in diesem Jahr in der Jury saß, wie man hier lesen kann. Ich kannte die "Bobs" bisher nicht so wirklich. "Ein Internetpreis für Blogs, aha, jaja, soso, interessant, was läuft denn im Fernsehen?" waren so die Gedanken, die ich damit verbunden habe. Das sollte sich in den nächsten Tagen deutlich ändern. Dummerweise erwischte mich dann schon ab Donnerstagabend der böse Magen-Darm Virus, was die Sache nicht leichter machte. Aber bei der Jurysitzung war ich teilweise dann doch dabei und für die Verleihung konnte ich mich einigermaßen so aufpäppeln, dass ich halbwegs gesund aussah. Viel hab ich also leider nicht mitbekommen und was mich noch viel ärgert - ich hatte kaum Zeit mit den meisten Jurymitgliedern zu reden. Ich hätte wirklich gerne noch mit Gilles Klein gesprochen. Ebenso mit Michael Anti, dessen Blog vor Jahresfrist in von Microsoft auf Wunsch der chinesischen Regierung geschlossen wurde. Ebenso mit Sonia Francine, eine sehr faszinierende Frau, die mal VJ und Programmdirektor bei MTV war, eine Fußballkommentatorin und Fernsehstar ist und im Stadtparlament von Sao Paulo sitzt. Oder mit dem streitbaren Hossein Derakhshan, der wohl den halben Iran zum bloggen gebracht hat. Für mich hat sich aber durch die wenigen Stunden viel geändert und es wurde ein gedanklicher Prozess angeschoben, der wohl noch eine lange Zeit brauchen wird, aber den ich mal rudimentär skizzieren will.

Es gibt immer wieder die Klage, dass sich in Deutschland keine vernünftige Blogszene etablieren will. Und das die wenigen Blogs die es gibt, entweder im Rauschen der anderen Medien untergehen, oder unverschämterweise nicht mal dann zitiert werden, wenn sie wie im Fall "StudiVZ" seit Wochen recherchieren und dann ihre Ergebnisse in einem lahmen Artikel bei "Sponline" wiederfinden. Die Blogszenen in allen (wirklich allen) bei den "Bobs" vertretenen Ländern ist da deutlich weiter. Selbst in den Niederlanden ist die Verschränkung zwischen den klassischen Medien und Blogs kein Problem, sondern etwas völlig normales. In Frankreich erst recht. In den USA sowieso. Da auch die deutschen Verlage ja international unterwegs sind, wundere ich mich schon, dass man hier weiterhin versucht, mit eigenen Bordmitteln etwas auf die Beine zu stellen, statt sich mal mit den führenden Mitgliedern der Blogszene zusammen zu setzen. Aber der Grund, warum die Blogs in Deutschland so rumkrebsen mag auch noch ein anderer sein.

Mir war es schon vorher bewußt, aber nicht so klar wie durch die Stunden in der Jurysitzung: Blogs sind in den meisten Ländern, nicht nur in China oder Iran, ein probates und viel gelesenes Mittel zur politischen Meinungsäußerung. Waren Internet und Blogs vor ein paar Jahren noch vernachlässigenswert aus Sicht einer angegriffenen Regierung, sieht das heute anders aus. Gilles Klein berichtete, dass man sogar in Afrika, wo so gut wie niemand Internet hat, damit beginnt, Blogs zu zensieren, aus Angst, dass zuviel ungewünschte Informationen auffindbar ist. Und es geht weiter: da schreiben Menschen, die auf Grund dessen, was sie im Internet schreiben, ernsthaft in Gefahr sind. Die ins Gefängnis gestopft werden, die misshandelt werden, die mit dem Tod bedroht werden. Wegen eines Blogeintrages.

Fast alle Länder hatten also Blogs vorgeschlagen, die meist zutiefst politisch motiviert waren, oder deren Betreiber auf Grund persönlicher Lebensumstände gezwungen waren, sich mit der jeweiligen Politik auseinander zu setzen. Doch solche findet man in Deutschland - bisher - eher selten. Warum das so ist? Darüber rätsel’ ich nicht erst seit dem letzten Wochenende. Es kann nicht an einem massiven Desinteresse der Menschen an der Politik liegen. Vielleicht ist es eher so, dass die meisten das Internet nicht als Informationsmedium, sondern als Unterhaltungsprogramm sehen. Wer in Deutschland ins Internet geht, der will Freunde treffen, ein paar witzige Videos sehen und das war es.

Aber mag es auch daran liegen, dass der persönliche Leidensdruck des einzelnen in Deutschland nicht so hoch ist? Vielleicht, aber ist er das in Frankreich? Fühlt sich der Franzose mehr von seiner Regierung unter Druck gesetzt, hat er mehr Angst um seine Rechte, als der Deutsche? Ich bin kein Soziologe, aber ich glaube es liegt wohl eher daran, dass die Franzosen sich mit etwas mehr Selbstbewusstsein in die Politik einmischen und sich ungern "regieren" lassen. Das selbst die Blogszene in Italien (leider, leider nicht vertreten bei den "Bobs") größer und vor allem politischer ist, als in Deutschland, hat sie wohl den Regierungsjahren von Berlusconi zu verdanken. Also jener Zeit, in der man nur im Internet schreiben konnte, was man von der Politik der Regierung hält. Aber hier war ein Antrieb zu finden, den die Franzosen auch nicht hatten. Warum unterscheiden sich die Szenen in Frankreich und Deutschland also so sehr?

Ich bin mir seit dem letzten Wochenende sicher - die deutsche Blogszene wird erst dann aus dem Loch in dem sie steckt herauskommen, wenn sie ein paar Punkte verinnerlicht:

  1. Politik ist etwas, was nicht auf Strasse und in Hinterzimmern stattfindet, sondern in den Wohnungen und Köpfen derjenigen, die sich dafür interessieren.
  2. Hartz IV, Prekariat, Überwachung, Wahlmaschinen, Steuern, Bürgergeld, Roland Koch, Kontoüberwachung. Wieviel Themen braucht man eigentlich noch?
  3. Sabine Christiansen ist keine politische Talkshow
  4. Der klassische Journalismus, der mal vor 50 Jahren sich selbst als "Wachhund der Demokratie gefeiert hat" hat sich längst am Finger-Food Büffet der Politiker und Lobbys vollgefressen. Der Journalismus dieser Tage ist nicht dazu in der Lage dass System zu überwachen, er ist Teil des Systems geworden.

Das es Deutschland durchaus ein Bewusstsein dafür gibt, dass Blogs ein Medium darstellen, das viel verändern kann, zeigt die "Deutsche Welle". Es war nicht ein US Sender, oder ein Verlag aus Frankreich, der die grandiose Idee hatte, einmal im Jahr ein paar Blogs auszeichnen, sondern die "Deutsche Welle." Man muss dem Sender ein wirklich großes Kompliment aussprechen. Nicht nur, weil sie mit ihrem Preis auch die internationale Blogszene tiefer vernetzten. Sie haben es wirklich geschafft aus den Teilnehmerländern nicht einfach irgendjemanden in die Jury zu setzen, sondern Menschen, die sich extrem gut in der jeweiligen Szene auskennen. Ich kann wirklich nur jedem empfehlen im nächsten Jahr zu der hoffentlich wieder öffentlichen Verleihung der Blogpreise zu kommen.

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