Wolfsburg

Der ICE Bahnhof Wolfsburg, ist exakt gegenüber des VW Konzernes. Warum auch nicht, denn wo sollte man in Wolfsburg auch sonst hinwollen. Es gibt dort einfach nichts. Außer VW. Die Stadt verfügt noch nicht mal über einen zentralen Marktplatz. Nichts. Als Stadtmitte wird das Hallenbad definiert, der Marktplatz liegt nahe einer Umgehungsstrasse. Davon gibt es in Wolfsburg reichlich. Wenn man böse ist, dann könnte man sagen, dass Wolfsburg entlang einer Strasse gebaut worden ist, und sich von ihr ausgehend langsam in die umliegenden Felder ausgebreitet hat. Das wäre dann die nach dem legendären VW Chef benannte Heinrich-Nordhoff-Strasse, in deren Nähe auch die Heinrich-Nordhoff-Gesamtschule liegt. Und je mehr man sich die Stadt anschaut, desto mehr stellt man fest, dass Wolfsburg eben nur zu einem Zweck gebaut wurde: Das VW Werk optisch ein zu rahmen. Seit dem 25.05.1945 heißt der Flecken Erde überhaupt erst Wolfsburg, wenig Zeit also, eine Stadtgeschichte zu erlangen. Und so sieht dann auch die Stadt aus. Mehrfamilien und Reihenhäuser, funktionale Bürogebäude, die nötigsten Einkaufsmöglichkeiten. Es riecht sehr nach einem bürokratischen Flächennutzungsplan. Provinz eben. Aber es hätte auch schlimmer kommen können. Ein Großteil der Stadt wurde in den 50er und 60er Jahren hochgezogen, also zu jeder Zeit, als die vertikalen Phantasien von Architekten sich in sogenannten "urbanen Siedlungen" verstiegen. Als es Pappmodelle gab, die weiße Hochhäuser zwischen ein wenig Moos aus Radiergummikrümmeln zeigten, in deren Schatten einsame Spaziergänger ihr Dasein fristeten. Wohnraum ist knapp, dachte man damals und pflanzte die Siedlungen an den Rand fast jeder größeren Stadt.

Dererlei Unfug hat man in Wolfsburg, zumindest in der Innenstadt vermieden. Man baute kein urbanes Zentrum, sondern ließ die Stadt vor sich hin mäandern, allein gruppiert um eine sogenannte "Koller-Achse", eine gedachte Linie zwischen einem alten Schloss, weit außerhalb von Wolfsburg und der Einkaufsstrasse der Stadt. Diese Linie ist sowas wie das langgestreckte Zentrum, eine Nadel, die das Herz markieren soll. Die Menschen haben sich entweder daran gewöhnt, weil sie schon in zweiter oder dritter Generation bei VW arbeiten, oder sie sind orientierungslos, weil ihnen die bekannten Koordinaten einer Stadt fehlen. Aber was soll auch ein Zentrum, wenn VW das Zentrum des Lebens ist. Dort arbeitet man nicht mehr nur. VW hatte schon immer die durchaus angenehme Firmenphilosophie, dass man sich um seine Angestellten kümmern muss. Und das macht der Konzern auch heute noch auf vielen Ebenen. Neben den üblichen Vergünstigungen für Angestellte, Rentenprogrammen und eignen Umschulungsmöglichkeiten, versucht der Konzern auch das soziale und gesellschaftliche Umfeld der Stadt seit etlichen Jahren zu prägen. Das neue Wellenbad: ein Produkt der Wolfsburg AG, eine Firmenkonstrukt der Stadt Wolfsburg und VW. Dasselbe gilt für das Theater, und gerade sich in Bau befindliche PHAENO – Science Center Wolfsburg, eine Haus, in dem Technik und Naturwissenschaften einem breiten Publikum vorgeführt werden sollen. Das der Name des Centers an den neuen VW Phaeton erinnert, ist sicher kein Zufall.

Und dann gibt es da auch noch die Autostadt, jener Themenpark, mit dem sich der Aufsichtsratvorsitzende Ferdinand Piech ein Denkmal gesetzt hat. Schon 5 Millionen Menschen pilgerten in den Fetisch-Park, täglich holen rund 500 Kunden "ihren" neuen VW dort ab. Immerhin 38 € kostet der Eintritt für eine Familie mit 3 Kindern, und geboten wird eine thematische Auseinandersetzung mit Begriffen wie Sicherheit und Soziale Kompetenz, aber auch eine Menge rund um die Modellpalette von VW. Für die Wolfsburger ist die Autostadt auch Abend geöffnet, und offenbar machen sie regen Gebrauch von all den Restaurants und Bars, die es auf dem Gelände gibt. Die Bindung, die VW vor allem zu den Wolfsburgern aufbauen möchte, wird sich in nächster Zeit noch verstärken, wenn das neue Stadium des Bundesligavereins fertiggestellt ist. Es liegt genau neben den großzügigen Pavillons der Autostadt.

Es wird also ein Zentrum gebaut, in dessen Mitte, der monolithische Block aus Backstein von VW liegt. Die Menschen sollen tagsüber bei VW arbeiten, und Abends nur schnell um die Ecke gehen können, um bei "Möwenpick" ein Abendessen mit Blick auf das fast dämonisch wirkende Heizkraftwerk von VW ein nehmen zu können. Und all das so schön und architektonisch wertvoll sein, das Besucher aus aller Welt nach Wolfsburg strömen und man das Etikett "Provinz" endlich abkratzen kann. Das zumindest die Idee des neuen Zentrums bei den Einheimischen funktioniert, bemerkten die VW Verantwortlichen zu ihrer eigenen Überraschung am 11.09.2001, als das WTC in New York zusammenbrach. Da man nicht wußte, wo man in seiner Not und seinem Bedürfnis mit anderen zu reden und Kerzen an zu zünden, hin gehen sollte, versammelten sich die Wolfsburger Bürger kurzerhand im Empfangspavillon der Autostadt. VW ist das Herz der Stadt. Es würde Wolfsburg ohne VW nicht mal geben. Nur konsequent, wenn der Konzern seine zentrale Rolle auch im Stadtbild sehen will. Nur am Bahnhof, an dem müssen sie noch arbeiten. Bieder wirkt er, trist, ein flacher Bau, irgendwann in den 50ern lieblos gebaut. Schmutzig, stinkend. Ein Bahnhof der gar nicht so recht zu einem ICE Haltepunkt passen will. Damit ist man bei VW insbesondere bei der Autostadt, mit ihren durchgestylten Fassaden, der organisierten Mobilitäts-Pädagogik in der von namhaften Künstler geschaffenen Atmosphäre, gar nicht zufrieden. Da wird der Kunde mir teuren Prospekten nach Wolfsburg gelockt und dann steht er da in diesem 50er Jahre Muff, und atmet erstmal den Schweiß von Tausenden von VW Pendlern. Aber auch das Problem soll demnächst behoben werden, und die Erinnerungen an die Provinz werden vollends abgerissen. Und das nicht nur weil der Bahnhof wirklich hässlich ist, sondern, weil die Assoziationskette VW=Wolfsburg=Provinz ungern gesehen wird. Besonders bei VW, die ihren Anspruch, der größte Autoherstellen Europas zu sein, auch sichtbar machen möchten.

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Selbstversuch

Ich hab jetzt 24 Stunden fast "Rund-Um-Die-Uhr" 9/11 Retrospektiven und Berichterstattung hinter mir. Ich habe das WTC mindestens 300mal in sich zusammenstürzen sehen. Und ich habe mir in den letzten 24 Stunden Bilder des ehemaligen WTC runtergeladen. (Nebenbei erwähnt: ich war eigentlich auf der Suche nach Bildern aus dem beiden Türmen kurz nach ihrer Fertigstellung zwischen 1972 und 1973. Aber nix zu finden. Wenn jemand sowas hat oder einen Link weiß...)

Wie dem auch sei, 24 Stunden haben ihre Spuren hinterlassen. Vor allem dank des ZDF. Die fingen gestern mit der zunächst recht guten, dann aber sich ins schreckliche wendende Doku von HBO an, nervten heute mit einem unglaublich sabbernden Stefan Seibert weiter, der sogar in der Schweigeminute, die Schweigeminute erklärte, und fanden einen krönenden Abschluss in der Kerner Show, der tatsächlich einen deutschen Feuerwehr Pfarrer eingeladen hatte.

Wirklich sehenswert waren: Der Film von Gédéon und Jules Nadet in der ARD, die Doku "Ground Zero" in den Dritten und die nur aus irgendwelchen Agentur und Privatbildern chronologisch zusammengeschnittene Doku auf XXP. Die einzige Doku, die a) auf Kommentare und Übersetzungen verzichtete und zwischendurch immer wieder die Menschen befragte, die selber nur Beobachter waren. Da wurde einem zumindest für den Moment klar, was da genau die Seele der Amerikaner durch geschüttelt hat.

Jetzt bin ich müde und werde bestimmt vom WTC träumen. Oder von Steffen Seibert. Weiß auch nicht, was schlimmer ist.

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Mein innerer Twin Tower Salat 2

Ich lag an diesem Tag also im Krankenhaus. Man hatte mich gerade von der Intensivstation mit allem Pipapo auf die Kardiologische Intensivstation geschoben worden. Mir war elend. Dauernd wuselten Ärzte um mich rum, ich verstand nur die Hälfte von dem was sie sagten, aber er reichte, dass ich Angst hatte, weil ich einfach nicht wußte, ob mein Herz denn nun gleich noch weiter schlagen würde oder nicht. Ich befand mich in einem merkwürdigen Zustand der Angst, der Bedrohung, des Nicht-Wissens. Das beste was mir an diesem Tag passierte, war meine damalige Freundin und die Nachricht, dass meine Eltern auf dem Weg nach Hamburg waren.

Ich sollte kurz nach Mittag eine Herzkatheter Untersuchung bekommen, wußte nicht, was das bedeutet, auch wenn man mir versicherte, dies sei alles ungefährlich (warum muss ich dann einen Wisch unterschreiben, dass ich um eventuelle Komplikationen wüßte?).

Gegen halb drei lag ich im Untersuchungsraum. Es dauerte etwas, bis er die Vorbereitungen abgeschlossen hatte. Ich konnte auf einem Monitor sehen was geschah und ich schwöre bei allem was mit heilig ist: Als der Arzt den Katheter in meine Arterie reinschob, zeigte die Uhr auf dem Monitor 14:46 Uhr.

Als ich da raus kam, nach ungefähr einer Stunde, waren meine Eltern da, die sorgenvoll auf mich nieder blickten. Gleichzeitig schnappte ich schon die Worte "World Trade Center", "USA", "Bomben", "Flugzeug" auf. Die Freude, meine Eltern zu sehen überlagerte erst mal alles andere. Dann wurde ich in mein Zimmer zurück geschoben und hörte wie sich zwei Schwestern unterhielten. Die eine sagte "Ja, das WTV brennt. Beide Hochhäuser. Und das Pentagon, und Capitol und das Weiße Haus soll auch brennen. Die greifen die USA an!".

Das beunruhigte mich dann schon was, und ich schickte meinen Vater zu einem Fernseher (mein Zimmer hatte keinen) während ich mit meiner Mutter redete. Mein Vater tauchte nach kurzer Zeit mit bleichem Gesicht wieder auf, und schickte meine Mutter zu dem TV Gerät. Er erklärte mir, dass ein Turm eingestüzt sei.

Ich war wahrscheinlich der einer wenigen Journalisten an dem Tag, der keinen Fernseher hatte. Am Abend des 11.9. hörte ich Radio. Es gab nur zwei Sender: NDR2, die hatten EINEN Reporter in NY, der alle fünf Minuten dasselbe sagte, und NDR Klassik. De spielten Brahms und sagten gar nichts.

Die ersten Bilder sah ich dann man nächsten Tag. Meine Eltern hatten diverse Zeitungen mitgebracht, und die Zeitung, in dem Moment für jemanden, der noch nichts gesehen hatte, das was geschehen war am Besten eingefangen hatte, war die Bild Zeitung, die auf sechs oder acht Sonderseiten nur Fotos. Ich beglückwünschte mich zu meiner Entscheidung gerade JETZT im Krankenhaus zu liegen, wendete mich aber erstmal wieder meiner Lage zu.

Die ersten bewegten Bilder habe ich am folgenden Wochenende gesehen. Und da dachte ich in meinem journalistischen Hirn: Toll,. wegen eines Kreislaufkollapses verpasst Du die Nachricht des Jahres.

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Mein innerer Twin Tower Salat

Es ist nun genau ein Jahr her, da bin ich umgefallen. Ziemlich genau 24 Stunden, bevor in New York der Terroranschlag geschah. Ich fiel einfach um. Und das passierte dann:

Montag, die übliche Büroroutine. Kollegen begrüßen, das nette Wochenende noch im Kopf und auch im Körper, denn Schlaf gab es wenig. Was macht man da um wach zu werden? Man trinkt einen Kaffee und eine besonders nette und liebe Kollegin zerrte mich in die Küche. Wir standen dort, ich zündete mir eine Zigarette an, trank meinen Kaffee und kultivierte meinen leichten Schädel.

Während ich über mein Wochenende berichtete, merkte ich, wie mir langsam schwummrig wurde. Der Kreislauf sackte ab. Nichts ungewöhnliches, man kennt das als Raucher, die erste Zigarette am Morgen zieht einen immer etwas runter. Doch etwas war anders. Es geschah so plötzlich und es hörte nicht mehr auf. Plötzlich konnte ich das Gleichgewicht nicht mehr halten. Ich stolperte und fiel halb auf meine Kollegin, die scherzhaft lachte. Ich jedoch bemerkte, das etwas ganz und gar nicht stimmte. Doch bevor ich auch noch irgendetwas sagen konnte sackte ich einfach zusammen. Bewußt war mir das alles wohl, doch machen konnte ich dagegen nichts.

Also schleppte man mich gegenüber in Büro. Man legte mich hin, die Beine schön nach oben. Gut - dachte ich - das wird sich gleich wieder legen. Man telefonierte sicherheitshalber einen Arzt herbei. Zwei Dinge gingen mir da durch den Kopf. Einerseits fühlte ich mich leicht besser, andereseits erschreckte mich der Gedanke, das ein Arzt wirklich von Nöten sei. Und je länger ich dort lag, die besorgten Gesichter meiner Kollegen um mich herum, desto merkwürdiger wurde mir.

Es kamen Sanitäter. Zwei Menschen, deren Gesichter Vertrauen einflößten. Ich fühlte mich zunehmend hilflos. Mein Hemd wurde mir ausgezogen, mir wurden Elektronen angelegt. Alles sei gut, versichterte man mir. Doch gar nichts war gut. Ich fühlte mich zunehmend verwirrt. Hatte wilde Schmerzen in der Brust und die Angst klammerte sich zusehend an mich. Die ganze Zeit klammerte ich mích mit einer Hand an meine Kollegin, die besorgt schien. Und dann brach es plötzlich los. Wie aus heiterem Himmel überfiel mich Panik, mein Herz raste, die Luft wurde knapp. Der eine Sanitäter stammelte was von Blutdruck über 200 und der andere schaute verwirrte auf das laufende EKG. Während dessen hatte ich das Gefühl, das es nun gleich vorbei ist. Ich fühlte mich nicht mehr in dem Raum. Mein Geist war nahe dran einfach meinen Körper zu verlassen. Er wollte einfach raus aus dem sich windenden Bündel da auf dem Boden. Am besten gleich aus Fenster raus, in die Luft, das Licht. Aber ich wollte das nicht. Mein Bewußtsein, oder das was noch davon da war, wollte es nicht. Ich klammerte mich an die Hand, die ich hielt. Griff noch eine weitere. Wehrte mich so gut ich kann gegen alles, was da auf mich einstürzte. So will ich nicht sterben, dachte ich. Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht. Und die Schmerzen wurden größer und der Geist hing auf einer Klippe.

"Kammerflimmern" höre ich den Sanitäter sagen, Scheiße, dachte ich. So transportieren wir den nicht, das ist viel zu riskant, sagt der andere Sanitäter. Also wurde ein Notarzt per Funk gerufen. Und während ich da lag geschah es erneut. Wieder wollte etwas aus mir raus, wieder wollte hatte ich das Gefühl etwas quält sich aus meinem Körper heraus. Wie ne Geburt eigentlich, dachte ich. Doch das war mir zu positiv, zu nah an dem, was ich nicht wollte. Also klammerte ich mich weiter an die Hände die ich greifen konnte. Wurde beruhigt, während Menschen sehr sorgenvoll auf mich nieder blickten und von den Sanitätern aus dem Raum geschickt wurden.

Dann kam die Ärztin, mitten in einem weiteren Kampf den ich austrug und das erste was sie machte war mich per Spritze in eine Art Narkose zu setzen. Ich weiß nicht mehr was dann geschah.

Aufgewacht bin ich im Krankenhaus. Völlig neben mir, aber lebend, was mich ein wenig überraschte. Dann kamen Ärzte, maßen dies und das, und dann war meine (damalige) Freudin da, welche informiert worden war, weil sie die einzige war, von der man eine Nummer hatte. Ich lag da, narkotisiert. Mir wurden Schläuche in den Arm gestochen, Elektroden angelegt, Ärtze sprachen zu mir, und schauten mich ernst an. Meine Angst wuchs weiter, zumal moderne Intensivstationen nicht zu den schönsten Dingen gehören. Drei Tage lag ich da, wußte nicht was mit mir los war, und ich war mir zum allerstenmal in meinem Leben nicht sicher, was nun geschehen würde, und ich das alles überleben würde. Noch weniger sicher war ich mir, als mir Elektroden ins Herz geschoben wurden, mit denen man selbiges unter Strom setzte. Da begriff ich zum erstenmal, zum wirklich allererstenmal wie knapp das Leben ist. Wie dünn der blöde Faden ist.

Soweit. Es war nichts mit dem Herz. Ich hatte einen Schwächeanfall oder Kreislaufkollaps- nicht ungewöhnlich wenn man überarbeitet, übermüdet und gestresst ist. Aber ein deutlicher Warnschuss. Ich fiel danach in ein riesigen Loch. Es war so unglaublich tief, und ich hatte wochenlang Mühe, da wieder raus zu kommen. Und irgendwann habe ich angefangen mein Leben Stück für Stück zu verändern. Dann einen neuen Job gesucht, dann eine neue Stadt, raus aus dem ungeliebten Hamburg. Und nun lebe ich in Berlin, habe einen wundervollen Menschen kennen gelernt und ich fange endlich wieder an zu leben.

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