Nachts, wenn alles schläft bin ich der Hüter deiner Unschuld Nachts, wenn alles schläft geb ich gut Acht dass dir nichts geschieht Nachts, wenn alles schläft küss ich das Salz aus deinen Wunden Nachts Tief nachts

Megaherz

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Ein ziemlich perfekter Abend

Das erste Mal, dass ich bewußt ein Stück Pferd gegessen habe, war in der Schweiz. Es tat auch nicht besonders weh. Was daran gelegen haben mag, dass ich einfach nicht wußte, was ich da esse. Es war ein Entrecôte. Vom Pferd. Lecker. Was kann ich dafür, dass da sehr, sehr klein "cheval" dahinter steht. Damals waren meine Eltern für Übersetzungen zuständig. Was in diesem Fall eine erste Kerbe im Bereich "Eltern wissen alles" schlug. Aber immerhin hatte es geschmackt.

In Berlin gibt es Regina und Klaus. Die beiden führen eine Eck-Kneipe in Moabit. Und diese Eck-Kneipe sieht halt so aus, wie Eck-Kneipen in Berlin Moabit auszusehen haben. Kräftige Eiche, gehäckelte Tischdecken, Ansichtskarten aus Mallorca, Engelhardt Pilsner im Ausschank, Spiegel mit der Aufschrift "Jim Beam" und "Western Railway". Regina und Klaus sind so um die 60. Nichts genaues weiß man nicht. Sie lassen den ganzen Abend sämtliche "Best of the 60s" CDs laufen, die es jemals gegeben hat. Und so ganz nebenbei macht Regina die verfickt nochmal besten Pferderouladen die es gibt. Gut. Das ist jetzt eine mutige Aussage, wo ich nur einmal vorher Pferd gegessen habe. Also sage ich es mal so: Sie macht die besten Rouladen der ganzen, großen, weiten Welt. Aus Pferden. Das Fleisch ist so mürbe und zart, dass er quasi schon zerfällt, wenn man es nur ansieht. Dazu frischen Rosenkohl, Kartoffeln und selbst gemachter Rotkohl. Also sitzt man in einer typischen Berliner Eck-Kneipe, ißt, trinkt dieses Bier, permanent kommen Regina und Klaus vorbei, fragen ob alles gut ist, legen die Beilagen nach und sind ernsthaft darum bemüht, dass es einem wirklich gut geht. Am Ende kommt Klaus und wirft eine Runde Korn, weil "Dit muss schon sein, un den Korn, den sieht die Leber ja nich, is ja durchsichtig, der Korn".

Wenn man dann nach Hause kommt, dann steht da der 103er und die seit Wochen erhoffte CD ist endlich eingetroffen. Und dann trinkt man mehrererererere Absacker Brandys und hört das Rat Pack (Für die jüngeren Leser: Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis jr.) bei einem Live Auftritt in einem Club, bei dem sie sehr sicher nicht mehr wirklich nüchtern waren (Ladies and Gentleman, here is the your star of the show, coming direct from the bar: Mr. Dean Martin), wie sie das Haus rocken, wie die drei James Cagney, Cary Grant, Edward G. Robinson, Clark Gable nachäffen und eine Stand Up Comedy vom allerbesten auf die Bühne swingen, und man weiß, was Entertaiment und ein guter Abend ist.

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Eben alte Texte gesichtet und dabei auf die Interviews gestossen, die ich mal gemacht habe. In fast 10 Jahren kommt so einiges zusammen. Hier eine kleine Zusammenfassung der Highlights.

Das langweiligste Interview Ralf Bauer. Netter Kerl, doch, doch. Gut, vielleicht etwas verschroben, aber nett. Dummerweise ist er unglaublich langweilig. Schrecklich nervtötend. Unfassbar einschläfernd. Ich ertappte mich dabei, wie ich während der recht langen Antworten immer wieder meinen Menüplan der nächsten 14 Tage neu aufstellte. Mag auch daran gelegen haben, dass ich am Vorabend unglaublich gesoffen hatte. Jedenfalls redete Bauer in leiser, monotoner, leidender Stimme in einer völlig überheizten Hotellobby auf mich ein. Hab ich nie verkauft, das Interview

Das Interview, bei dem ich nur zwei Fragen stellen konnte, obwohl es fast 45 Minuten lang war. Dieter Wedel. Man stelle eine Frage, schalte das Bandgerät ein, gehe raus, komme nach einer halben Stunde wieder, bemerkt, dass er immer noch redet usw. usf. etc. pp. Der Mann ist wie ein Duracell-Hase.

Das sinnloseste aber auch sinnvollste Interview Mit Dieter Pfaff und Hilmar Thate. Interview fand wegen irgendeinem ARD Film statt, in dem es ums Essen ging. Wir haben uns knapp 45 Minuten übers Essen, Männer und ihre Bäuche, Rezepte und Tricks beim Kochen unterhalten. Sehr, sehr amüsant. Rezeptaustausch unter großem Hallo. Interview hab ich leider vergessen und meine Yellow Press Blätter mochten nix über die Lieblingsrezepte von Pfaff schreiben.

Das lustigste Interview Tja. Muss ich leider Gaby Hauptmann und Thekla Carola Wied schreiben. Beide für sich genommen gehen beruflich gar nicht. Leider sind sie privat ausgesprochen schlagfertige, warmherzige, humorvolle, leicht versoffene Menschen. Wir haben am Ende einer langen Interviewstrecke insgesamt drei Flaschen Wein getrunken gegackert wie ein Haufen Hühner und einmal die deutsche Schauspielerszene durchgeläster. Und die beiden Damen immer vorne weg. Hatte soviel Interviewmaterial, dass ich fünf Stück draus gemacht habe, die ich verschiedenen Zeitungen als Exklusivinterview verkauft habe. Mit den beiden gehe ich jederzeit wieder einen trinken.

Das mehrfach Interview F. Murray Abraham. Irgendwie hatte der Mann in dem Jahr einen Lauf. Erst Bösewicht in einem Star Trek Film, dann einen Vertrag mit irgendeiner Kirch Produktionsgesellschaft. Jedenfalls trafen wir uns viermal innerhalb von drei Monaten. Ein sehr angenehmer, freundlicher, gebildeter Mann, der ein ganz klein bißchen nach Schweiß riecht. Das vierte Interview haben wir ausfallen lassen und sind stattdessen was Essen gegangen. Ich konnte wirklich keine Zeitung mehr finden, die ihn abdrucken wollte. Er nahms gelassen.

Das Interview, dass ich auch auf Knien gemacht hätte Fanny Ardant. War wegen irgendeinem Sat.1 Streifen in der Stadt und im "Vier Jahreszeiten" untergebracht. Als ich das Interviewzimmer betrat, saß thronte sie völlig natürlich auf einer Chaiselongue, den Arm auf der Lehne, die Beine damenhaft zur Seite gepackt und lächelte mich an, als wäre ich ein verschollener Bruder, der nach Jahren wieder nach Haus zurück gekehrt. Und dann dieser Akzent! Ach....Ich durfte sie am Ende auf die Wangen küssen und laut der Pressebetreuerin habe ich nach verlassen des Zimmers ausgesehen, als sei ich ein frisch verliebter vierzehnjähriger nach seinem ersten Kuß.

Das Interview, bei dem ich dem Interviewpartner am liebsten eine reingesemmelt hätte Hannes Jaenicke. Vielleicht hatte er nur einen schlechten Tag. Vielleicht hatte ich einen schlechten Tag. Vielleicht hatten wir beide einen schlechten Tag, aber es fehlte nicht viel, und ich hätte diesen arroganten, nichtssagenden, kleinkarierten, untalentierten, zickigen, nervigen, langweiligen, aufgesetzten, hirnamputierten, widerlichen Spackonauten umgehauen. Hab ich nicht. Hab nur den Film verrissen (Rache des kleinen Journalisten)

Das kürzeste Interview Willi Thomczyk. Ort: Ein Theater. Ich: "Hallo Herr Thomcyk, ich bin...." Er: (lallend) "Ach halt doch die Fresse blödes Arsch." Thomczyk ab.

Das einzige Interview, beim ich mir ein Autogramm vom Interviewpartner abgeholt habe Patrick Stewart. Das macht man nicht. Echt nicht. Ich finde das hochnotpeinlich. Man kann nicht so tun, als führe man ein investigatives Interview um am Ende drei Posiealben rüber zu schieben, damit der Star seine Unterschrift reinsetzt. Machen komischerweise aber dennoch viele. Ich nie. Nur bei ihm. Da konnte ich leider nicht anders. Dieser Mann hat eine derartig aristokratische Aura - und außerdem war ich zu dem Zeitpunkt schwerst Star Trek abhängig. Ich meine wir reden hier von "Captain Picard"!

Das traurigste Interview Manuela. Die Schlagertante. Hat in den 60ern glaube ich mehr Bravo "Otto" Auszeichnungen kassiert als die Beatles. War in Las Vegas. Hatte da eine eigene Show. Angeblich eine Affäre mit Cary Grant, auf jeden Fall eine mit Dean Martin. Hat mit Sinatra auf der Bühne gestanden. War mutig und hat sich Anfang der 70er mit der deutschen Schlagerindustrie angelegt und wurde deswegen mit einem Fernsehverbot belegt. Dann ging es bergab. Als sie sich mit ihren vermeintliche Millionen ein schönes Leben machen wollte, stellte sie fest, dass ihr Entdecker, Manager und Liebhaber das Geld durch gebracht hatte. Am Ende lebte im Gartenhaus ihrer Eltern in Berlin-Spandau. Grund des Interviews war eine "Best of" und ein Auftrag eines Magazins. Starb alleine in dem Gartenhaus ein paar Monate später. Nie mehr nach einem Interview so deprimiert gewesen.

Das längste Interview Götz George. Erstaunlich, aber wahr. Es dauerte fast einen halben Tag und war sehr, sehr spannend. George ist mit Mario Adorf einer der sensibelsten Menschen, die ich jemals interviewt habe. Famos, der Mann. Wir verplauderten das Mittagessen, den Nachmittag und hätte er nicht sein Flugzeug erreichen müssen, würden wir immer noch da sitzen. Sehr spannender, sehr gebildeter Mann, vielleicht machmal etwas überkanditelt, aber nie unangenehm.

Das nervigste Interview Roland Orzabal (Tears for Fears). Arrrrrrrrrgggghhhh. Der Alptraum eines jedes Journalisten. Alle Fragen werden mit "Yes" oder "Hm" beantwortet. Nach ein paar Minuten wollte ich gehen. Er meinte: "Och nein, sorry. Ich mach jetzt mit". Zwei Fragen später das gleiche Spiel. Er hat das an dem Tag mit allen gemacht.

Der ungewöhnlichste Ort eines Interviews Goldie. Unter einem Tisch in der Lobby eines Hotels. Er war bekifft bis zum Anschlag und wollte es gemütlich haben. Hab ich mich eben daneben gelegt.

Das Interview um das mich merkwürdigerweise die meisten Damen beneiden George Clooney. Je nun. Ich muß allerdings sagen, dass dieser Mann in natura ungefähr dreimal so charmant, fünfmal besser aussehend und tausendmal eindrucksvoller ist, als in jedem seiner Filme. Ich bin nach einer halben Stunde mit diesem Gefühl aus dem Interviewzimmer rausgegangen: "George, Du kannst Sie ALLE haben, und ich bin noch nicht mal neidisch."

Mal sehen, was mir noch so einfällt...

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Barmenschen sind selber die besten Kunden. Sowohl in der eigenen Bar, wie auch in fremden. Es geziemt sich nach der anstrengenden Schicht gemeinsam zwei bis acht Bier zu trinken und gegebenenfalls weiter zu ziehen. Die Angestellten dieses Pubs waren ein wilder Haufen, eine irisch-kölsche Mischung plus einem Quotenengländer und einem Berliner. Auf jeden Fall alle trinkfest und selten hatte einer was besseres zu tun, als nach getaner Arbeit weiter zu ziehen. Dafür bot sich zumeist die "Schweizer Tenne" an, ein von außen völlig schwarz verkleidete Kneipe mit Butzenglasscheiben und einer schweren Holztür. Der reine Zufall ließ uns den Laden entdecken, als wir auf der schnellen Suche nach mehr Bier halblaute ABBA Musik aus dem Laden vernahmen, und Kirstin, eine ebenso dünne wie trinkfeste Irin mit dem Satz "This sounds great, come on boys" die Kneipe stürmte.

Es bot sich ein recht desolates Bild. Drinnen war es duster wie in einem Kohlenkeller, zwei Gäste lagen mit den Köpfen auf dem Tisch. Hinter der riesigen, komplett mit Kupfer verkleideten Theke, stand ein Mensch. Ungefähr Ende 30, 2,80 Meter groß, Schulter wie ein Ork nur ungefähr dreimal so breit. Vor sich einen veritablen Bierbauch über den sich ein Traum von verblassten bläulichen Hawaiihemd spannte. Dazu: eine Möchtegern Vokuhila Frisur, Möchtegern deswegen, weil vorne einfach zu wenig Haare übrig geblieben war. Hinter ihm im Regal: Ein abgeranzter Plüschhase. Ein zentrales Element der Kneipe in Babyblau. Mit mürrischem Blick wurden wir begrüßt. Diese Art von Störung war man offenbar morgens um 2.00 Uhr nicht gewohnt, ein "Ich mach aba gleich zu" bestätigte die Vermutung. Mit einem Wort: Wir waren begeistert, und sogar sehr glücklich als der Riese uns selbst gemachte Gulaschsuppe (es war die Mutter aller Gulschsuppen) anbot und uns dann doch erst morgens um 6.00 Uhr aus dem Laden warf. Der letzte Satz, kurz bevor er die Tür zuwarf: "Kommt ihr morgen wieder?" Zustimmendes Nicken. "Gut." Am nächsten abend stand neben dem Riese ein alter Zwerg. Ähnliches Hemd, noch größerer Bauch, schlohweiße lange Haare und ein Bart wie von Antje, das Walross, nur größer. Das waren sie also, die beiden Inhaber der "Schweizer Tenne", die von uns intern nur "Gorilla" genannt wurde, eben wegen des Riesen hinter der Theke. Die beiden waren wie Pat und Patachon, wie Dick und Doof. Andauernd beschimpften sie sich, andauernd waren sie aufeinander sauer. Immer wankten sie zusammen raus.

Nach und nach entwickelte sich eine echte Freundschaft zwischen der Belegschaft des Irish Pubs und des Gorillas. Irgendwann fingen wir an, die notorisch letzten Gäste ins Gorilla rüber zu schicken und gerade am Wochenende machten wir den Laden krachvoll. Walross und Gorilla waren sehr glücklich, denn der Laden war ihre einzige Einnahmequelle. Die beiden gingen soweit, dass ihre Lebensgewohnheiten nach den unseren ausrichteten und den Laden einfach erst um 1.00 Uhr aufmachten. Sie dankten uns die Gästebeschaffung damit, das nachts um 5.00 Uhr für uns kochten, dass sie den Laden aufließen bis wir gegangen waren. Sie wurden zu Institutionen in unserem Leben, zu Helfern, zu Freunden. Hatte man ein Problem, eine Nacht bei Gorilla an der Theke und man war a) betrunken und hatte b) das Gefühl das einem etwas sehr gutes, warmes und herzliches widerfahren war. Und da saß man und plauderte über das ehemalige Alkoholiker Dasein von Gorilla, und dann wurde Walross immer sehr ruhig, sehr ängstlich, und man musste ihm immer versprechen, das man aufpassen würde, das Gorilla auch nichts trinken würde. Nie mehr Alkohol für Gorilla, der gerne schon mal mitgetrunken hätte, von uns dann aber immer ausgeschimpft wurde.

Die Freundschaft ging so weit, das die beiden uns den Schlüssel zu ihrer Kneipe in die Hand drückten, weil sie mal in den Urlaub fahren wollten. Die? Zusammen in den Urlaub? Überhaupt waren die Familienverhältnisse der beiden wirr. Zunächst schätzte man, dass es sich im Vater und Sohn handeln müsste, später stellte sich heraus, dass die beiden schlicht und ergreifend ein Paar waren. Das vermutlich merkwürdigste Schwulen-Pärchen von Köln. Das zänkischste, das liebevollste, das komischste.

Eines Abends war der Laden zu. Auch am nächsten Abend. Ein Kollege, der mit den beiden sehr eng befreundet war, versuchte sie in ihrer Wohnung zu besuchen, aber niemand machte auf. Erst drei Tage später war das Gorilla wieder auf. Alles war normal, der Riese hinter der Theke, die Gulaschsuppe dampfte. Freundliche Begrüßung. Er schiebt die Teller mit der Suppe über den Tresen und sagt "Esst mal, ist die letzte. Gibt’s jetzt nich mehr" Wie? Was? Und dann wurden seine Augen ganz klein und die riesigen Schultern fingen ganz leicht an zucken, und er sagte "Er hat da einfach gelegen. Die Zigarette noch in der Hand" Walross war tot. Morgens waren die beiden aufgestanden, das übliche Frühstück, dann hatte sich Walross hingelegt, sich eine Zigarette angezündet und war augenblicklich eingeschlafen. "Aber gelitten hat er nicht" sagte Gorilla, unter Tränen wenige Minuten später.

Innerhalb von Minuten klappte dieser riesige Mensch in sich zusammen. Der Tränenstrom wollte nicht mehr aufhören, sein Körper wurde gebeutelt von Schluchzattacken, er winselte vor inneren Schmerzen, vor Angst und Hoffnungslosigkeit. Es kam an Licht, das Walross ihn vor 15 Jahren aus der Gosse geholt hat. Gorilla der Stricher, Alkoholiker, ohne Ausbildung, ohne Arbeit, ohne Wohnung, ohne Geld. Walross nahm ihn auf. Gorilla dankte es ihm, in dem er immer wieder abhaute, nicht ohne Wertgegenstände mitgehen zu lassen. Walross blieb ruhig, wartete, holte ihn wieder aus der Gosse, nahm ihn so lange und immer wieder auf. Er beschenkte ihn, unter anderem eben auch mit jenem abgeranzten Plüschhasen, der immer hinter der Theke im Regal stand, und den er jetzt heulend, wie ein Kind, nach Luft ringend an sich drückte. Warum, warum, warum. Wir wußten es auch nicht.

Von da an hatten wir einen therapeutischen Schichtwechsel. Einer brachte ihn nach Hause, der andere holte ihn morgens samt Frühstück ab. Der nächste machte mit ihm die Kneipe nachts auf, der andere erledigte Einkauf und Buchhaltung. Nach einem Monat hatten wir ihn wieder soweit, er sah endlich wieder gesund aus, er putze alleine die Kneipe, er kaufte ein, er arbeitete und er sagte andauernd: "Wat seid ihr für jute Menschen. Wat hab isch ein Glück"

Eine Woche später war der Laden wieder zu. Erschrocken und alarmiert suchten wir Gorilla, aber der blieb verschwunden. Er war nicht zu Hause, er war nicht "auf der Rolle", er war einfach weg. Nach zwei Tagen verständigten wir die Polizei, die auch nicht weiter kam. Gorilla blieb verschwunden, bis ein Kollege, Franklin, ihn zufällig morgens um 7.00 Uhr im "Roxy" völlig betrunken, stinkend, fertig an der Theke fand. Franklin sah ihm in die Augen, und da wusste er was passieren würde. Er sagte nichts, weil es nichts zu sagen gab, weil er wusste, das es so oder so passieren würde. Der letzte Satz, den Gorilla sagte war: "Ich kann einfach nicht ohne ihn. Ich will wieder bei ihm sein." Innerhalb von drei Wochen hat sich Gorilla tot gesoffen. Er hat sich einfach so viel Alkohol in seinem vom Alkoholismus angeschlagenen Körper geschüttet, so lange an seinem Herz gerissen, bis der Körper seinem Wunsch nachgegeben hat. Und wir konnten einfach nichts machen, außer auf seiner Beerdigung in einer leicht pathetischen Handlung den Hasen auf den schmucklosen Sarg zu legen.

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Ich stehe auf. Zu spät. Egal. Es regnet. Bei meiner Nachbarin klingelt immer wieder ein altes Telefon. Keins was tüdeldüt macht, sondern richtig "Ring". Es klingelt alle 10 Minuten. Sägt sich mit der Geschwindigkeit einer Kreissäge in mein Hirn. Immer wieder. Geht aber keiner dran. Vielleicht ist sie tot. Werde ich wohl bald riechen. Überlege Tesa Krepp für die Tür zu kaufen. U-Bahn. Ein kleiner Rabauke tobt durch die Bahn. Schreit mit anderen Rabaukenkindern rum, animiert diese noch lauter zu werden. Keiner sagt was. Alle schauen genervt. Ich kann mich nicht mehr auf meinen Berlusconi-Artikel konzentrieren und die wundervollen Kopfhörer der Firma Sony, die ich neulich für knapp 30 Euro gekauft habe, waren leider minderwertiger Schrott. Sie haben nach vier Wochen aufgegeben. Die Quittung hatte ich natürlich weggeworfen. Wer Quittungen sammelt, macht auch Backups. Kann mich also nicht abkapseln. Ziehe die Zeitung näher ans Gesicht. Klappt auch nicht. Ich würde dem tobenden Kind gerne ein Bein stellen, aber es kommt nicht an mir vorbei. Weiß auch nicht, ob es ok ist, wenn man so macht. Wahrscheinlich nicht. Ich bin schlecht gelaunt. Nicht mal wehren kann man sich. Nur aushalten. Neben mir schüttelt eine Seniorin den Kopf und murmelt was von "Ausländer und Erziehung". Haha, pass auf Du alte Schachtel, bald gibt es das soziale Jahr für Senioren, dann ist Schluss mit dem sinnlosen U-Bahn fahren. Feierabend mit dem Groschenkramen an Kasse. Bemerke, dass ich noch schlechter gelaunt bin. Hätte gerne Sex. Denke, wo ich das schreibe, dass ich jetzt wieder Mails von Frauen bekomme, die mir schreiben, dass das natürlich wieder typisch sei. Wenn ein Mann schlecht gelaunt sei, dann würde er eben hoffen durch den Gebrauch einer Frau seine schlechte Laune an ihr abreagieren zu können. Ficken. Wenn alle ihre schlechte Laune beim Sex abreagieren würden, wäre die Welt ein besserer Ort. In der U-Bahn gibt es keinen Sex. Nix bekommt man dann, wenn man es haben will. Auch kein Geld. Ich habe seit Oktober ein NKL Los, dass mich 15 Euro jeden Monat kostet und laut der NKL Webseite über eine 47%ige Chance verfügt, dass ich etwas gewinne. Und? Nix. Morgen fliege ich morgens um 8 nach München, treffe Menschen, die ins Fernsehen wollen, fliege wieder zurück. Sinnlos. Völlig. Ich töte die Atmosphäre, zerstöre mindestens 7 von 10 Kandidaten eine Einnahmequelle und lade tonnenweise schlechtes Karma auf mich. Und muss zu Mittag bei der "Nordsee" essen. Gut, das füllt das Karmakonto wieder etwas auf.

Ich geh jetzt nach Hause. Auf dem Weg kaufe ich neue Kopfhörer. Von Panasonic. Ich werde die Quittung aufbewahren. Einheften, abheften. Sowas in der Art: Ich werde feststellen, wie geil das ist. Wie überlegen man sich fühlt, wenn man mit der Quittung in der Hand den Verkäufer des Ladens, der einem den minderwertigen Mist verkauft, fertig machen kann. Wahrscheinlich bin ich spätestens mit Mitte 40 ein kleingeistiger, cholerischer, kauziger Spießer, der mit einem Luftgewehr auf Tauben schießt, Parkplatzvergehen meldet und Buch führt, wann der Nachbar zu laut ist. Ich werde kleine rote Adern auf der Wange und der Nase bekommen und wenn ich wütend werde, dann tritt an der Schläfe eine dicke Ader hervor und wird blau. Kinder werden schreckhaft, wenn sie mich nur sehen. Ich habe einen Dackel. Meine Nachbarn hassen mich, nur die alte Dame von unten links, deren Mann vor 10 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben ist, mag mich. Super. Ärgern sich endlich andere mehr über mich, als ich über sie.

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