Immer, wenn im Winter, so knapp vorm Frühjahr, Tage auftauchen wie diese, wo die Sonne vom Himmel knallt und es so hell ist, dass man die Augen zusammenkneifen muss, fühle ich mich leicht unwohl. Nicht, weil das Wetter gut ist. Das ist natürlich toll, toll, toll. Es geht mehr um die Erweckung von Hoffnungen und Bedürfnissen in meinem Köpfchen. Ich denke dann immer sehr spontan "JA. Sonne! Super!". Ohne nochmal darüber nach zu denken. Schnell lasse ich mich von der gelben Sau da oben und den Postkartenidyllenhimmelblau drumherum zu "JA! Sonne! Super!" verleiten. Ich kram dann meine Frühlingsmusik raus . Ich lache. Ich habe ein dringendes Bedürfnis nach einem Bier in einem Biergarten. Aber das geht nicht. Denn ich weiß ja genau, dass die gelbe Sau noch gar nicht richtig da ist. Die will uns nur foppen. Nur mal so rausschauen, sehen ob noch alles da ist, und dann ist sie wieder weg und läßt die nächsten drei Monate Tante Nieselregen und Onkel Wind die Szene bestimmen. Ich finde das gemein. Das ist so, als ob man einem Kind eine Packung Schokolade vor die Nase hält, die auspackt, das Kind riechen läßt und in dem Moment, wo es zubeißen will, zieht man die Schokolade weg, und sagt: "Morgen. Vielleicht." Mir wäre es lieber, wenn das Wetter etwas eindeutiger wäre. Januar und Februar? Vergiss es mit der Sonne. Vielleicht mal zwischendurch und zwischen den Wolken, aber sonst nicht. Aber ab dem 15.März gehts los. Ein, für den an Bausparvertragtermine gewöhnten Deutschen, nettes Datum. Etwas, woran man sich halten kann. Dann kann man seinen Kindern sagen: "Na, jetzt aber schnell noch mal Schlitten fahren, am 15. kommt die gelbe Sau, und dann ist Essig mit dem Schlitten." Oder : "Ja, nur noch 21 Tage bis zum 15. dann ist endliche vorbei und es wird warm." Ich finde, dass Wetter könnte sich langsam wirklich mal nach meinen misantrophischen Befindlichkeiten richten.

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Fragebogen aus dem Webblogwald

1. First record you ever bought? Ich weiß nicht mehr genau ob es Manfred Mann - Angel Station, oder doch Didi Hallervorden & Helga Feddersen "Die Wanne ist voll" war. Es könnte auch das Village People Superkracher Hit Album "Cruisin'" gewesen sein. Oder doch die "Commander Perkins" Hörspiel Scheibe? Jedenfalls kaufte ich alle Platten in einem seltsamen Laden in Godesberg. Das war noch ein Laden, der richtige Hörabteile hatte. Man gab die Platte an einem Infostand ab, der Angestellte legte sie auf und sagte "Kabine 5". Also ging man in Kabine 5 und hörte per Kopfhörer in die Platte rein. LPs kosteten damals 17,99 DM. Glaub ich.

2. First gig (who and where)? Hier

3. Best gig (who and where)? Schwierig, popierig. Da war das Tea Party Konzert 1996 im Luxor in Köln. Da war Jeff Buckley, ich glaube im selben Jahr, ebenfalls im Luxor. Da waren die Stones 90 im Parkstadion. Aber ich entscheide mich für Swell, 1998 im Logo in Hamburg. Ich war ganz alleine auf dem Konzert, der Laden angenehm gefüllt und ich hab einer der besten Livebands der ganzen weiten Welt gesehen, die mir die Tränen in die Augen gesungen haben.

4. Gig you wish you'd been at? Ich würde gerne mal gehört haben, wie Mozart seine Stücke aufgeführt hat, wie Beethoven seine Symphonien inszenierte, nur um endlich mal zu hören, wie die meinten, dass man es hören müßte, damit ich noch einen Grund mehr habe über manch überkandidelten Klassikkritiker zu lachen.

5. What's in your CD player at the moment? Talk Talk - Spirit of Eden

6. A record that makes you laugh? Dr. Hook & Medicin Show - On the cover of the Rolling Stone Elvis Presley - Are You Lonesome Tonight (A very special version from Las Vegas)

7. A record that makes you cry? Beck - Sea Change

8. A record that reminds you of school or college discos? Heaven 17 - The Luxury Gap. Hey - ich hatte einen weißen Schal! Von Benetton!

9. A record which sounds better in the dark? Soundtrack zu "Der Kalte Finger"

10. A song you wish you'd written? Keine Ahnung. Blöde Frage. Es gibt ja auch kein Buch, was ich gerne geschrieben hätte.

11. A record you'd like played at your funeral? Oh - sehr schönes Thema. Eine zeitlang dachte ich immer, ich sei der einzige Mensch auf der Welt, der sich in jungen Jahren über so was schon mal Gedanken gemacht hat. So eine Musikauswahl will ja wohl überlegt sein. Denn einerseits sollen die Hinterbliebenden ja ordentlich trauern, anderseits aber auch nicht zu sehr, denn sie sollen beim Leichenschmaus ja nette Anekdoten erzählen und nach dem Lachen "Achja" sagen, während sich die Augen kurz in einer Unendlichkeit verlieren. Dazu muss die Musik natürlich alle Facetten meines unglaublich reichen und abwechslungsreichen Leben widerspiegeln. Die Leute sollen da sitzten und denken "Ach, ach" und "Was für ein guter Mensch". Das ich mich bis heute nicht entscheiden konnte, welche Musik laufen soll, werte ich als gutes Zeichen für meine Lebensdauer.

12. Soundtrack for a long car journey? Kommt darauf an, wie schnell mal fahren will. Und wo man fährt. Nehmen wir mal an, wir fahren von Berlin nach Nizza. Dann gibt es in Deutschland erstmal "Status Quo". Das rollt dann schon mal sehr gut. Aber zu lange darf es nicht rollen, wir wollen uns auch mal entspannen. Gerade, wenn wir die leicht verstopften Autostraßen im Süden Deutschlands passieren. Hier sollte man dann "Kraftwerk - Autobahn" hören. In Frankreich weichen wir den Autobahnen aus. Zu teuer. Auch nicht viel schneller und nicht so hübsch wie die knuddligen Landstraßen mit den Hinweis- und Entfernungsschildern aus Stein. Hier kann man mehreres hören. Francoiz Breut zum Beispiel. Mano Chao. Les Negresse Vertes. Yann Thiersen. Wir passieren kleine, hübsche Städte, halten schon Nachmittags an, suchen uns ein nettes Hotel, sitzen draussen und trinken einen oder zwei Ricard. In Südfrankreich angekommen wechseln wir natürlich zu Dean Martin und Sammy Davis jr. oder frühen James Bond Soundtracks. Aber vor allem sind wir dann eins: Glücklich.

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Was ich heute noch erledigen muss

  • Zum Friseur
  • Altglas runter bringen
  • neuen Blogeintrag schreiben
  • Presseschau schreiben
  • Tomaten kaufen
  • Onanieren verschoben, wg. langweilig
  • Das Feuilleton der SZ lesen
  • Wecker stellen wg. morgen
  • Mails beantworten
  • 10 Kilo abnehmen
  • Haus bauen, Kinder zeugen, Baum pflanzen
  • Fisch zum Auftauen aus der Tiefkühltruhe

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Vor wirklich vielen Jahren wohnte ich Bonn, am Rodderberg, bewaldet, ruhig, mit kleinen Häuschen, meine Eltern mochten es. Meine Mutter schwärmte, wie schön es da doch sei, so grün, bessere Luft und mehr Auslauf für den Hund. Mit dem durfte ich dann immer raus, über Feldwege, an wilden Apfel- und Walnussbäumen und eingezäumten Schafsherden vorbei. Bei den Schafsherden musste man immer vorsichtig sein, denn bei dem Hund, den ich ausführte, handelte es sich um einen Schäferhund, der seine genetisch programmierte Aufgabe noch verstand. Wenn man nicht aufpasste, dann riss er sich los, raste so lange über die Wiese hin und her, bis die ca. 40 Schafe in einer ungefähr 2 qm großen Ecke zusammengepfercht waren und laut blökend protestierten, während unser Hund zufrieden kläffte und sich freute, dass seine Gene 1a funktionierten.

Auf den langen Spaziergängen traf ich häufig eine alte Dame. Alte Dame im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie war angezogen wie eine alte Gräfin, mir einer Kombination aus Blazer und Rock und einer feinen Bluse nebst passender Brosche und einem herrschaftlichen Mantel in Jäger-grün. Sie führte ihre alten Dackel spazieren, zwei an der Zahl, auch wohlerzogenene Tiere, die kaum einen Meter von ihrer Seite wichen. Nach ein paar Monaten war aus den rituellen Begrüßungen ein freundschaftliches Gespräch geworden, und die alte Dame - sie hieß Frau von Kurnatowski - lud mich zu einem Tee ein. Gut erzogen wie ich war, tauchte ich gerne in dieses Ambiente aus 20er Jahre und verarmten Adel ein. Sie war eine Grand Dame mit diesem Esprit der feinen, aber leider untergegangenen Gesellschaft. Jene Damen, die eben noch das alte Kristall der eigenen Großmutter um Schrank haben, deren Blusen immer oben geschlossen sind, die den Teelöffel ganz weit oben anfassen und niemals "Scheiße" oder "Ficken" sagen, sondern als Zeichen höchsten Missvergnügens nur mit der Zunge schnalzen.

Die Wohnung bestand aus einem alten Sofa und vielen Regalen, die, neben üblichen Biografien über verstorbene Adlige, auch mit erstaunlich vielen Loriot Figuren gefüllt waren. Das passte nun gar nicht. Aber die Figuren waren mit solch einer Liebe aufgestellt, das ich mir die Frage nicht verkneifen konnte, ob sie Loriot möge. Sicher, antwortete sie, er sei ihr sehr nahe. Sie behauptete eine Tante von Loriot zu sein, doch wollte es mir nicht einleuchten, das die Tante eines sehr reichen Mannes in einer kleinen Einliegerwohnung wohnen musste. Heute, wo es zum guten Ton gehört, dass Prominente ihre Angehörigen arbeitslos (Der Stiefbruder vom Kanzler!) oder gar verhungern lassen (irgendwer, hab ich neulich in einem Fachblatt gelesen), ist das ja nichts ungewöhnliches. Da holt man keinen Redakteur mehr hinter dem Schreibtisch her. Da gähnt selbst der Volontär. Damals aber war ich jung und Yellow-Press unverdorben und dachte: "Quatsch, wenn eine Familie Geld hat, dann teilt man das doch, dann läßt man seine arme Tante doch nicht einer Eigentumswohnung in nobler und teuerer Wohnlage darben.

Sie blieb aber dabei, dass sie irgendwie verwandt mit Herrn von Bülow sei. Da es kurz vor Weihnachten war, machte sie mir das Angebot, etwas aus der schon damals reichhaltigen Loriot Kollektion zum Geschenk zu machen. Es sei nur ein Anruf, ich solle mich nicht schämen. Ich wünschte mir einen Kalender, allerdings mit Autogramm, weil ich ihr immer noch nicht glaubte.

Zwei Tage vor Weihnachten traf ich sie erneut, und sie berichtete, dass Loriot offenbar seinen Besuch angekündigt habe. Ich möge doch am 2. Weihnachtsfeiertag vorbei kommen, dann sei er da. Dummerweise waren wir aber an diesem Tag bei irgendwelcher Verwandtschaft. Es ist ja immer so: Egal, wie wenig Verwandtschaft man hat, sie werden immer dann red- und leutselig, wenn man es partout nicht gebrauchen kann. Normalerweise reißt man sich an Weihnachten die Geschenke aus der Hand, sagt Sachen wie "Ach, wie hübsch. Das hast Du aber bestimmt lange gesucht", trinkt bitteren Kaffee und geht dann schnell wieder, um sich während der Rückfahrt im Auto all die Dinge zu sagen, die man gerade zwei Stunden lang nicht gesagt hat. Diesesmal war aber irgendwas anders, jedenfalls dauerte es länger. Da half kein Quengeln und kein Jammern, die Sippschaft saß am Tisch und trank.

Als ich endlich loskam, raste ich die wenigen Strassen zu ihrer Wohnung rüber. Vielleicht habe ich ja Glück, dachte ich, in völliger Unkenntnis von Weltlage und Karmaanalyse. Tatsächlich sah ich gerade noch einen Jaguar aus der kleinen Straße abbiegen und wegwischen. Das, soviel war mir klar, war es dann gewesen. Zu spät. Nur noch Rücklichter. (Ein Phänomen, dass sich in meinem weiteren Leben im Bereich "Beziehungen" gerne wiederholen sollte). Auf dem Tisch standen noch die Kuchenteller und die Cognacgläser und Frau von Kurnatowski machte ein ebenso betrübtes Gesicht wie ich. Aber immerhin lag der versprochene Kalender nebst Autogramm auf dem Tisch.

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Der Kopf fällt ihr immer wieder auf die Brust, bleibt für einen Sekundenbruchteil dort liegen, nur um sofort wieder hochgerissen zu werden, die Augen dabei leicht auf. Dann pendelt er wieder, sackt langsam in kleinen, kreisenden Bewegungen nach unten. Die Hände im Schoss halten die Handschuhe fest, krampfen sich manchmal ein wenig zusammen, so als ob sie im Traum etwas festhalten will. So geht das schon seit fünf Stationen im Minutentakt. Die Frau ist so was von unendlich müde, dass ich schon fast ein schlechtes Gewissen bekomme, weil ich so quietschvergnügt und ausgeschlafen bin. Ich beobachte ihren Kampf mit der Schwerkraft und der Müdigkeit, den sie immer wieder verliert. Sie ist so mittelalt. Undefinierbare Herkunft. Langweilige bunte Jacke auf der "Match it" als Marke angegeben ist. Die Haare hat sie unter einem Tuch versteckt. Vielleicht eine Putzfrau, die seit heute morgen um vier Großraumbürosilos sauber gemacht hat. Vielleicht ein krankes Kind, dass die ganze Nacht geweint und gejammert hat. Jedenfalls sieht es immer ein wenig komisch aus, wenn der Kopf des Gegenübers wie ein Kugellager rotiert. Der Kontrolleur fasst sie hart an und brüllt ihr ins schlaftrunkene Gesicht: "Hallo, Fahrkarte, nix schlafen." Das macht mich schon ein wenig ärgerlich. Immerhin hat er sie so laut angesprochen, dass ich es selbst durch meinen Kopfhörer gehört habe. Muss nicht sein, so was. Die Frau wird gerade eben so wach, da rüttelt er schon wieder an ihrer Schulter. Völlig verständnislos sieht sie ihn an, auch ein wenig Schreck ist in ihren Augen. "Hast Du Fahrkarte?" wird sie gefragt. Die Frau nickt, sagt nix, reibt kurz über ihre Augen und fängt an in Zeitlupe in ihrer Tasche zu kramen. Der Kontrolleur ist so ein kleiner, drahtiger Kerl, den Pullover in die Hose gestopft. Wahrscheinlich umgeschult und auch keine Lust dazu. Man wird ja nicht mit dem Wunsch geboren, dass man mal Kontrolleur wird. Nach Feuerwehrmann und Astronaut kommt irgendwann das Leben, und sagt einem, dass man in der Fabrik gutes Geld verdient. Und dann kommt eine Maschine und man selber kann sich überlegen, wie man nun sein Geld verdient. Als Arbeitskraft ist man eben nur noch solange wertvoll, bis was anderes kommt, was kräftiger ist. Langsam wird er ungeduldig. So nach 15 Sekunden Suchen. "Los, raus hier" brüllt er sie an und packt sie an der Schulter. Jetzt reicht es mir. "Hallo, könnten Sie mal damit aufhören, diese Frau andauernd anzufassen." Blicke schießen durch die U-Bahn, jetzt nehmen mich andere Menschen wahr, wundern sich. "Lassen Sie sie doch erst mal in Ruhe ihre Fahrkarte suchen." setze ich nach. "Zeigen Sie mir erst mal ihre Fahrkarte, bevor sie hier Anweisungen geben" blafft er mich an. Meine Monatsfahrkarte klappt runter und ich setzte hinzu: "Sie sollten etwas freundlicher mit ihren Kunden umgehen. Wenn Sie es denn können." Das riecht nach Ärger. Merken vor allen die anderen Mitfahrer und klappen die Zeitungen auseinander. Nur ein Türke pflichtet mir nickend bei. "Halten Sie sich mal hier raus" schwadroniert der Kontrolleur. "Wir machen hier unsere Arbeit und wir kennen uns aus". Ich habe gerade aber keine Lust mich raus zu halten. "Ach, persönliches Anfassen gehört also zum neuen Kundenkonzept der BVG?" "Jetzt werden se mal nich frech hier, ich kann auch ganz anders". Der Türke muckt jetzt auch mit. "Hey, wir sind hier die Kunden, ey". Ich schieße ein "Na, dass will ich aber sehen, wie sie anders können" aus der Hüfte hinterher. Jetzt kommt auch der andere Kontrolleur und sagt "Gibts Ärger?". Kontrolleur I schnauft. Türke sagt: "Ihr Kollege ist total unfreundlich". Kontrolleur II sagt "Ach was". Ich sage "Allerdings". Wir starren uns alle vier feindselig an. Die Sätze "Kommse mal mit" und "Ich will ihre Personalnummer haben" liegen in der Luft. Da piepst eine kleine Stimme in die spannende Pause: "Wollen sie meine Karte jetzt noch sehen?" Zwischen den dünnen Fingern hält sie ihre Monatskarte. Ein schneller Blick zu ihr, ein böser zu mir. Dann rauscht der Zug an der Haltestelle ein. Die Türen öffnen sich, die Kontrolleure verschwinden, die Luft entlädt sich und der Kopf liegt wieder auf der Brust.

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