Gestern Abend - ich sitze entspannt von meinem Tagwerk [Arbeiten, Wohnung besichtigen, nachdenken, ob ich mir einen Hund zulegen sollte, drei Kinder auf einem Spielplatz dabei beobachten, wie sie sich nicht umbringen, mit dem Ostseemädchen Kekse gegessen, Abends gekocht [Aubergine, Tomaten, Bohnen, Speck mit Restnudeln] und ein Schnäpschen getrunken] vor dem Rechner und lehne mich zurück. Dabei streiche ich mir über das im Winter leider wieder etwas angewachsene Bäuchlein, murmel "achjaachjaachja", als es hinter mir ein kurzes und leises "Knack - Kling" macht. Ich schaue unter meinen 1A Bürostuhl, den ich vor drei Jahren für teuer Geld (300,- DM) in Hamburg bei einem Spezialgeschäft gekauft habe, und in dem mir ein Verkäufer mit Krawatte einen "lebenslang gesunden Rücken" versprach. Unter diesem 1A Bürostuhl lag nun eine winzige Metallklammer, offensichtlich abgebrochen. Huch, denke ich. Komischerweise neigt der Mensch ja oft zu paradoxen Reaktionen. Vielleicht ist das ja der Grund, warum die Menschheit von der Evolution geküsst wurde. Weil unser Gehirn in völlig eindeutigen Situationen, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassen, einfach sagt: "Nö". Es ignoriert einfach die Realität und schafft sich deswegen eine neue. Die Evolution erschrickt dann ganz kurz, bekommt Schluckauf und schmiegt sich der einfachheithalber dem Menschen an, damit wieder Ruhe ist. Deswegen verkaufen sich zum Beispiel Tütensuppen. Wenn man sich Tütensuppen so anschaut, kommt man nicht umhin zuzugeben, dass man einer Betrügerei aufgesessen ist. Ein paar trockene Krümel, die scheiße schmecken, wenn man sie lutscht. Also ist eine Hälfte des Hirn zu Recht beleidigt. Die andere sagt: "Ach, komm. Mit ein bisschen Wasser geht das schon". Dann setzt der eben beschriebene Effekt ein und am Ende denkt man, vor einem steht eine Suppe von Mutti. Ähnliche Effekte sind leicht im Zusammenhang von Alkohol und "Ich brauch Sex" zu entdecken.

Ich starrte fröhlich auf die Klammer, dachte: "Ei der Daus, wo kommst du denn her?". So eine kleine Klammer nach einem solchen Geräusch unter dem eigenen Stuhl - was kann das wohl sein. Aber dieses mal wollte sich die Evolution nicht übertölpeln lassen, sie hatte die Schnauze voll, es war schon spät und dunkel. Weswegen ich mich, als ich mich zum Nachdenken, was diese Klammer wohl gehalten haben mag, zurücklehnte, 2 Sekunden später neben meinem Stuhl wiederfand. Über mir: die Rückenlehne, die alle viere von sich streckte. Ich hab sie trotz ihrer unangenehmen Lage noch beschimpft.
Aber es gibt ja Ebay. Bei Ebay hab ich sowieso gerade etwas ersteigert, mit dessen Hilfe ich die Außerlomographische Opposition fertig machen werde. Aber das nur nebenbei.

Um es kurz zu machen: Ich habe heute Morgen einen Stuhl gekauft, der "Präsident" heißt. Das macht mich ein wenig traurig. Ich wollte mindestens "Konsul" oder "Aufsichtsratsvorsitzender" haben. Aber gab es nicht. Nicht mal in den Preisklassen, die meine kleine Geldbörse explodieren lassen würden. Nichts. Nada. Ich habe lange überlegt, ob mir das eventuell peinlich sein soll, dass ich in Zukunft auf einem Stuhl aus Leder sitze, der "Präsident" heißt. Weil in meiner Vorstellung auf einem solchen Stuhl der Präsident eines mittelständischen Unternehmens sitzt, der kredit- und bankgeplagt jeden Monat bangt, ob er die Löhne noch zahlen kann, der zu seiner Frau "Mutti" sagt und einen Kugelbauch hat. Und schütteres Haar. Er fährt eine sieben Jahre alte S-Klasse und geht am Sonntag Tennis spielen. Auf Stühlen die "Konsul" heißen, sitzen ja völlig andere Menschen. Braungebrannte, erfolgreiche Männer, die lässig die Asche ihrer Zigarren über den halben Tisch punktgenau in den Aschenbecher schnippen können, während die blonde Sekretärin seine Oberschenkel streichelt und er mit einem Freund den nächsten Besuch im Swingerclub "Traumland" bespricht. Er fährt den neuen SLK und hat einen persönlichen Fitnesstrainer. Ich finde, dass ist schon ein nicht zu unterschätzender Unterschied. Allein wegen des Aspekts der Realitätsverschiebung. Vielleicht hilft es ja, wenn ich ihn einfach immer "Konsul" nenne.

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Warum bin ich nur Journalist/Autor geworden? [insert: Dabei fällt mir auf: Mit 20 ist man Musikkritiker, mit 30 Journalist, mit 40 Autor, mit 60 Publizist, mit 80 Urgestein der Literatur, mit 100 Grandsigneur einer Epoche, mit 120 Teilnehmer eines perversen Experimentes] Also, warum nur? Ich weiß es nicht. Aber ich vermute, dass es was mit Sex zu tun hat. Ich erinnere mich nämlich an eine Stelle bei Philippe Djian, wo er ausführt, dass der Beruf des Schriftstellers gleich dem des Rennfahrers an zweiter Stelle der erotischen Rangliste kommt. Soll heißen: Ist man Rennfahrer oder Schriftsteller, schmilzen die Frauenherzen schneller als zum Beispiel bei einem Controller oder Head of First Assistent Content Manager. Wenn man gar beides gleichzeitig ist (also Rennfahrer und Schriftsteller, nicht das andere da), dann ist man Robbie Williams.

Aber das ist natürlich nicht der richtige Grund, warum ich das mache, was ich mache. Natürlich macht es sich dann später, wenn ich mal berühmt bin und bei KernerBeckmannMaischberger sitzen muss, besser, wenn ich sage, dass ich das nur der Frauen wegen gemacht habe. Dann lacht die Republik und die Leute denken "Na, so ein Schelm." und gönnen mir den kleinen Spaß, während ich gleichzeitig versuche Anne Will neben mir anzumachen. Aber das ist ja nur Show, denn das mit dem Sex und den Autoren ist ja eine komische Sache. Die meisten sind viel zu sensibel für wilden, exzessiven, wahnsinngen, perversen Sex. (ich natürlich nicht, hahaha). Viele mir bekannte bekannte Autoren liegen zu Hause, gehen Fußballspielen oder sitzen in Kneipen in der Ecke rum und trinken Bier. Sie unterscheiden sich also nicht von irgendwelchen Quartalsalkoholikern, was auch daran liegen mag, dass sie welche sind und deswegen so aussehen. Andere wiederum sind sensible Kreaturen, die zwar nicht immer mit einem Schal rumlaufen, aber oft naturtrüben Apfelsaft trinken. Sie haben schütteres Haar, ihre Stimme ist leise und sanft und sie leiden an einer seltenen Krankheit, die nur von wenigen Ärzten entdeckt werden kann. Beide Gruppen haben nie oder nur selten Sex. Das ist im übrigen auch auf Frauen zu übertragen. Ich kenne mindestens zwei (!) Damen, die vorzüglich schreiben und man denkt sich: "Junge, junge, da muss aber was abgehen." , aber da geht kaum was, in einem besonders tragischen Fall sogar nichts. Vielleicht liegt es daran, dass diese Autoren und Autorinnen einfach begriffen haben, dass es im Leben nicht im Sex sondern nur um die KÜNSTERLISCHE WAHRHEIT geht, der Essenz des Denkens.

Aber der wahre Grund, warum ich schreibe ist es natürlich nicht. Die Wahrheit ist natürlich, dass ich es nicht weiß. Ich bin nicht berufen worden. Adorno/Hemingway/Thomas Mann sind mir nicht im Traum erschienen und haben mir befohlen "Dahlmann, geh, fick sie alle rette die Literatur!". [insert=Groucho Marx ist mir vielleicht mal im Traum erschienen, aber das gildet glaub ich nicht.] Die Muse hat mich nicht geschubst, nicht mal leicht touchiert. Ich fand das Schreiben früher sogar richtig blöd, was dazu führte, dass meine Grundschullehrerin dachte ich sei blöd. Trotzdem bin ich da gelandet, wo ich jetzt bin, und somit ist die Schreiberei das beständigste, dass ich jemals im Leben gehabt habe.

Versuche in anderen Bereichen der Arbeit (Büro, Plattenfirma, Fabrik, Callboy) scheiterten alle kläglich so dass am Ende nur eine wage Vermutung bleibt, warum ich schreibe: 1. Ich kann machen was ich will. 2. Ich kann es dann machen wann ich will. 3. Ich kann ausschlafen. 4. Selbst wenn ich im Liegestuhl liege, arbeite ich. 5. Man lernt spannende Frauen und immer wieder neue Alkoholika kennen. Wenn man jetzt auch noch richtig ordentlich Geld damit verdienen würde, wäre alles gut.

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Eine der merkwürdigsten Frauen, die ich jemals kennen gelernt habe, war eine Frau aus Ostfriesland. Also, ich glaube, dass sie aus Ostfriesland war. Muss auf einer Sause in der "Daniela Bar" in HH gewesen sein. Auf jeden Fall tanzte sie irgendwann barfuß auf der Theke und kickte mit ihrem großen rechten Zeh, der wirklich sehr groß und lang war, die Aschenbecher runter. Der riesige Zeh stand in überhaupt keinen proportionalem Zusammenhang zu den anderen Zehen, die daneben verkümmert wirkten. Aber ich finde solche kleinen Fehler der Natur ja erotisch. Die Thekenmannschaft nahm alles begeistert zu Kenntnis nahm, und die drei nachgemachten Sintis mit dicken Bäuchen, die gerade was ungarisches fiddelten auch. Sie sägten sich den Teufel aus dem Leib und sie da oben machte das gleiche, nur tanzend. Ich war völlig fasziniert von diesen beiden riesigen großen Zehen die vor mir auf der Theke tapsten und ja, das geb ich zu, wo sie auf der Theke tanzte, dachte ich, dass ich gerne mal mit ihr Zehenvergleich machen würde. Großartiger Abend. Küsschen links und rechts, gute Nacht. Zwei Abende später tanzte sie mit dem Besitzer einer Sofakneipe zu Aznavour und Gainsbourg und bei "Bönnie änd Kleide" ließ sie ihren Pullover über den Kopf kreisen. So exaltiert sie schien: Reden war nicht so ihr Ding. Sie saß/stand lieber rum, saugte an einem halben Liter Jever, beobachtete über den Bierflaschenhals die Leute, strich sich eine Strähne hinters Ohr, keckerte plötzlich los, verschwand auf der Toilette, oder zog sich die Schuhe aus, um zu tanzen. Wir trafen uns immer nur in den Läden, nie davor. Wenn wir uns sahen, sagten wir "Hallo", "N Bier?", "Super hier" und "Noch n Bier?" Wenn sie betrunken wurde, sagte sie in einem Anfall von Wortschatzfund "Boah, muss nach Hause. Sehen wir uns morgen? Oder SMS, ja? Schüss." Deswegen hab ich mich nie getraut mir ihr Essen zu gehen. Ich hatte immer Angst, dass kein Gespräch entstehen, und ich mich vor lauter Fremd- und Eigenscham um Kopf und Kragen reden würde. So hab ich leider verschiedene Dinge nie rausbekommen: Zum Beispiel ihren Nachnamen. Oder wie alt sie eigentlich war. Oder was sie so im Leben machte. Oder warum sie sich mit mir dauernd im Mojo traf. Gut, manche Menschen finden andere Menschen bei sich im Bett wieder, von denen wissen sie noch viel weniger. Noch nicht mal die Handynummer.

Manchmal schrieb sie Nachts eine SMS, die ging dann so:

Sie: Noch wach? Ich: Ja. Alles gut bei Dir?

Antwort bekam man selten. Sie wollte nur wissen, ob man es einem gut geht. Das einem gut ging, leitete sie wohl aus der Tatsache ab, dass man antwortete. Wenn man Nachmittags eine SMS bekam, dann waren das immer Anweisungen. "Heute Mojo 11". Telefonieren hatte ich bei ihr nach zwei Versuchen aufgegeben.

Nach einem langem Mojoabend passierte dann mal was. Sommer, die Sonne war auch schon da. Mit Bier bewaffnet saßen wir auf einer Mauer über dem Hafen nebeneinander und sagten Sachen wie "Guma, Schiff" oder "Geil son morgen". Das war ja nun die Chance unsere Kommunikation einzupegeln. Nach vier oder fünf gemeinsam durchfeierten Nächten und mindestens zwei Kisten Jever hatte ich das Gefühl, dass man die Zeit, die man miteinander verbringt und in der man nicht miteinander redet, vielleicht auch knutschend verbringen könnte. Aber ich hab alle Ambitionen fallen gelassen. Weil mir auffiel, wie angenehm sich das anfühlte, mit ihr, die ebenso schräg wie still war, durch die Gegend zu ziehen. Kein belangloses Reden, kein "Schau mal, was ich alles gemacht habe" Gehabe. Jeder emotionale Vorstoß schien mir völlig unangebracht, und so, als ob ich etwas sehr zerbrechliches kaputt machen würde. Diese stille Sitzen auf der Mauer, das langsame, gemeinsame Abkühlen, das Klingen und Knirschen der Bierflaschenböden, wenn man sie auf dem Mauerrand absetzte, das Schnappen des Feuerzeugs - all das war ein wundervoller, einzigartiger Moment. Ich hätte sie nicht küssen können, geschweige denn sie anfassen. Ihre Nicht-Kommunikation barg ein Geheimnis und ich war nicht gewillt es zu lüften. Aus Angst etwas zu zerstören vielleicht, oder aus Furcht, dahinter verberge sich am Ende doch nur das Übliche. Ich hab sie lieber noch zur S-Bahn gebracht und gewartet, bis ihre Bahn losfuhr, um dann langsam zu Fuß nach Hause zu gehen. Wir sind über ein halbes Jahr immer mal wieder weggangen und irgendwann, als wir mal wieder völlig verschwitzt aus dem Mojo kamen, sagte sie "Ich zieh nächste Woche nach Bremen". Pause. Dann: "Warst der netteste Kerl, den ich hier kennen gelernt hab." Pause. "Schade". Küsschen links, Küsschen rechts. Eine sehr lange, feste Umarmung. Und ward nicht mehr gesehen.

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Ich will umziehen. Nicht, dass der Wedding nicht schön wäre. Aber hier muss mal was passieren. Ich wohne seit zwei Jahren in Berlin und nur im Wedding.. Typische "Erste Wohnung in Berlin Wohnung" . Ganz okaaaaay, aber jetzt auch nicht sooooo dolle. [insert hier: Beim lesen der Vokale, bitte sich vorstellen, wie jemand die Tonleiter runterrast]. Jetzt überlege ich wohin. Das Ostseemädchen wohnt ja im Prenzlauer Berg [oder Prenzelberg, wie wir Wessis gerne mal salopp sagen, wenn wir drei Prosecco getrunken haben und die Sonne scheint]. Also wäre es jetzt irgendwie ein affiges rumgehampel, wenn ich, sagen wir mal, nach Charlottenburg ziehen würde, was ich aber aber gottseidank sowieso nicht will. Ich will dem geneigten Leser gerne sagen was ich will: Ich will eine hübsche 2-Raum Wohnung, an der ein Balkon dranhängt auf dem man zu zweit sitzen und im Sommer dem dicken Zeh zwischen die Balkongitter stecken kann. Und gerne soll die Wohnung eine Küche haben, in der man sich bewegen, am allerbesten auch sitzen kann. Ich koche gerne, da brauch Platz und wenn Besuch da ist, will man nicht alleine in der Küche stehen. Auch sollte sie eine vernünftige Heizung haben. Keine Ofenheizung. Nein. Nimmer nicht. Ich habe es geschafft aus meinen bisherigen Ofenheizungwohungen ohne Rheuma raus zu kommen, dass soll so bleiben. Irgendwann ist man auch einfach zu alt dafür morgens die Eisblumen innen vom Fenster abzukratzen. Soweit die Wohnung. Altbau, Neubau ist wurscht. Altbau ist nett, aber kein Muß. Klingt doch ganz leicht, denkt man. Haha, jetzt kommt der schwierige Teil. Ich brauche eine gute Nahverkehrsanbindung, da kein Auto vorhanden. Ich hätte gerne Kneipen in der Nähe die nicht "Zum Schinken" oder "Luxemburger Klause" osä. heißen. Es sollte im P-Perg und 10 Fahradminuten drumherum sein. Und diese tolle Wohnung die da auf mich wartet, dürfte nicht mehr als 500 Euros warm kosten. Achja - es eilt nicht. Ich hab eine Wohnung, die ich auch nicht gekündigt habe. (Für die Münchner Leser: Es ist einfach der pure Luxus, die leichte Langeweile, die mich das machen läßt. Ich hab mir schon drei Wohnungen angesehen, aber die waren alle nicht so perfekt wie ich das haben will. Irgendwas störte mich daran. Zum Beispiel, dass ich für 60qm 50erJahre Altbau mit Balkon, Lage in einem Wohnbezirk mit vielen Studenten, Kneipen, Kino etc. knapp 580 Euro warm zahlen sollte. Das ist ja Halsabschneiderei. So was macht man in Berlin nicht.) Vielleicht findet/hört/sieht ja einer was. Würde mich freuen.

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Diese Pause, die der Antville-Server jede Nacht zwischen 0:34 Uhr und 0:49 Uhr einlegt, dieses digitale Atemholen - ich stell mir das immer wie eine überliebende Mutter vor, der es irgendwann einfach reicht, und sie die Sicherungen rausdreht, damit das Kind aufhört zu lesen und endlich schläft, denn morgen ist ja auch noch ein Tag. Ich hab mich schon häufig von diesem Hinweis ins Bett schicken lassen, natürlich nur unter Maulen, weil es doch gerade so spannend war. Manchmal bin ich aber auch bockig, und lese heimlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke weiter.

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