Hamburg! Da ist mal für ein Jahr nicht in seinem Lieblings Thai-Birma-Indoneser-Italiener und dann macht der den Laden dicht! Gut, er hatte mich schon mal vor zwei Jahren gefragt, ob ich den Laden nicht übernehmen möchte, da er sich mehr um seine Krabbenzuchtfarmen in Thailand kümmern wollte, aber das muss ja nun nicht bedeuten, dass man den Laden wirklich dicht macht und einen Nachmieter findet, der auch noch alles renoviert!

Es geht hier um den winzigen Laden, der früher mal "Entree" hieß und in der Sternschanze lag. Ich entdeckte ihn, als ich eines späten Nachmittags meinen Kater kurieren mich erfrischen wollte. Dazu muss man folgendes wissen: In Hamburg kann man nicht draußen sitzen. Das liegt zum einen am Wetter, das immer schlecht ist, und wenn es gut ist, doch die Tendenz hat, zwischendrin schlecht zu werden. Und wenn es nicht die Tendenz hat, dass es schlecht wird, dann ist es erstaunlicherweise auch am Vorabend toll und warm gewesen, was eine Ausnahme ist, was bedeutet, dass man sich am Vorabend wegen des seltenen schönen Wetters rettungslos betrunken hat, zu spät aufgestanden und zu spät raus gegangen ist und nun alle Plätze rettungslos belegt sind. Zum anderen weil die Hamburger den seltenen Drang haben, alles drinnen zu machen. Auf der Quartalskrimes namens "Dom" sind sogar die Biergärten in Zelten

Jaja, ich hör jetzt schon die Hamburger, die sagen: "Aber Hamburg ist eine schöne Stadt!" Geschenkt. Jedenfalls ähnelt der Kampf um einen freien Sitzplatz im Sommer in Hamburg den Bildern, die man in der Tagesschau sieht, wenn in Hungersnotgebieten Brot verteilt wird. Deswegen laufen Verabredungen von Eingeborenen in Hamburg im Sommer oft so: Hat man nach stundenlangen Suchen, Rumstehen, Warten, Erbetteln und Bitten EINEN Sitzplatz gefunden, bleibt man erstmal schön sitzen. Die Begleitung hockt sich dann auf den Schoß, zieht ihre vollrundrumverglaste Sonnenbrille an und kaut Kaugummi. Dann wird noch ein Platz frei und es wird das Handy gezückt. 30 Minuten später taucht Vollrundrumverglaste Sonnenbrille Zwei und Drei auf. Dann sitzt man da und lacht über die andern, die warten müssen. Es ist 17.00 Uhr. Man könnte jetzt noch woanders hingehen, aber es folgt meist dieser Dialog:

Sonnenbrille 1: Solln wia noch zu S-tephano ins Rustica gehen? Sonnenbrille 2: Och. Kerl: Nö, wir sitzen doch so toll hier Sonnenbrille 3: Und bei S-tephano is immer so voll, da kriegen wir nix mehr Sonnenbrille 1: Aber wenn wir jetzt gehen, ist bestimmt noch was frei. Oder wir trinken noch einen Prosecco. Kerl: Och nö, lass uns doch hier bleiben. Is doch super gemütlich. Ich ruf noch den Thomas und die Ulla an und dann essen wir hier was. Wir ham doch hier son tollen Tisch. Sonnenbrille 2 +3: hehehe

Also bleibt man sitzen, und verteidigt seinen Tisch mit allen Mitteln. Wird nämlich ein Platz frei, stürzt, oft und gerne auch im Laufschritt, eine Person herbei und man kann folgendes hören:

Typ so: Is noch frei? Anderer Typ so: Nein, da kommen gleich nochn paar Freunde, meine Eltern, meine Urgroßeltern, deren Schwippschwäger, meine Nichten, und ein Kumpel aus der Musikbranche mit seiner Band. Typ so: Ach

Ich war also zu spät und wollte draußen sitzen. Alles mit rumdrumverglasten Sonnenbrillen voll. Da entdeckte ich in einer Seitenstrasse das "Entreé", dachte, "Was für ein Scheißname". Zudem hatte der Laden Stühle draußen, aber niemand saß da. Aber egal: Ich hatte einen ganzen Tisch für mich! Im Sommer! Am Wochenende! In Hamburg! Und das Bier war lecker! Und es gab Essen! Und zwar richtig gutes. Der Laden gehörte Ronald, einem, sehr netten, nicht ganz armen Thailänder, der einen birmesischen Koch hatte, der in Italien kochen gelernt hatte und Sachen wie "Nudeln mit leicht scharfer Thaisosse" kreierte. Von dieser "licht scharfen" Thaisosse kann auch Herr Paulsen ein Lied singen (der im übrigen, wenn er Lust hat, auch mal die Geschichte von "Pierre und Pomp" erzählen könnten).Innen drin war alles schwarz wie die Nacht, völlig verraucht, mit dem Ambiente eines Kellerlokals. Es lief immer Jazz und es gab am Schluss immer sehr leckeren Birnenschnaps, der jeden Abend in einer fröhlichen Katastrophe enden ließ. Ein Laden, wie für mich gemacht.

Gestern laufe ich in allerbester Gesellschaft da hin, und will angeben, von wegen "Hach, hier war ich immer, die kenne ich alle, die haben lecker Pasta und geilen Birnenschnaps, trink aber bloß nicht den Rotwein, das ist "Chateau Schädelweh", aber wenn Ronald da ist, der kann abgedrehte Geschichten aus der Thaiszene in Hamburg erzählen, und der fürchterlich langsame Kellner, ach ich liebe diesen Laden." Und dann mache ich die Tür auf und alles ist weg. Kein Ronald, keine siffige schwarze Inneneinrichtung, keine knarrenden Holzdielen mehr, keine Kerzen, kein Jazz, dafür verfickte orangene Neonbeleuchtung, hässliche Tische, eine extrem hässliche Bar, Chillout Musik und keiner drin. Vor Schreck hab ich die Tür sofort wieder zu gemacht, dann noch mal auf, weil, vielleicht war das ja gerade ein kleiner Scherz vom Universum, dachte ich, aber nichts da. Das Entreé ist Geschichte. Ich bin sehr traurig. Und angeben konnte ich auch nicht.

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Ok -Frühling. Kommt mir ganz recht. Deswegen habe ich heute wieder etwas getan, was aufmerksame Leser dieses Blogs als die "Dahlmannsche Leidensepistel" kennen: Ich war beim Friseur. Natürlich wieder bei meinem treuen 10 Euro Friseur. Ich mach das nämlich immer so: Alle vier bis sechs Monate merke ich, das nicht nur irgendwas in, sondern auch auf meinem Kopf nicht stimmt. 'Aber so was merkt man doch vorher!' hör ich den Leser da rufen und hinzusetzen 'Man hat doch einen Spiegel zu Hause. Ich mein den richtigen, nicht den 'piegel'. Womit wir bei einem weiteren Sorgenkreis im Hause Dahlmann angelangt wären: "Das große Spiegel-Problem"

Ich habe nämlich keinen. Keinen richtigen. Also verspiegelten Spiegel. Ich habe aus dem Nachlass einer Dame (Grüße nach Mönchengladbach) einen kleinen Schminkspiegel, welchen ich an die losen Nervenenden einer aus der Wand rausragenden Stromleitung gehangen habe. Natürlich hätte ich gerne einen richtigen Spiegel, vielleicht einen mit güldenem Rahmen, in dem ich morgens mein Antlitz erfreut zu Gänze betrachten kann. Das Problem dabei: Ich finde keinen. Gut, ich suche auch nicht, aber es läuft mir einfach keiner über den Weg. Deswegen hängt also dort seit meinem Einzug im letzten Juni ein Schminkspiegel.

Das ist gar nicht so schlecht, wie es sich anhört. Das hat nämlich grandiose, ich würde sogar sagen glamourhafte Vorteile. Zum einen den, dass ich meinen Ruf als kauziger und liebenswürdiger Junggeselle gerecht werden kann, zum anderen dass man sich morgens nicht sehen muss. Man kann einfach am Spiegel vorbei schauen und hat selbst nach einer durchzechten Nacht den Eindruck, man sehe aus wie ein frisch gebügelter Cary Grant. Desweiteren kann ich in diesem Spiegel genau erkennen, wann es wieder Zeit ist, zum Friseur zu gehen. Ragt meine Frisur über den Spiegelrand heraus,weiß ich, dass es Zeit ist, einen Fachbetrieb aufzusuchen. Auf Grund des langen Winters ragten meine Haare aber mittlerweile so weit über den Rand heraus, dass ich schon gezwungen war, den Spiegel in dem fünf Meter langen Flur aufzuhängen, um meine Haare mal in voller Länge sehen zu können.

Also Friseur. Obwohl mir neulich von kompetenter Seite gesagt wurde, ich hätte eine "Nicht-Frisur", also keine Frisur die in Ansätzen oder auch nur im entferntesten etwas mit dem Ding zu tun haben könnte, was andere Leute auf dem Kopp haben. Ich habe dies brüsk zurück gewiesen, getreu der Devise "Erst alles dementieren, dann scheibchenweise zugeben." Das mit der Frisur habe ich nämlich mal in Köln ausprobiert, und es kann durchaus sein, dass dies einer der Gründe ist, warum ich seitdem nicht mehr nach Köln gezogen bin, obwohl mein Herz am Rheinland hängt. Es war so, dass ich meine Haare hatte wachsen lassen, bis ich zu der Überzeugung kam, dass sie nun eine Länge hätten, mit der eine gut geschulte Friseurmeisterin Wunder vollbringen könnte. Ich holte mir einen Termin in einer der feinsten Frisurmanufakturen die Köln zu bieten hat, kam ein wenig zu früh und blätterte interessiert in den drei Tonnen schweren Frisurkatalogen der Manufaktur. Was es da alles an tollen Frisuren gab! Was die Frisur-Könige an der Kölner Unterwelt High Society alles vollbringen konnten! Ich dachte mir: wenn sie es schaffen Wolfgang Niedecken eine Frisur zu verpassen, der eigentlich immer so aussah als sei eine wild gewordene Vorstadtfriseuse mit einem TCM Lockenstab über einen Bobtail hergefallen, also wenn die das hinbekommen, dann bin ich ja wohl einer, den man mal so nebenbei formschön gestaltet. Also zeigte ich der Dame ein paar Bilder und sagte vertrauensvoll "Machnse mal". Das mit dem Vertrauen meine ich sehr ernst, denn man muss beim Friseur ja immer seine Brille aussehen, und ohne Brille sehe ich nichts, weiß also auch nicht, was man mit meinen Haaren veranstaltet.

Um es kurz zu machen: Danach hatte ich etwas auf dem Kopf das aussah, wie ein vier Jahre altes, von einem völlig desinteressierten und erschöpften Vogel läppisch zusammengehauenes Nest, in dem ein Tube Isolierschaum explodiert war. Schon im Laden begleiteten mich vor Schreck und Unglauben geweitete Augen. Draußen blieben Kinder stehen, zeigten mit dem Finger auf mich oder fingen einfach an zu weinen. In einem nahe gelegenen Nike-Laden kaufte ich mir dann ein Mützchen, das man mir aus Mitleid schenken wollte. Nach ein paar Tagen in meiner abgedunkelten Wohnung ging ich dann bewaffnet mit der Mütze schnell um die Ecke zu einem türkischen Barbier, der sich nichts anmerken ließ und das Nest entfernte. Seitdem habe ich auf weitere Versuche in Sachen „Frisur“ verzichtet. So auch heute. Das Ergebnis gibt es bald auch mal wieder auf einer Lesung zu sehen.

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Beim Aufräumen gefunden. Ein alter Text über eine Begegnung, die vielleicht schon sechs Jahre her ist. Ich hatte vor vielen Jahren mal eine Freundin in Rheinbach. Eine schöne Frau, lange schwarze Haare, ein wenig gruftig, so wie die meisten Ende der 80er. Sie hatte Humor, war schlagfertig und ungeduldig, weswegen sie die Sache mit uns auch beendete, weil sie keine Lust mehr darauf hatte, dass wir uns nur am Wochenende sehen. Ihr großer Wunsch war vor allem: Weg. Weit weg aus dem Dorf, vielleicht Kunst studieren, auf jeden Fall irgendwas studieren und sich bilden. Ein anderes Leben, als das ihrer Eltern, die im Dorf geboren waren. Jahre später traf ich in Hamburg (!) einen gemeinsamen Freund aus der Zeit, der mir wilde Sachen über sie berichtete und mir ihre Telefonnummer gab. Wir trafen uns dann an einem trüben Wintertag kurz vor Weihnachten in einem Café. Die Zitate von ihr stehen so in dem Heft, dass ich gerade fand, erinnern kann ich mich nur noch an wenige. Ich hab die Geschichte etwas überarbeitet.

Deutlich abgemagert wirkt sie, als ich sie nach langer Zeit das erste Mal wieder sehe. Ich weiß erst gar nicht, wo ich hin schauen solle, denn ein bisschen peinlich ist mir das Treffen auch. Während ich darüber rede, wie unverändert doch hier alles sei, suche ich Punkte in ihrem Gesicht, an denen sich meine Erinnerungen verankern können, die mir die gleichen Geschichten erzählen wie damals, als ihr Gesicht noch fülliger war. Vielleicht war das damals noch Babyspeck, denke ich leise und bestelle in dem muffigen Café dass sie ausgesucht hat eine Cola, da werden sie schon nichts bei falsch machen können. Ich bekomme eine winzige 0,2 l Cola-Flasche, ein 0,2l Colaglas mit grünen Rand oben in dem zwei Eiswürfel und eine dünne Scheibe Zitrone auf ihren Einsatz warteten, sie nimmt einen Cappuccino, den gibt’s hier mit Schlagsahne statt aufgeschäumter Milch, aber das scheint sie nicht zu stören. Ich fische die Zitrone aus dem Glas und sage "Hab doch gar keinen Salat bestellt" und sie lacht etwas nervös und packt die dünnen Zigaretten aus, die heute keiner mehr raucht. "Siehst gut aus," lüge ich, bemühe mich ihr dabei nicht in die Augen zu sehen und hasse mich schon selber für meine Idee, hier hin gefahren zu sein. Sie zupft sich unsicher an einem Ohrläppchen und fährt sich durch die dunkel gefärbten Haare. Abwechselnd zieht sie mit spitzen Lippen an ihrer Zigaretten, klopft sie nervös am "HB" Aschenbecher ab und trinkt ihren Cappuccino. Sie sagt kaum was, lässt mich erzählen, was ich so gemacht habe. Nach der gemeinsamen Zeit wieder nach Bonn, dann Köln, dann Hamburg. Von Hamburg will sie eine Menge wissen. Wie es da sei, der Hafen, die Geschäfte, die Kneipen, die Reeperbahn, ob ich auch mal mit einer Nutte geschlafen hätte, und sie glaubt mir das nicht, dass ich nie in einem Puff war und bläst mir den Rauch ins Gesicht. Für einen Moment taucht da das spöttische Lachen in ihren Augen auf, dieses Blitzen, das mich damals so fasziniert hat, das sie auch auflegte, wenn sie sich auf dem Bett über mich kniete, ihr T-Shirt auszog um dann ihre Haut auf meine zu legen. Aber das Blitzen verschwindet wieder hinter dieser Wolke aus Unsicherheit und ich meine Angst zu erkennen und frage sie, ob sie sich wohl fühlt. "Büschen nervös" flüstert sie. Ich glaube ihr das nicht, ich sehe da noch was anderes hinter der brüchigen Fassade, also frage ich nach ihrem Leben.

Zwei Kinder hat sie, ein Junge, eine Tochter vier und sechs Jahre alt, sie wohnt in einer Wohnung in Rheinbach, nicht weit weg von diesem Café, leider kein Balkon, aber ein Spielplatz um die Ecke, das ist ja wichtig. "Und dein Mann", frage ich. Sie drückt die Zigarette aus. Ja, doch. Mann hatte sie auch. Ob ich mich noch an G. erinnern könnte, ich schüttel den Kopf. "Doch, "beharrt sie, " den kennste, der war auch immer dabei, der war doch mit der Kleinen aus dem Schreibwarenladen zusammen." Ich schüttel den Kopf und krame in meinen Erinnerungen. "Ach komm, den musste noch kennen. Das war doch der mit dem Passat, der uns immer zum See raus gefahren hat und dann daneben gelegen hat, während wir, du weißt schon." Die Erinnerung kommt wieder und ich muss mich beherrschen nicht "Du hast diesen Deppen geheiratet?" zu sagen, also lüge ich weiter. Natürlich, G. . Ein traditioneller Idiot wie man ihn in jedem Dorf findet. Der Kerl, der ein bisschen zurückgeblieben scheint, nett zwar, aber irgendwie komisch, mit merkwürdigen Hobbys aber dem Auto von seinen Eltern, mit der einen quer durch die Gegend gefahren hat, nur um dabei sein zu können. Diese Sorte von nicht netten Deppen, die sich ein wenig ausnutzen lassen aber auch was dafür haben wollen, und in unserem Fall wollte er immer nur neben uns liegen und sich einen runterholen, während wir am See knutschten oder ich ihr mal zwischen die Beine fasste. So was vergisst man natürlich nicht. Ich gebe also auf "Den haste Du jetzt nicht ernsthaft geheiratet" sag ich, und sie sinkt ein wenig in sich zusammen und sagt "Doch". Wolltest Du nicht mal Kunst studieren und aus diesem Kaff hier weg?" frage ich und sie dreht die Asche ihrer Zigarette an der Glaswand des Aschenbechers ab. "Ja, Kunst, da ist lang her." Pause. "Klingt blöd, wenn man das sagt, oder?" Warum sie hier geblieben ist, frage ich und sie beginnt zu erzählen, während ich zuschaue, wie sie dabei die kleinen, alten Hautstückchen von ihren Fingern entfernt.

Erstmal sei gar nicht passiert. Nachdem ich weg war, habe sie ganz normal Abi gemacht, dann zu Hause ausgezogen, dann nach Bonn zum Studium, aber nur ein Semester, dann sei ihr Vater gestorben. Einfach umgefallen. Ihr Vater war so ein kleiner, kugeliger Mann. Typ ehrlicher Arbeiter, in der Woche meist im Blaumann, am Wochenende eher in den "guten Sachen", mit einem Hobbykeller in dem er alte Gartenmöbel aufpolierte und nebenbei verkaufte. Ein Mann mit dem typischen Dorf-Humor, einer, den man in der Kneipe treffen konnte, der mal Kassenwart im Skatverein war, der zum Schützenfest ging und dann eines morgens von seiner Frau tot im Hobbykeller gefunden wurde. Das sei ja schon schlimm gewesen, aber ihre Mutter habe das nicht verkraftet und kaum ein halbes Jahr später habe sie einen schweren Schlaganfall bekommen. Der Arzt habe gemeint, da sei nichts mehr zu machen, dass sei ein Pflegefall, da lohne sich kaum eine Reha, und sie, sie hatte ja keine Ahnung, war ja gerade 20 oder so, und aus der Familie kam auch keine Hilfe, also sei sie wieder zu Hause eingezogen und habe die Mutter gepflegt. Erst so, dann habe sie eine Pflegeausbildung gemacht, damit sie die Mutter wenigstens vernünftig versorgen können und einen Job habe. Also tagsüber Ausbildung, den Rest des Tages die Mutter, die kaum noch sprechen und sich nicht mehr bewegen konnte. Nicht mal zur Toilette. "Es ist eine Sache," berichtet sie leise, "wenn man seine Mutter ausziehen und waschen muss. Eine andere ist Sache mit der Toilette." und ich kann mir vorstellen, was sie meint. Da sei kein Platz gewesen. Für nichts. Sie habe keine Zeit mehr gehabt, vielleicht Abends mal eine Stunde vor dem Fernseher, aber das war es. Manchmal steckte ihr ein Onkel einen Hunderter zu, dann fuhr sie mit der Bahn nach Bonn und plötzlich blitzen die Augen, als sie mir ohne Scham, so als ob wir uns seit Jahren gut kennen würden, erzählt "Ich hab mich von jedem ficken lassen, der es wollte. Es war so leicht. Ich musste nur an der Tanzfläche stehen und mir einen aussuchen, dann sind wir in sein Auto oder manchmal auch nur aufs Klo. Ich hab mir meinen Spaß geklaut. Es war wie ein Diebstahl, denn ich konnte ja nie eine Nacht bei einem bleiben, weil ich am nächsten Morgen wieder bei meiner Mutter sein musste. Und mitnehmen wollte ich auch keinen, denn ich wollte nicht mit dem zu mir fahren, um da erst mal meine Mutter von ihrem Kot zu befreien. Also hab ich sie gleich da genommen. Alle hatten Spaß, ich wollte auch." Dabei lacht sie laut, vor allem in dem Moment, als von den Erlebnissen im Auto berichtet. Ich merke, dass sie mit was spielt und fühle mich in meiner Ecke unwohl.

Manchmal dachte sie darüber nach, die Mutter einfach umzubringen. Aber sie hatte nicht den Mut, die Kraft und sie habe sich schuldig gefühlt, allein bei dem Gedanken. Also machte sie weiter. Und sie musste lange weiter machen. "Normalerweise," sagte sie ohne die Stimme zu verändern, "normalerweise bekommen so Patienten irgendwann eine Lungenentzündung oder eine Embolie. Das geht dann meist schnell, weil der schwache Körper sich nicht mehr wehren kann. Aber nicht bei meiner Mutter. Die war stark." Also machte sie weiter. Zehn Jahre. In der Zwischenzeit versuchte sie immer wieder ihre Mutter in einem Pflegeheim unterzubringen, aber das war zu teuer, selbst dann, als der Onkel starb und ihr eine kleine Summe vererbte. "Weißte, ich hätt davon auch meine Mutter im Heim unterbringen können, wenigstens ein oder zwei Jahre. Aber ich dachte mir immer, dass ich das Geld lieber behalten will für die Zeit danach. Ich wollte wegfahren. Indien. Oder mal nach Kuba." Ihre Blicke haben sich mittlerweile auf mich konzentriert, sie flackern nicht mehr, sind ganz still und voller Ruhe. Eine ältliche Kellnerin hat den Dienst übernommen, begrüßt sie als sie und eine neue Runde auf den Tisch stellt mit dem Vornamen und mich mit einem stummen Blick.

Die Mutter wollte nicht sterben und sie verlor immer mehr den Spaß am Leben. Sie saß zu Hause rum, kiffte, soff, blätterte in Reiseprospekten und malte sich das aus, wie das ist, am Strand von Kuba, alleine, ohne Mutter, ohne Verpflichtung. Sie stellte sich vor, dass sie dort einen Engländer kennen lernen würde, einer der so aussah wie Simon LeBon, mit dem sie immer auf Englisch diskutierte und der sie zum Essen einlud. "Ich hab mir das in allen Farben ausgemalt, dass kann man sich gar nicht vorstellen. Jeden Abend immer die gleiche Phantasie, die immer detaillierter wurde, ich hab sogar auf Englisch mit mir selber gesprochen." Aber statt englischen Edelmann kam eben G. . Sie seufzte tief. "So'n Abend inner Kneipe halt. Hab mir mal ne Auszeit genommen und dann war da eben plötzlich auch G." Mittlerweile mit Bauch und eigenem Passat ausgestattet. Die Mutter machte G. nichts aus, er half sogar ein wenig bei der Pflege. "Weisste, er machte mir echt Sonne ins Leben. Jahrelang hab ich nur rum gesessen, und plötzlich war da einer, der sogar morgens neben einem aufwachte." G. war zwar arbeitslos, arbeitete aber nebenbei schwarz als Dachdecker und brachte so eine gute Menge Geld ins Haus. Es entwickelte sich eine Romanze und eines Tages fuhr er mit ihr übers Wochenende nach Bad Kreuznach. "Er hatte alles organisiert. Eine Pflegehilfe für meine Mutter, das Hotel. Ich wusste genau was kommen würde." Die Hochzeit war bescheiden, G. zog ein und sie wurde schwanger.

"Natürlich war das alles scheiße." Sie zieht wie zur Entschuldigung die Schultern nach oben und lässt sie wieder weit nach unten sinken. "Da warte ich jahrelang drauf, dass meine Mutter stirbt und dann das." Und kaum war sie schwanger, starb die Mutter. Sie lebte weiter mit G. der mit der Zeit eine unfassbare Eifersucht entwickelte und sie regelrecht in der Wohnung einsperrte. Er verbot ihr wegzugehen, er ging für sie einkaufen. Er ließ sie keine Sekunde aus den Augen und ihre Wünsche ignorierte er völlig. Mittlerweile hatte sie ihren Job aufgegeben und wieder saß sie nur zu Hause. "Ich wusste genau, was los war, aber ich konnte mich nicht dagegen wehren. Er war einfach zu stark." Bei den Worten schaue ich sie erstaunt an und frage, ob er sie auch noch geschlagen habe. "Aber hallo," und sie sagt das so, als wenn es etwas völlig natürliches sei "der hat mich quer durch die Wohnung geprügelt. Einmal hatter mir sogar eine Rippe gebrochen. Der hat sich genommen, was er wollte. Aber ich war ihm nicht scheißegal, das echt nicht. Der war einfach nur krankhaft eifersüchtig, der hatte immer Angst, ich würde ihm weglaufen, der hatte doch nie eine Frau und weil der sich nicht wehren konnte, hatter mich geschlagen." Ich kann es kaum fassen, was sie mir da mit ruhiger Stimme erzählt und sie ruft schnell bevor ich was sagen kann. "Jajaja ich weiß. Hätt ihn rauswerfen sollen, aber bis ich das bemerkt habe, war sich schon wieder schwanger. Mit dem Kleinen. Nicht unbedingt ein Kind der Liebe, wenn du weißt, was ich meine. Deswegen versuch ich den Kleinen um so mehr zu lieben."

Irgendwann wurde es ihr dann doch zuviel. Nach einer Prügelorgie holte sie die Polizei, die G. erstmal mitnahm, nachdem die Polizisten die blutenden Wunden in ihrem Gesicht gesehen hatten. "Die waren total nett, der eine hat mir direkt ein neues Schloss eingebaut, damit der nicht mehr rein kommt und mir seine Privatnummer gegeben, falls mal was sein würde, is ja Dorf hier." Ihr Glück war, dass sie noch das Geld des Onkels hatte. Das nahm sie dann vom Sparbuch um die Miete und ihr Leben zu finanzieren. Wegziehen wollte sie aber trotzdem nicht. "Ich hab echt geheult, als ich das Geld vom Sparbuch genommen habe und gesehen habe, wie es immer weniger wird. Das war doch mein Traumgeld, und jetzt ging es für so einen Scheiß wie Brot und Kinderschuhe drauf." Ich kann nicht verstehen, warum sie nicht aus dem Dorf weggezogen ist, wenigstens nach Bonn. Sie zuckt abermals mit den Schultern. "Ach Bonn. Ne. Weißte, ich wollte immer weit weg. Ganz weit weg von hier. Bonn ist doch um die Ecke, da kann ich gleich hier bleiben. Außerdem hat sich G. mittlerweile gefangen, der hat ne Neue und kümmert sich lieb um die Kinder. Und gibt mir ein bisschen Geld, so kann ich mein Geld sparen. Ich will ja immer noch weg, irgendwann. Wenn die Kinder groß sind, dann bin ich 50. Das ist doch kein Alter, da kann man doch noch mal neu anfangen."

Als ich später im Auto sitze, bin ich angewidert. Angewidert von ihr, dass sich so hängen lässt, angewidert vom Leben, dass es so was zulässt und angewidert von mir, dass ich auf ihr Angebot, noch zu ihr zu gehen erst eingegangen bin, um dann die Wohnung nach einer halben Stunde fluchtartig zu verlassen. Ich glaube, ich war neugierig darauf, wie sie sich wohl eingerichtet hatte, aber das war alles schlimm und dunkel und voller Bratkartoffelgeruch. An den Wände waren Bilder in Neonfarben, die schon in den 80ern aus der Mode waren, daneben ein Harlekin, drei Packungen dünne Zigaretten neben den Fernbedienungen auf dem Tisch und als sie ihre Hand mit den abgenagten Fingernägeln auf mein Bein legte, da stand ich auf und ging ohne sie noch einmal zu umarmen. Ein paar Jahre später hab ich dann noch mal angerufen, aber da ging die Telefonnummer schon nicht mehr und das machte mich sehr froh.

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Ich verstehe wirklich nicht, warum die Leute im Winter draußen rumlaufen und einem später am Telefon erzählen, wie toll das draußen war. Ich denk dann immer "Aha, wohl was verpasst, vielleicht ist der Frühling ja da und macht der Menschen Haut und Hormone den Mörike." Dann mach ich die Balkontür auf und merke sofort "Nenene". Ich habe mittlerweile gelernt, nicht mehr nach jedem Telefonat mit Menschen, die glücklich darüber quietschen, wie toll es draussen sei, die Balkontür aufzumachen, weil mich die Erfahrung gelehrt hat, dass diese Menschen einen gemeinem Plan verfolgen: Mich zum frieren zu bringen, damit sie nicht alleine frieren.

Denn niemand kann mir erzählen, dass er bei Temperaturen unter Null Grad gerne raus geht. Das ist wider die Natur. Gut, man muss mal raus gehen. Zum arbeiten. Essen kaufen. Freunde sehen. Wenn man auf der Treppe ausgerutscht, auf dem Hintern drei Stufen nach unten gerutscht ist, sich dabei das Steißbein gebrochen hat, bevor man sich mit der Hand gerade eben noch so an einer Geländersprosse festhalten konnte, die dann gebrochen ist und sich beim weitern runterkugeln dummerweise in den Oberschenkel gebohrt hat, während man hart mit dem Kopf an raus stehenden Fußleistennagel aufgeschlagen ist. Dann muss man wohl raus, aber dabei helfen einem dann andere, die einen vorher gut zudecken. Ich kenne ehrlich gesagt auch nur Paare, die mir berichten, dass sie eben draussen waren und es "so toll war, richtig frisch." Niemand meiner Singlefreunde käme auf die Idee bei Kälte raus zu gehen und mich danach anzurufen. Die rufen allerhöchstens an und sagen "Boah, ganzes Wochenende nicht raus gegangen" oder "Haste ein TV Programm, was läuft denn gerade." Es gehört zu den allerschwersten Aufgaben, will man einen Single am einem scheisskalten Winter-Wochenende tagsüber aus dem Haus locken. Gut, Abends. Wenn es was zu trinken gibt und man sagt, "Du, da ist die mit netten Titten mit der großen Bibliothek", dann überlegen die sich das und sagen dann schon vorher "Ach, ich komm dann mit dem Taxi". Ich weiß nicht, was Paare aus dem Haus treibt. Ich seh sie vor meinem Fenster von rechts nach links laufen. Manchmal auch umgekehrt. Sie reden nicht, jeder schaut so rum und es ist völlig offensichtlich, dass sie frieren. Ich habe die wüste Theorie, dass sie deswegen rausgehen, damit sie nachher, wenn sie mit kalten Zehen wieder zu Hause sind, sich darüber freuen können, dass es wieder warm ist. Ich meine, wie schlimm ist das denn. Das ist ja so, als wenn ich mir erst den kleinen Zeh absichtlich an einer Türkante anhaue um später zu sagen, dass es jetzt wieder schön ist, wo es nicht mehr wehtut. Eine andere Theorie die ich habe, bezieht sich darauf, dass sie keine Lust mehr darauf haben im Bett zu liegen und lustiges Staubmäuse-Memory zu spielen. Auch schön: Staubmäuse-Rennen. Jeder hat eine Staubmaus und der, der sie zu erst auf die andere Seite des Raumes gepustet hat, darf sich was wünschen. Jaja, hör ich da schon manche sagen, es gibt auch Menschen, die haben Teppich in der Wohnung liegen, aber da sage ich "Hah!", dann nimmt man halt die Weinkorken vom Vorabend. Also es gibt keinen richtigen Grund bei dem Wetter raus zu gehen, wenn man nicht muss. Oder irgendwo hin will. Zudem ist es gefährlich. Gerade im Winter gibt es schreckliche Keime die der Volkswirtschaft schaden. Wenn alle im Winter weniger rausgehen würden, gäbe es weniger Kranke und uns alles ginge besser. Eine gute Beziehung hält das auch mal aus, dass man 48 Stunden aufeinander hängt. Wenn nicht, kann man ja nach Hause gehen. Wenn man das nicht kann, weil man zusammenwohnt, dann hat man eben Pech gehabt, denn zusammenwohnen ist der Sargnagel einer jeden Beziehung. Aber das ist eine andere Geschichte.

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I

Unbemerkt hatte sie mein Herz gestohlen. "Nie mehr!" schrie ich die Wand an, natürlich trotzig aber gleichzeitig lässig, pittoresk, die Beine auf dem Schreibtisch mit einem Glas Wein in der Hand und einer selbstgedrehten, stinkenden Gauloises zwischen den Fingern, denn Herzschmerz bedeutet ja nun nicht, das man sich gleich selbst vergisst. Könnte ja einer zuschauen. Das ist so wie mit dem Bauch einziehen in der U-Bahn. Eigentlich ist es völlig wurscht, aber es könnte ja sein, dass zufällig jemand reinkommt, den man beeindrucken will. Haltung ist alles. Besonders dann, wenn die Fensterscheiben mit einem weinen, und die Regentropfen kleine, silberne Autobahnen zeichnen. Dann kann man auch gut mal ins Bad gehen und nachschauen, ob die eigenen Tränen auch so was hübsches hin bekommen. Aber nicht mal das schaffen die. Man sieht nur aus, als wenn man sich einen nassen Lappen ins Gesicht geknallt hat, die Wangen stumpf und voller Schlieren.

II

Im meinem Stammcafé tobte auch nicht gerade das Leben, aber sie war da, wie immer, hielt Hof hinter der Bar, ließ alle Avancen an ihren kalten grünen Augen regungslos zerschellen, wie ein Pirat, der auf der Klippe ein falsches Feuer errichtet hat und dort sitzt und wartet, was das Meer ihm anspült, was er sich zwischen den Trümmern nehmen kann. An ihr zerschellten alle und es gab eigentlich keinen Grund, denn schön waren nur ihre Augen und das schwarze Haar, das sich jeden Tag anders auf den Kopf legte, als ob es ein Eigenleben führte und sich nicht dazwischen quatschen lassen wollte. Auf dem Haar thronte heute ein Plastiklorbeerkranz, mit grotesk großen Lorbeerblättern, die sich in den Haaren schon längst tief verhakt hatten. Vor sich ein Wasserglas halbvoll mit Whiskey, den sie nicht trinken durfte, weil der Chef das verboten hatte, und alle zwei Tage eine neue Flasche, das war eigentlich zuviel, aber auf der anderen Seiten waren da die ganzen Irren wie ich, die nur deswegen kamen, weil sie da war und sich das Leben wegsoffen, in der Hoffnung, dass sie ihre kurzen Finger mit den angenagten Nägeln für einen Augenblick auf die eignen legen würde, dass sie nahe kommen würde, dass man für einen Moment den scharfen Geruch ihrer 100% Polyester Blümchenkleider in der Nase hätte um nach schauen zu können, ob unter dem Geruch vielleicht noch etwas süßes zu riechen sein könnte, eine weiche, weiße, warme Haut, die man entdecken würde, eben diese Hoffnung, die man hat, dass das, was man sieht doch vielleicht gar nicht so schlimm ist, sondern nur eine Waffe, damit man erstmal eine Hürde nehmen muss, aber dann wird alles gut, und die Belohnung ist wunderbar, das redet man sich ja immer wieder gerne ein, wenn man keine Chance hat und trotzdem hofft.

III

Sie war das ideale Ablenkungsmanöver nach dem ich mir die Fresse hatte blutig schlagen lassen. Sie war so weit weg, so entfernt, so entrückt, so völlig außer meiner Reichweite, dass ich sie haben musste. Also trank ich mäßig, immer nur kleine Kölsch, keinen Wodka diesmal, wartete darauf, dass die anderen Deppen weg waren, sie die Theke putzte und ich was sagen konnte. Ich sagte dann "Gehen wir morgen mal aus?". Sie sagte "Nein, ich arbeite.". Ich sagte "Aber übermorgen". Sie sagte "Nein, ich arbeite." Ich sagte: "Aber irgendwann wirste ja mal nicht arbeiten." und kam mir lässig dabei vor. Sie sagte "Warum sollte ich mit dir weggehen" und ich wusste keine Antwort, außer der Wahrheit, dass ich sie haben wollte, weil ich sie haben wollte, und sagte lange nichts bis mir der Satz einfiel "Muss man immer alles begründen?" Das klang in meinem Ohren ein bisschen wie Steve McQueen, in ihren wahrscheinlich wie Donald Duck. Sie sagte: "Na gut, geh jetzt, ich bin müde, bis Freitag, erstmal hier, so um acht, dann mal sehen" und als ich dann später nach Hause kam, zerriss ich viele Briefe und ein Bild.

IV

Wir waren betrunken. Wir hatten im uns quer durchs Belgische Viertel gesoffen. Sie kannte überall jemanden und wenn sie keinen kannte, dann wurde sie angesprochen und sie sprach mit jedem. Sie war nicht schön, kurze Beine, Schultern wie Ski-Schanzen, Hüften, die schon in den 20er Jahren aus der Mode gekommen waren. Aber sie strahlte und sie hatte an diesem Abend wieder diesen Lorbeerkranz auf dem Kopf und alle wollten wissen, wieso sie denn einen Lorbeerkranz auf den Kopf hätte und sie gab jedem eine andere Antwort- Während der ganzen Zeit sagte ich nix, ich konnte ja auch nicht, weil sie immer mit anderen redete. Ich stellte ihr wortlos Bier und Wodka hin, sie stellte mir Bier und Wodka hin und sagte dann immer "Langweilste dich?" und ich log "Nein". In der dritten Kneipe nahm sie plötzlich, während sie mit einem sprach, meine Hand, in der vierten saß sie, während sie eine weitere erfundene Geschichte über ihren Lorbeerkranz erzählte auf meinem Schoß und drückte ihren Hintern immer so zwischen meine Beine, dass ich eine Erektion hatte, was ihr Spaß machte. Mir nicht so, denn von dem vielen Kölsch musste ich oft aufs Klo und mit einer Erektion ist schlecht pinkeln, also musste auf dem Klo immer erst warten und ein bisschen peinlich ist das ja auch, wenn man da mit einer halben Erektion am Pissoir steht, nur in dem Homo-Laden, da machte das nichts, da hatten alle mindestens eine halbe Erektion, weil sie sich die ganze Zeit Poppers reinknallten.

V

Als ich da vom Klo kam, hatte sie auch diese großen Augen und ich dachte "Hoppala" und sie wollte dann auch bald gehen und riss mir fast den Arm aus, auf dem Weg zum Taxi. Und eigentlich hatte ich schon gar nicht mehr das Bedürfnis mit ihr zu vögeln, aber im Taxi knutschten wir, und ich stellte fest, dass ihr rechts, nein links unten ein Zahn fehlte und in der Lücke konnte ich meinen Zunge einhaken, während sie in meine Oberlippe biss und als ich an ihre Brust fasste, konnte ich das Piercing spüren, das war damals echt was neues, das kickte mich sehr. Dann also doch zu ihr, und sie strahlte, als sie ihre Wohnung aufschloss, die grünen Augen waren warm und weich, ganz so, wie es mir immer gewünscht hatte. Drinnen riss sie eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank auf dem viele kleine Passfotos von ihr klebten auf denen sie zu sehen war, wie sie lasziv ihre Zunge der Passfotoautomatenkamera entgegen streckte und wie sie eine Brust aus einem Kleid geschält und fest gepackt hatte. "Das macht mich manchmal geil," sagte sie,"dann geh ich in irgendeinen U-Bahnhof in son Automaten und setz ich mich auf den Drehstuhl, schieb mein Kleid hoch und mach es mir und stell mir vor, wie der nächste sich auf den Stuhl setzt." Und ich sagte "Soso" und griff ihr einfach auch an die Brust, die sie in den Bildern zeigte und sie lachte und schob mich weg.

VI

Dann lag ich in ihrem Bett, den Lorbeerkranz zwischen den Fingern, der voller schwarze Haare war, und ich schaute auf die vielen Bilder, die über ihrem Bett klebten und ich wusste, dass hier irgendwas falsch war, das ich hier falsch war, zwischen den vier Kleiderständern voller Polyesterkleider, den vollen Aschenbechern und der Altglassammlung aus Sektflaschen, aber ich war zu müde, um aufstehen zu können. Sie drängte sich an mich, die kleinen Hände suchten ihr Ziel und ich dachte die ganze Zeit, dass ich das doch gar nicht gewollt hatte, aber es doch gut sei, weil es mich befreien würde, weil es einen Strich ziehen würde. Einmal vögeln, einmal Glück, kein zurück. Aber dann brach sie ab, drehte sich um und weinte genauso schnell los, wie sie eben noch den Sekt runter gestürzt hatte. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte, aber ich wollte, dass sie aufhört, weil ich so hilflos war, nackt, betrunken und mit einem anderen Film im Kopf und für einen Moment dachte ich, dass das jetzt ganz schön ungerecht sei, denn ich schließlich war ich doch derjenige, der hier zu weinen hatte. Sie sagte dann endlose Minuten später, dass es ihr leid tun würde, aber sie könne nicht, sie habe gedacht, dass sie könne, aber es ginge nicht, es würde alles zu weh tun, und ich begriff, was passiert war, selbst durch den Nebel in meinem Kopf und ich musste lachen, was sie böse machte, und die grünen Augen waren wieder kalt, bevor ich ihr erklären konnte, dass ich wir beide offenbar uns blind und blöd ausgeschaut hatten, dass wir gedacht hatten, der andere können einem nichts tun, außer die Wunden verbinden und hoffen, dass es einen Gott gäbe, der dafür sorgen würde, dass der/die Ex es im selbem Moment merken könne, dass man gerade jetzt mit jemanden anderen vögelt und man Spaß dabei hat und sich all den Frust damit wegschiebt, dass man seine Fingernägel in fremde Haut drückt.

VII

Sie hatte tatsächlich Brötchen geholt und einen Frühstückstisch gedeckt. Sogar Orangensaft gab es. Wir schweigten uns an, schoben die Krümel auf den Tellern mit den Fingern zusammen, während im Hintergrund The Style Council für die Untermalung sorgten. Die Augen blieben auf die Etiketten der Marmelade geheftet, die Mundwinkel waren unentschlossen, nur einmal kam ein kurzes Lachen, weil alles so absurd war aber auch so traurig und deswegen tat es weh und verschwand sofort.. Wir wussten, dass wir beide verloren hatten. Unser Plan war völlig schief gegangen, wir waren vernichtet, die anderen hatten gewonnen. Es gab kein Wiedersehen.

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