Essen in Hamburg
Untertitel: Es hätte alles so schön sein können, doch eine Currywurst zerstörte mich.
Freitag: Ich muss Astra trinken. Astra ist ein schreckliches Bier. Es hat einen beschissenen Namen und es macht höllische Kopfschmerzen. Fünf oder sechs kleine Astra verschaffen einem Kopfschmerzen wie 3 Kisten Becks zusammen. Aber im St.Pauli Vereinsheim gibt es kein anderes Bier, also trinke ich Astra und höre einer Unmenge von Autoren bei der Lesung "Betrunkene Autoren" zu. MC Winkel und seine Frau Colombo fahren mich später ins Hotel wo das wunderschöne Mädchen schläft.
Samstag: Ich habe Kopfschmerzen. Kein Frühstück. Gegen Mittag esse ich einen Bagel mit Frischkäse. Er schmeckt wie ein alter Fahrradschlauch und ich schmeiße ihn nach drei Bissen auf die Ubahngleise. Dann gehe ich mir ein Kind angucken und Tee trinken. Später in der Schanze. Ich komme an einem Imbiss vorbei der "Schmitts" heißt, der mir empfohlen wurde und damit wirbt, dass er die beste Currywurst der ganzen Stadt macht. Da mein Abendessentermin noch in weiter ferne liegt, denke ich, dass so eine Currywurst ja nicht schaden kann und versuche eine zu bestellen. Das ist schwer, denn die Bedienung ist von den zwei anwesenden Gästen völlig überfordert. Ständig sagt sie "Moment noch", aber ich übe mich in buddhistischer Ruhe. Nachdem sie zwei Gäste bedient hat, die nach mir kamen, aber offenbar ihre Bekannten sind, komme ich schließlich auch dran. Die Currywurst schmeckt irgendwie... anders. Später gehe ich ins Hotel wo das wunderschöne Mädchen schläft. Als ich mich neben sie lege wird sie wach. Nicht weil ich so ungeschickt oder grob wäre, sondern weil mein Magen das Geräusch eines startenden Jumbo Jets, dem gerade ein Sack Schrauben in die Treibwerke gekommen ist imitiert. Sie sagt, dass das aber nicht gut klänge, aber ich habe keine Bedenken und schlafe auch ein. Später ist wunderschöne Mädchen weg, und ich würde auch gerne gehen, aber der Jumbo Jet hat mittlerweile auf meinem Bauch geparkt und nimmt mir die Luft. Weitere 10 Minuten später unternimmt der Jumbo Jet einen verzweifelten Startversuch. Ich auch. Danach sage ich das phantastische Abendessen mit vielen guten Freunden, die teilweise seit Monaten nicht gesehen hab, ab und schaue Karnevalssendungen. Später kommt das wunderschöne Mädchen, legt sich neben mich und ich kann endlich zielgerichtet jammern.
Sonntag: Ich bin, nachdem das wunderschöne Mädchen in aller Herrgottsfrühe aufstehen musste, auch aufgestanden. Der Jet hat seine mittlerweile völlig orientierungslosen Startversuche in meinen Unterleib verlegt. Das ist ein gutes Zeichen, denke ich, und gehe zum Frühstück runter. Das Hotel in dem wir sind, ist groß, teuer und hat das beschissenste Frühstück, das ich jemals in einem Hotel dieser Preisklasse erlebt habe. Das Rührei ist kalt und schmeckt so, als würde man einem alten, nassen Hund den Rücken ablecken. Die Brötchen bestehen zu 99% aus Backtriebmittel, das Grau- und Schwarzbrot ist an einem Sonntagmorgen um kurz vor neun hart und die angebotenen Säfte stammen offenbar aus einer Tüte auf der "Originales Fruchtsaftgetränk mit 485% Zucker und vielleicht was Saft von alten, angegegammelten Obst aus Liberia" gestanden hat. Es gibt sieben Wurstsorten, deren Ränder sich allesamt im Todeskrampf nach oben wölben und zweimal Schnittkäse undefinierbarer Herkunft. Dazu eine Schale Gurken, deren Oberfläche aussieht, wie Haut einer alten, zahnlosen, ca. 103jährigen Indio Großmutter die immer nur draußen geschlafen hat. Den Gurken sollte ich später noch mal begegnen. 14 Euro. Das klingt vielleicht viel, aber wenn man bedenkt, dass ein Tagespass um per LAN online gehen zu können, 30 Euro kostet, ist es quasi ein Schnäppchen.
Später schleppe ich mich zur Kaffeesatzlesung, wo ich bei der Ankunft schon feststelle, dass der Jumbo Jet sich zu einem weiteren Startversuch in den Unterleib gebohrt hat, dort aber erstaunlicherweise während der ganzen, immerhin sehr schönen Lesung, verharrt. Zurück im Hotel startet er kurz erneut in die andere Richtung und ich beschließe, dass es mir jetzt egal ist. Ich will was essen. Was leckeres. Was frisches. Es ist mir egal, wie ich mich danach fühle. Vielleicht esse ich zuviel, aber das hätte vielleicht den Vorteil, dass der Jet einen Notstart macht und endlich einen Weg aus mir herausfindet. Also greife ich zur Hotelkarte und weiß sofort, dass das mit dem "frisch" in diesem Laden nicht so richtig möglich sein kann. Ich bestelle trotzdem eine Tomatensuppe und einen Salat mit Putenbruststreifen. Bei einer Tomatensuppe kann man eigentlich nichts falsch machen. Im allerbilligsten Fall nimmt man eine Tüte passierte Tomaten, wirft einen zur Not ein paar getrocknete Kräuter rein, Pfeffer, Salz bei guter Laune vielleicht einen Löffel Sahne oben drauf, damit man die getrockneten Kräuter nicht schmeckt. Aber selbst diese Variante unterbietet dieser Laden damit, in dem man offenbar eine Suppe aus der Tüte nimmt, über das man altes Brot vom Vortag streut. Dafür finde ich im Salat die mittlerweile ihrer natürlichen Feuchtigkeit völlig beraubte Gurkenscheiben von heute morgen. Ich esse trotzdem alles auf. Während der Jet in meinem Bauch mit der Tomatensuppe neu betankt wird, lege ich hin, warte auf das wunderschöne Mädchen und denke, dass auf diesen Laden, der diese Currywurst verkauft hat, nachts ein leerer, unbemannt fliegender Jumbo Jet stürzen sollte.
So jetzt muss ich aufhören. Die zwei Stunden LAN für 9,50 Euro sind gleich vorb
Als ich mit dem Zug in den Hamburger Hauptbahnhof einfuhr, da hatte ich ein Gefühl in meiner Brust, als ob ich die ganze Welt darin beherbergen konnte. Ich hatte nach 27 Jahren den Eindruck gehabt, dass 27 Jahren Rheinland dann doch mal reichen. Eine für meine Freunde nicht ganz nachvollziehbare Entscheidung. Als Musikjournalist ging es mir gut und ich hatte etliche Aufträge. Ich war auf jedem Konzert, ich war auf jeder blöden Aftershow Party und ich bekam jedes Interview, das ich haben wollte. Selbst Oasis. Und ich konnte mir die Arroganz leisten es abzusagen, da ich wusste, dass eh nichts draus werden würde. Mit meiner damaligen Freundin lebte ich außerhalb von Köln in einem alten Bauernhof, schöne 3 Zimmer Wohnung, mit alten Holzbalken und anderen zivilisatorischen Quatsch, bei dem Besucher sagen "Oh, das ist aber hübsch." Davor hatte ich eine ziemlich wilde Zeit, als ich am Hansaring lebte, als mein Studium so ziemlich an den Nagel gehangen hatte und nebenbei als DJ einerseits in einem Technoschuppen, andererseits in einem irischen Karaokeclub arbeitete. Da waren eine Menge Drogen im Spiel, nicht um bunte Bläschen zu sehen, oder um sich als unbesiegbarer König der Welt zu fühlen, sondern solche um einfach wach zu bleiben. Ich hatte nichts ausgelassen, und mich mit Frauen rum geschlagen, die Lorbeerkränze auf dem Kopf trugen..
Mit dem Umzug auf dem Bauernhof hatte ich den ganzen Mist abgeschafft, ein schlecht bis gar nicht bezahltes Volontariat angefangen und die Schreiberei wieder mehr in den Vordergrund gestellt. In den turbulenten zwei Jahren zuvor hatte ich zwar hier und da auch geschrieben, aber meist für umsonst, oder, im Falle der Frontpage, für Rechnungen, die nie bezahlt wurden, was ja egal war, denn, mein Gott, das Geld kam durchs Auflegen auch so rein und nicht zu knapp. Nach einem halben Jahr auf dem Hof war ich so ruhig geworden, dass ich mich schon beim morgendlichen Aufstehen langweilte. Und ich hatte eines Abends eine Vision, die dergestalt aussah:
Ich, 10 Jahre weiter, mittlerweile Redakteur bei einem Stadtmagazin oder in der Musikredaktion einer Tageszeitung, Frau, 2 Kinder, Kombi, Reihenendhaus (dank der Connections meines Vaters ein wenig billiger) in Hürth, vom Küchenfenster aus konnte man auf die Wiese gegenüber schauen, auf der sich im Herbst immer so schön der Nebel legte. Abends würde ich meine alte Lederjacke anziehen, Menschen auf Konzerten treffen, die ich seit 10 Jahren auf Konzerten treffen würde, ich würde rumlamentieren, dass die wirklich gute Musik doch eigentlich in den 80ern und vielleicht noch bis Anfang der 90er gemacht worden sei, danach doch nur noch Wiederholungen, aber was solls, es zahlt die Miete, haha, noch ein Bier, ne, lieber nicht, Führerschein war schon mal weg, und ich brauch ihn doch, wegen der Kinder, dann gute Nacht, wir sehen uns ja übermorgen auf dem anderen Konzert wieder, ich muss jetzt noch schreiben, ne, nichts böses, die Leser mögen diese Band ja so. Vision zu Ende. Panikattacke.
Also Hamburg. Weil da ein Musiklabel nach mir rief und mit Geldscheinen wedelte. Und ich praktischerweise schon eine Affäre mit einer aus der Branche hatte, was ich Jahre später als unvorteilhaft erweisen sollte. Nun war ich in dem Zug der in Bahnhof einfuhr, mit nur einen Koffer in der Hand. Die Kartons mit meinem Krempel waren in einem Umzugswagen, der erst ein paar Tage später ankommen sollte. Als ich da so stand und aus dem dreckigen Zugfenstern nach draußen schaute, als die Hinterhöfe voller Wasser an mir vorbei zogen, da dachte ich doch tatsächlich, dass diese Stadt auf mich warten würde. Nur auf mich. Und das ich und diese Stadt, dass wir beide jetzt aber mal so richtig losrocken würden.
Um losrocken zu können musste ich erstmal aussteigen, womit eine lange Reihe von Fehlentscheidungen begann. Ich ging mit breiter Brust durch den Bahnhof, kaufte für viel Geld irgendeinen Nippes als Begrüßungsgeschenk und schleppte meinen Koffer zu Marion, der Affäre. Die saß im Büro, natürlich auch Musikbranche, freut sich und drückte mir den Haustürschüssel für ihre Wohnung an der Osterstrasse in die Hand. Abends kochte sie, später vögelten wir auf ihrem riesigen Sofa, sie sagte: "Herzlich Willkommen." und ich dachte, dass sehe ich auch so, denn Hamburg und ich, wir haben aufeinander gewartet. Ich sagte das auch laut und Marion lachte. Später rief ich meine Freundin an und sagte, dass alles super ist.
Ich teilte mir das Büro mit Andreas, einem Schwaben, der der Produktmanager war. Neben unserem Büro saß der sehr, sehr teuer eingekaufte A&R. Auch aus Stuttgart. Weiter hinten ein Schweizer, der so viel Geld hatte, dass er eigentlich nicht arbeiten musste und geschätzte zwei Meter groß war. Dann noch einer der das Mute Label in Deutschland groß gemacht hatte. Mit Mark sollte ich dann in den nächsten Jahren dann noch eine Menge Nächte im Büro und anderswo verbringen.
Ich war dem A&R unterstellt, der mir erstmal eine neu eingekaufte Band aus England aufs Auge drückte. Zwei Mädels, irgendwo zusammen gecastet, die einen kleinen Hit in England hatten. Poptechnoschrott mit Gitarreneinlage. Gitarreneinlage war ja super, weil das damals keiner machte. Gitarren waren out, niemand wollte Gitarren, schon gar nicht die Radiosender, die immer sagten, dass die Zuhörer bei Gitarren abschalten würden, weil die zu laut wären und kreischen würden. Sagten eben jene Radiosender, die schon damals den ganzen Tag Jingels spielten, in denen man angebrüllt wurde, dass man nun die größten Hits der 70 und 80er und das beste von heute hören würde. Wir hatten aber Gitarren unter dem Technobeat, was die Radiopromoter in der Firma völlig fertig machten. Der A&R sagte mir, ich solle den Manager anrufen und ihn bitten, einen „German Radio Mix“ zu machen. Ohne Gitarren.
Also rief ich den Manager an. Anrufbeantworter. Mobiltelefon hatte er noch nicht. Waren ja auch noch selten damals. Mobiltelefone sahen aus wie ein Stück Kohlebrikett und wogen ungefähr genauso viel, so dass sie einem die Innentaschen der Sakkos einrissen. Dazu hielt der Akku maximal einen Tag. Ich versuchte den Manager drei Tage lang zu erreichen und quatschte ihm die Mailbox voll. Bis mir der Geduldsfaden riss und ich meinte, es gäbe vertragliche Probleme mit dem Deutschlanddeal, er möge schleunigst zurückrufen. Fünf Minuten später klingelte das Telefon und ich hatte ein neues Problem.
Der Manager war am Telefon kaum zu verstehen. Dem Akzent nach kam er irgendwo aus Nordengland, vielleicht auch Schottland, jedenfalls musste ich ihn alle zwei Minuten bitten, dass er den letzten Satz noch mal wiederholt, was mir nach einer Zeit einfach zu peinlich war, weswegen ich versuchte aus dem schlau zu werden, was er mir sagte. Das machte mich ein wenig nervös, es war immerhin mein erstes Projekt in der Firma und der A&R hing mir die ganze Zeit in Versalien in den Ohren, dass die CHICKS die BESTE NUMMER seit MENSCHENGEDENKEN seien und das WIR (gemeint war der Produktmanager und ich) das auf GAR KEINEN FALL VERKACKEN sollten. Da wusste ich allerdings auch noch nicht, dass der A&R das bei jeder neuen Band sagte. Ich klagte Andreas mein Leid, und der meinte, ich solle doch einfach nach London fliegen, um mir den Typ mal anzusehen, vielleicht würde ich ihn ja auch besser verstehen, manchmal haben so Manager ja Assistenten, die normaler sind. Außerdem sei da auch ein Fotoshooting, da könne ich mir gleich, die Mädels anschauen. Super. London. Ich ließ ein Zimmer im Portobello reservieren, die Spesenabteilung händigte mir einen satten Vorschuss aus und los ging’s.
Wird fortgesetzt.