I

Unbemerkt hatte sie mein Herz gestohlen. "Nie mehr!" schrie ich die Wand an, natürlich trotzig aber gleichzeitig lässig, pittoresk, die Beine auf dem Schreibtisch mit einem Glas Wein in der Hand und einer selbstgedrehten, stinkenden Gauloises zwischen den Fingern, denn Herzschmerz bedeutet ja nun nicht, das man sich gleich selbst vergisst. Könnte ja einer zuschauen. Das ist so wie mit dem Bauch einziehen in der U-Bahn. Eigentlich ist es völlig wurscht, aber es könnte ja sein, dass zufällig jemand reinkommt, den man beeindrucken will. Haltung ist alles. Besonders dann, wenn die Fensterscheiben mit einem weinen, und die Regentropfen kleine, silberne Autobahnen zeichnen. Dann kann man auch gut mal ins Bad gehen und nachschauen, ob die eigenen Tränen auch so was hübsches hin bekommen. Aber nicht mal das schaffen die. Man sieht nur aus, als wenn man sich einen nassen Lappen ins Gesicht geknallt hat, die Wangen stumpf und voller Schlieren.

II

Im meinem Stammcafé tobte auch nicht gerade das Leben, aber sie war da, wie immer, hielt Hof hinter der Bar, ließ alle Avancen an ihren kalten grünen Augen regungslos zerschellen, wie ein Pirat, der auf der Klippe ein falsches Feuer errichtet hat und dort sitzt und wartet, was das Meer ihm anspült, was er sich zwischen den Trümmern nehmen kann. An ihr zerschellten alle und es gab eigentlich keinen Grund, denn schön waren nur ihre Augen und das schwarze Haar, das sich jeden Tag anders auf den Kopf legte, als ob es ein Eigenleben führte und sich nicht dazwischen quatschen lassen wollte. Auf dem Haar thronte heute ein Plastiklorbeerkranz, mit grotesk großen Lorbeerblättern, die sich in den Haaren schon längst tief verhakt hatten. Vor sich ein Wasserglas halbvoll mit Whiskey, den sie nicht trinken durfte, weil der Chef das verboten hatte, und alle zwei Tage eine neue Flasche, das war eigentlich zuviel, aber auf der anderen Seiten waren da die ganzen Irren wie ich, die nur deswegen kamen, weil sie da war und sich das Leben wegsoffen, in der Hoffnung, dass sie ihre kurzen Finger mit den angenagten Nägeln für einen Augenblick auf die eignen legen würde, dass sie nahe kommen würde, dass man für einen Moment den scharfen Geruch ihrer 100% Polyester Blümchenkleider in der Nase hätte um nach schauen zu können, ob unter dem Geruch vielleicht noch etwas süßes zu riechen sein könnte, eine weiche, weiße, warme Haut, die man entdecken würde, eben diese Hoffnung, die man hat, dass das, was man sieht doch vielleicht gar nicht so schlimm ist, sondern nur eine Waffe, damit man erstmal eine Hürde nehmen muss, aber dann wird alles gut, und die Belohnung ist wunderbar, das redet man sich ja immer wieder gerne ein, wenn man keine Chance hat und trotzdem hofft.

III

Sie war das ideale Ablenkungsmanöver nach dem ich mir die Fresse hatte blutig schlagen lassen. Sie war so weit weg, so entfernt, so entrückt, so völlig außer meiner Reichweite, dass ich sie haben musste. Also trank ich mäßig, immer nur kleine Kölsch, keinen Wodka diesmal, wartete darauf, dass die anderen Deppen weg waren, sie die Theke putzte und ich was sagen konnte. Ich sagte dann "Gehen wir morgen mal aus?". Sie sagte "Nein, ich arbeite.". Ich sagte "Aber übermorgen". Sie sagte "Nein, ich arbeite." Ich sagte: "Aber irgendwann wirste ja mal nicht arbeiten." und kam mir lässig dabei vor. Sie sagte "Warum sollte ich mit dir weggehen" und ich wusste keine Antwort, außer der Wahrheit, dass ich sie haben wollte, weil ich sie haben wollte, und sagte lange nichts bis mir der Satz einfiel "Muss man immer alles begründen?" Das klang in meinem Ohren ein bisschen wie Steve McQueen, in ihren wahrscheinlich wie Donald Duck. Sie sagte: "Na gut, geh jetzt, ich bin müde, bis Freitag, erstmal hier, so um acht, dann mal sehen" und als ich dann später nach Hause kam, zerriss ich viele Briefe und ein Bild.

IV

Wir waren betrunken. Wir hatten im uns quer durchs Belgische Viertel gesoffen. Sie kannte überall jemanden und wenn sie keinen kannte, dann wurde sie angesprochen und sie sprach mit jedem. Sie war nicht schön, kurze Beine, Schultern wie Ski-Schanzen, Hüften, die schon in den 20er Jahren aus der Mode gekommen waren. Aber sie strahlte und sie hatte an diesem Abend wieder diesen Lorbeerkranz auf dem Kopf und alle wollten wissen, wieso sie denn einen Lorbeerkranz auf den Kopf hätte und sie gab jedem eine andere Antwort- Während der ganzen Zeit sagte ich nix, ich konnte ja auch nicht, weil sie immer mit anderen redete. Ich stellte ihr wortlos Bier und Wodka hin, sie stellte mir Bier und Wodka hin und sagte dann immer "Langweilste dich?" und ich log "Nein". In der dritten Kneipe nahm sie plötzlich, während sie mit einem sprach, meine Hand, in der vierten saß sie, während sie eine weitere erfundene Geschichte über ihren Lorbeerkranz erzählte auf meinem Schoß und drückte ihren Hintern immer so zwischen meine Beine, dass ich eine Erektion hatte, was ihr Spaß machte. Mir nicht so, denn von dem vielen Kölsch musste ich oft aufs Klo und mit einer Erektion ist schlecht pinkeln, also musste auf dem Klo immer erst warten und ein bisschen peinlich ist das ja auch, wenn man da mit einer halben Erektion am Pissoir steht, nur in dem Homo-Laden, da machte das nichts, da hatten alle mindestens eine halbe Erektion, weil sie sich die ganze Zeit Poppers reinknallten.

V

Als ich da vom Klo kam, hatte sie auch diese großen Augen und ich dachte "Hoppala" und sie wollte dann auch bald gehen und riss mir fast den Arm aus, auf dem Weg zum Taxi. Und eigentlich hatte ich schon gar nicht mehr das Bedürfnis mit ihr zu vögeln, aber im Taxi knutschten wir, und ich stellte fest, dass ihr rechts, nein links unten ein Zahn fehlte und in der Lücke konnte ich meinen Zunge einhaken, während sie in meine Oberlippe biss und als ich an ihre Brust fasste, konnte ich das Piercing spüren, das war damals echt was neues, das kickte mich sehr. Dann also doch zu ihr, und sie strahlte, als sie ihre Wohnung aufschloss, die grünen Augen waren warm und weich, ganz so, wie es mir immer gewünscht hatte. Drinnen riss sie eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank auf dem viele kleine Passfotos von ihr klebten auf denen sie zu sehen war, wie sie lasziv ihre Zunge der Passfotoautomatenkamera entgegen streckte und wie sie eine Brust aus einem Kleid geschält und fest gepackt hatte. "Das macht mich manchmal geil," sagte sie,"dann geh ich in irgendeinen U-Bahnhof in son Automaten und setz ich mich auf den Drehstuhl, schieb mein Kleid hoch und mach es mir und stell mir vor, wie der nächste sich auf den Stuhl setzt." Und ich sagte "Soso" und griff ihr einfach auch an die Brust, die sie in den Bildern zeigte und sie lachte und schob mich weg.

VI

Dann lag ich in ihrem Bett, den Lorbeerkranz zwischen den Fingern, der voller schwarze Haare war, und ich schaute auf die vielen Bilder, die über ihrem Bett klebten und ich wusste, dass hier irgendwas falsch war, das ich hier falsch war, zwischen den vier Kleiderständern voller Polyesterkleider, den vollen Aschenbechern und der Altglassammlung aus Sektflaschen, aber ich war zu müde, um aufstehen zu können. Sie drängte sich an mich, die kleinen Hände suchten ihr Ziel und ich dachte die ganze Zeit, dass ich das doch gar nicht gewollt hatte, aber es doch gut sei, weil es mich befreien würde, weil es einen Strich ziehen würde. Einmal vögeln, einmal Glück, kein zurück. Aber dann brach sie ab, drehte sich um und weinte genauso schnell los, wie sie eben noch den Sekt runter gestürzt hatte. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte, aber ich wollte, dass sie aufhört, weil ich so hilflos war, nackt, betrunken und mit einem anderen Film im Kopf und für einen Moment dachte ich, dass das jetzt ganz schön ungerecht sei, denn ich schließlich war ich doch derjenige, der hier zu weinen hatte. Sie sagte dann endlose Minuten später, dass es ihr leid tun würde, aber sie könne nicht, sie habe gedacht, dass sie könne, aber es ginge nicht, es würde alles zu weh tun, und ich begriff, was passiert war, selbst durch den Nebel in meinem Kopf und ich musste lachen, was sie böse machte, und die grünen Augen waren wieder kalt, bevor ich ihr erklären konnte, dass ich wir beide offenbar uns blind und blöd ausgeschaut hatten, dass wir gedacht hatten, der andere können einem nichts tun, außer die Wunden verbinden und hoffen, dass es einen Gott gäbe, der dafür sorgen würde, dass der/die Ex es im selbem Moment merken könne, dass man gerade jetzt mit jemanden anderen vögelt und man Spaß dabei hat und sich all den Frust damit wegschiebt, dass man seine Fingernägel in fremde Haut drückt.

VII

Sie hatte tatsächlich Brötchen geholt und einen Frühstückstisch gedeckt. Sogar Orangensaft gab es. Wir schweigten uns an, schoben die Krümel auf den Tellern mit den Fingern zusammen, während im Hintergrund The Style Council für die Untermalung sorgten. Die Augen blieben auf die Etiketten der Marmelade geheftet, die Mundwinkel waren unentschlossen, nur einmal kam ein kurzes Lachen, weil alles so absurd war aber auch so traurig und deswegen tat es weh und verschwand sofort.. Wir wussten, dass wir beide verloren hatten. Unser Plan war völlig schief gegangen, wir waren vernichtet, die anderen hatten gewonnen. Es gab kein Wiedersehen.