I
Meine Welt besteht zur Zeit offenbar nur noch aus den Bookmarklets meines Browsers. Vielleicht ist das mal so im Leben, dass man reduziert, weil man sich konzentrieren will, weil man sich nicht mehr anders konzentrieren kann, und deswegen die Kreise, die man zieht immer enger werden. Over head the albatros, soll er doch fliegen, ich richte mich ein und fange an meine Hemden zum trocknen auf einen Bügel zu hängen, damit ich sie nicht bügeln muss. Vielleicht verschieben sich die Lichtkegel der Aufmerksamkeit auch einfach nur, vielleicht schneller, als man selber denken kann und dann steht man im dunkeln und schaut ein bisschen blöd aus der Wäsche und denkt "Ähm, hallo?". Wenn sich dann mal wieder orientiert hat, dann geht’s weiter, etwas anders, aber weiter, denn weiter geht’s ja immer und das alles besser wird, das ist ja klar.
II
Gleichförmigkeit war mir schon immer ein Greuel. Vielleicht ein guter Fluchtinstinkt. Vielleicht die Angst davor, Farbe bekennen zu müssen. Vielleicht die Angst davor, die angenehme Gleichmäßigkeit des Seins wieder verlieren zu können. Dann lieber auf der Flucht, dann lieber das Eingraben in einen Zustand, das Mitschwingen mit den Zeiten, den Launen, der Lust, der Paranoia. Wäre da nicht das böse Wort der Berufsjugendlichkeit, das Gefühl, dass man ja gar nicht unsterblich ist, dass alles viel schneller geht, als man denkt und sich um einen herum alles dreht, während man selber nicht mal zuschaut, nichts merkt sondern nur ab und an nur erschrickt, weil man ja immer noch innerlich da steht, wo man sich mal hinpositioniert hat und das all die schönen Äußerlichkeiten nur die dünne Buttercreme ist, mit der man versucht alles zu zu kleistern.
III
Was bleibt, wenn man einmal alles, was einen selbstgeschaffen umgibt subtrahiert? Wenn man Arbeit, das tolle Handy, die CD Sammlung, die Wohnung, das Bett, die Hemden, die gekauften Bilder an der Wand, die 2 Mbit DSL Leitung, die Bücher, wenn man all das mal wegdenkt. Da bleibt das dünne Blut mit der Familie, da bleiben ein paar wichtige Nächte, das Schreiben, ein Ventil dessen man sich bemüht, wenn der Mist mal wieder hochkocht, da bleiben die Gefühle, die auf der Strecke geblieben sind und die, die man so gerne los werden würde. Es ist angenehm nur noch nackt zu sein, nur noch seine Emotionen zu haben und mit ihnen tauchen zu gehen, wieder zu kommen und wegen mir mit einem Stück Holzkohle ein Stück Mauer voll zu schreiben.
IV
Die Masse hat mich immer abgeschreckt. Sie macht mir keine Angst, ich kann mich in ihr bewegen, aber ich will nicht Teil von ihr sein. Mich hat immer das Ende von King Vidors Film "The Crowd" abgeschreckt, diese endlose lange Einstellung, in der der Protagonist nach langem Kampf endlich verschmilzt mit den Masse um sich herum. Nach Jahren des Kampfes das lachende Arrangement. Als ich den Film das erste Mal gesehen habe, hab ich wütend den Fernseher ausgemacht, weil ich nur die Niederlage gesehen habe, nicht den Frieden. Mir machen die Massen Angst. Wenn ich auf einem Konzert bin, dann stehe ich hinten und wenn ich dann die Masse sehe, wie sie kollektiv ausrastet, wie sie mitsingt, den Anweisungen da vorne folgt, wie sie sich gehen lässt, dann habe ich Angst, weil ich mir denke, dass es von der Musik zu was anderem doch nur ein kleiner Schritt ist, weil sich doch so viele Menschen offenbar gerne gehen lassen, wo es doch auch alle anderen machen, da kann man ja auch, da fällt es ja nicht auf. Alles verschmilzt zu einem einzigen, gigantischen Körper, der nur noch seine Extremitäten, nicht aber mehr sein Handeln steuern kann, dessen Brutalität von Spinnfäden gesteuert wird, die so dünn sein mögen, wie sie wollen, sie sind am Ende doch stärker als man selber und was bleibt ist Flucht.
V
Das begann natürlich mit Büchern und vor allem mit Henry Miller und seinem "Wendekreis des Steinbocks", eine Sozialstudie, die immer noch ehrlicher und genauer ist, als jedes zeitgenössische Buch. Es mag früher brutaler zu gegangen sein, aber auch ehrlicher als heute, in der Welt der versteckten Subtilität und der charmanten Lügen. Was ist einem lieber? Sich selbst zu belügen, oder belogen zu werden? Was ist die angenehmere Variante, mit welcher Seite lässt es sich besser und bequemer faltenfrei leben? Will ich mir die Ladung Botox fürs Hirn lieber selber geben, oder soll es doch jemand anders machen, am liebsten so, dass ich es nicht merke?
VI
Das Schreiben ist ja so eine Injektion. Weil man nicht mehr agiert, sondern nur aus der Summe der Vergangenheit reagiert. Weil man sich für Stunden den Rausch schafft, etwas geschaffen zu haben. Eine kleine Flucht, in der man erst wütend, dann nur noch resigniert. Sich versucht wenigstens nach außen die Insignien der Gemeinsamkeit zu geben, bis man feststellt, das sich um einen herum alles weiter bewegt hat, während man noch damit beschäftigt war, den Mörtel trocken zu pusten, den aufgebracht hat, damit es wenigstens von außen schön aussieht.
VII
Also anbauen, ausbessern, aufbauen. Oder doch lieber kleiner werden, damit das wenige wenigstens schön aussieht und den eigenen Anspruch genügt, den man hat, wenn man sich vorstellt, wie dass eigene "Außen" eigentlich aussieht? Sich selbst reduzieren, seine Kreise einengen, nicht mehr rausgehen, nur noch zuschauen, noch ein paar Seiten weniger, die einen interessieren, bis man was ist?