Langsam zieht sie das Bein hinter sich her. Der linke Fuß steht nicht mehr ordnungsgemäß mit seiner Sohle auf dem Boden, sondern wird vielmehr seitlich verdreht hinterher gezogen wie ein lästiges Anhängsel, ein überflüssiges Stück Fleisch, das man vergessen hat abzuschneiden. Aber der Fuß ist dick verpackt, mit alten Stofffetzen und Luftpolsterfolie. Da kann wenigstens nichts scheuern. Ich kann nicht erkennen, wie sie mit einem Bein das Gleichgewicht halten kann. Sie hüpft ein wenig nach vorne, landet und rudert dabei nicht mal mit dem Armen. Aber das schmutzige Gesicht ist sehr konzentriert. Es ist halb elf am Hackschen Markt und ich will mir gerade ein Sideboard bei "Dom" anschauen, als ich auf die Frau aufmerksam werde. Sie scheint zielstrebig irgendwohin zu hüpfen, die Augen immer ein wenig verkniffen. Vielleicht wegen Sonne, vielleicht wegen Schmerzen. Das mit dem Fuß sieht nicht gesund aus und das ist nicht der einzige Ärger, der heute wohl auf sie zukommt, denn sie hüpft genau auf die schmale Lücke auf dem Bürgersteig zu, die ein Polizeiwagen zulässt, der vor einem britischen Buchladen steht und diesen bewacht. Wegen der Hassprediger. Weiß man ja, wie gefährlich die sind. Die verschwinden erst und explodieren dann ungefragt. Am Fenster des Polizeitransporters lehnt ein wirklich dicker Polizist. Es ist zwar noch Vormittag und nicht so warm, aber unter seinen Armen haben sich schon riesige Schwitzflecken gebildet. Wie das wohl im Sommer aussieht? Und wie das wohl riecht, wenn er im Sommer abends sein Polyester Hemd aussieht? Die Frau hüpft weiter auf die Lücke zu. Es sieht gar nicht anstrengend aus, was sie da macht. Eine natürliche, fließende Bewegung. Wann man einen Fuß hinter her zieht, muss man sich wohl genau so bewegen. Ich bleib vor der Tür des Ladens stehen, weil ich sehen will, wie sie an dem Polizisten vorbei hüpft und wie der reagiert. Sie drückt sich ein wenig an die Wand, lehnt sich mit der Schulter dagegen und hüpft unverdrossen weiter. Dabei Schleifgeräusche des Luftpolster um ihre Knöchel. Das Gespräch des Polizisten mit seinem Kollegen im Auto verstummt, er schaut sich kurz die Frau an, blickt auf den Fuß, dann wieder in ihr Gesicht. Dann "Hey, Sie, Papiere?" Sie hält in ihrer Bewegung inne, bleibt stehen und stützt sich mit einer Hand an der Wand ab, während die andere Hand in einer Tasche wühlt und ein altes, zerknittertes Stück Papier herausholt, das aber den Polizisten offenbar befriedigt. Sie stopft das Papier wieder in eine Tasche, seufzt kurz und hüpft dann weiter. Ich beschließe, dass ich ihr Schicksal scheiße finde und meine Woche mit etwas Gutem starten will. Aber ihr hinter her laufen und ihr Geld in die Hand stopfen? Dabei fällt mir auf, dass das Gefühl der Demut deswegen in mir aufkommt, weil ich nicht einschätzen kann, wie das Gefühl ist, wenn man so rumschlurfen und leben muss, und plötzlich kommt da einer und drückt einem 5 Euro in die Hand, obwohl man nicht darum gebeten hat. Bettler sind ja was anderes - die sitzen da und haben alte, faltige Kaffeebecher aus Papier in das man im Vorbeigehen Geld werfen kann. Kleiner Ablasshandel auf dem Weg zu Edeka. Aber jemanden Geld geben, der zwar so aussieht, als ob er es gebrauchen könnte, aber nicht darum gebeten hat? Haben Bettler Ladenöffnungszeiten für ihre Ehre? Wahrscheinlich nicht. Also hinter her. Ich schließe das Fahrrad ab, gehe hinter ihr her und weiß gar nicht, wie das jetzt anstellen soll. "Hallo, hüpfen sie mal kurz auf der Stelle, ich will ihnen was geben." ? Eher nicht. Also überhole ich Sie, drehe mich um und lassen den 5 Euro Schein aufblitzen. Sie schaut mich sehr entgeistert an und im ersten Moment denke ich, das ich einer dieser Menschen auf dem Leim gegangen sind, die zwar so aussehen, als ob sie auf der Strasse leben, aber in Wahrheit Multimillionäre sind, und von denen es in Berlin jede Menge gibt, wie sich jeder Tourist bei einem Besuch vom KaDeWe selbst überzeugen kann. Aber dann nimmt sie den Schein, öffnet den Mund, in dem sich drei Zähne wie Schornsteine auf einem alten Industriegelände verlassen nach oben strecken, sagt aber nix, sondern lächelt lieber. Ich geh dann zum "Dom" das Sideboard nicht kaufen.