Das was da von der Bühne runterkommt, verstößt mit Sicherheit gegen irgendeine Menschenrechtscharta. Ich beneide heute Abend zum ersten-, und nicht zum letzten Mal, Theresa. Sie ist Spanierin und versteht kaum ein Wort Deutsch. Deswegen muss sie nicht hören wie da oben "Ich bin der Rahmen, Du bist das Bild" gesungen wird und das von einer Frau, der man nicht mehr abnimmt, dass sie ihre Pubertät gerade hinter sich gelassen hat. Sie heißt Tarme, hat diesen Hausfrauentimbre und der Name klingt ein bisschen so wie der von der rumänischen Airline, die Tarom heißt. Mit Tarom bin ich mal geflogen, und als wir gelandet waren, platzte eine Hydraulikleitung in einem Triebwerk und das Öl pladderte raus, genau so wie bei Tarme die Worte. Ihr Freund und musikalischer Begleiter hat keinen Namen dafür eine Fönfrisur und er spielt dazu auf der Klarinette. Man kann sich richtig vorstellen, wie die beiden Abends auf der Bettkante sitzen und sich ihre Lieblingsstellen aus Milan Kundera Büchern vorlesen.

Ich bin auf einem Kulturabend in Berlin Wedding. Ich habe schon die Galerie eines jungen Russen gesehen, der wirklich gute Bühnenbilder macht, und war bei der Videoaufführung zweier 20jähriger Studenten die "Sozialperformance machen". "Bei der Sozialperformance werden gesellschaftliche Konventionen bewußt durchbrochen, um eine Bewußtseinsveränderung bei der Bevölkerung zu erreichen. Stand da auf dem Flyer. Die Idee, einen Schauspieler in eine Karre zu setzen, ihm ein Schild umzuhängen auf dem steht "Langzeitarbeitsloser sucht Arbeit" steht, und mit dieser Karre auf der Friedrichstrasse bei Gucci, Prada und Escada reinzufahren, ist hmmmm..... Leider sind beiden halt ein wenig, ähm, eindimensional in ihren schauspielerischen Fähigkeiten und deswegen sieht das Video so aus, als ob Stefan Raab Fans aus einer Vorstadt im Hunsrück seine besten Ideen nachspielen, und die Idee verschwindet in einem handwerklichen Desaster. Sind ja noch jung, seufzte Theresa, und jetzt sitzen wir bei Tamre in der zweiten Reihe.

Nachdem wir dem singenden Bob Ross Gemälde entkommen sind, laufen quer durch den Wedding zu den nächsten Galerien. In der einen gibt so Dinger, die zwar aussehen wie Buletten, aber irgendjemand hat vergessen das Fleisch rein zu tun und ich stehe mit einer riesigen Bulette die keine ist in der Galerie rum, während ich verzweifelt versuche zu kauen, was gar nicht so leicht, denn sobald ich kaue ist mein Mund trocken wie die Wüste Gobi. Ich hätte gewarnt sein sollen, denn auf welchen Büffet in Berlin kommt es schon vor, dass die Melone vergriffen, die Buletten aber noch da sind. Theresa, die im übrigen eine spanische Malerin ist, will was wissen wegen der Bilder, aber leider kann ich ihr nicht antworten, weil ich Angst habe, dass der Sandsturm meinem Mund entweicht. Aber die Bilder an der Wand sind gut. Von Behinderten in Wachskratztechnik gemacht, manchmal ein wenig dunkel, aber immer spannend, abwechslungsreich und neu.

In der nächsten Galerie: Aufgeplatzte Bäuche. Blut, Gedärme, Fett, Blut, Kot, Sperma, Blut, Gedärme und viele Menschen aus Berlin Mitte. Natürlich hängen da keine echten Gedärme an der Wand. Wir sind hier in Berlin Wedding, nicht bei einer Ausstellung jungen britischer Künstler. Aber die (Achtung - hier folgt ein böses 7oer Jahre Wort) Kollagen sollen so was wohl bedeuten. Hinter eine Kollage steht einer und liest die passenden Texte dazu. Es ist wenig schwer zu verstehen, denn einerseits schreit er so, andererseits muss ich dauernd niesen, da heute meine Heuschnupfenzeit begonnen hat. Ich frage Theresa was sie von den Bildern hält, und sie zieht eine Ecke ihrer Oberlippe ganz weit nach oben, so wie Billy Idol das immer gemacht hat. Ich denke mal, es hat ihr nicht gefallen. Ich konnte mich nicht so recht entscheiden. Sobald nicht mehr gelesen wurde, und die aufgeplatzten Eiterwunden an der Wand für sich standen, fand ich es gar nicht schlecht. Aber ich hab ja auch keine Ahnung von Kunst. Ich bin das gemeine Volk, dass sagt "Och" oder "Hübsch" und manchmal stehe ich gerne auch vor alten Bildern in der Nationalgalerie und sage halblaut "Nur weil es alt ist, ist es doch nicht schön".

Eine Stunde später sind wir im "Holz & Farbe" und es gibt tschechisches Bier namens Branik und lecker Teigtaschen und wir beschließen, dass es für heute reicht. Theresa will mich unbedingt in ihrem nächsten Projekt mit drin haben, wo es darum geht, dass man sein geheimstes Geheimnis in einen Satz packt, der aber das Geheimnis nicht verraten soll. Das ist aber schwer, sage ich und wir überlegen, wie man das macht. Mein Heuschnupfen bollert in einem Kopf, da ist nix mit nachdenken. Ich versuche es erst mal mit mehr Branik. Wir werden darüber aufgeklärt, dass das singende Bob Ross Gemälde vom Anfang noch eine geschlagene Stunde gesungen hätte, immer die gleiche Fünf-Ton-Melodei spielend, immer über die Liebe, die große singend. Nicht mal rauchen durfte man, sagt eine leicht hektische Frau und zündet sich eine nach der anderen an. Sie ist lustig, aber noch lustiger ist ihre kleine japanische Freundin, die einen knallroten Regenmantel an hat, der von einem Gürtel zusammengehalten wird, der ein Display hat auf dem rote Piktogramme hoch und runter laufen. Ich bin schwer fasziniert, und frage mich, wo kleine Japanerinnen solche Sachen immer finden. Es muss geheime Internetforen geben in denen die sich austauschen.

Mittlerweile bin ich so müde, dass ich nicht mehr weiß, wie ich heiße. Eine kleine Frau hat sich zu uns gestellt und redet sehr viel. Ich hab nun vier Branik getrunken und denke "Eins geht noch", als ein Mensch mit einem elektronischen Cello seine Performance beginnt. Wir haben alle ein bisschen Angst, weil das Bier ja noch voll ist, aber der Mann ist gut. Danke, Wedding.