So eine kleine Urlaubsfahrt kann eine feine Abwechslung im öden Alltag des Lebens sein. Dabei hilfreich sind: Spontaneität, eine Kreditkarte, ein Onlineanschluss, ein Account bei der Deutschen Bahn und (ganz wichtig) eine wundervolle Begleitung. Jetzt muss man nur noch die aufgezählten Bestandteile ein bisschen schütteln und in der richtigen Reihenfolge aneinander fummeln und schon ist man auf Rügen.

Nein, das war gelogen. Bevor man in Rügen ankommt, hat der liebe Gott (aka Hartmut Mehdorn) eine kleine Hürde in Form einer Zugfahrt gesetzt. In beschaulicher Geschwindigkeit lässt er seinen IC durch ein Land rumpeln, dass teilweise so aussieht., als sei dem anderen Gott (aka Gott) am fünften Tag die Lust und alle anderen Farben außer Braun ausgegangen. Stundenlang kann man lernen, wie viele Brauntöne es doch geben kann - Landbraun, Hausbraun, Feldbraun, Blattbraun, Wegbraun, Straßenbraun um nur mal ein paar wenige aufzuzählen. Nachtteil: die Reisenden müssen auf das kurzweilige "Ich sehe was, was Du nicht siehst und das ist braun" Spiel verzichten. Aber man hat ja Zeitungen dabei und ab und an lacht man über Eingeborene an Bahnhöfen, die aus dem Zug aus- und nicht einsteigen.

Irgendwann ist da Wasser, dann wird es wieder braun, und dann ist man im Ostseebad Binz. Mit einem modernen, gutgepolsterten Linienbus geht es weiter, bis man in Göhren ankommt um dort von missgünstigen Eingeborenen in die falsche Richtung geschickt zu werden. Aber andere, sehr höfliche Einwohner weisen einem den richtigen Weg und schwups steht man auf dem Balkon seines Hotelzimmers und hört das Meer rauschen. Man kann es sogar ein bisschen sehen. Dann packt man seine reizende Begeleitung und sich selbst in dicke Daunen und rast sofort zum Meer, dass einen rauschend begrüßt. Das kann das Meer ganz gut, und es macht ihm auch nicht aus, denn man ist mit dem Meer ziemlich alleine da anscheint die anderen Bundesbürger, inkl. der Einwohner, es für richtig erachten, bei knapp null Grad und Windstärke vier das Meer alleine rauschen zu lassen. Weicheier.

So viel Seeluft macht natürlich Hunger und wo Meer ist, da ist auch Fisch, und wo Meer und Fisch sind, da ist ein Restaurant, in welchen zwischen "Miller light" Kühlschränken, Holzfresken auf denen "VEB Fischerei Rügen" steht und einer Dreiliter-Flasche "Riesling Halbtrocken" ein Zander serviert wird, der so frisch ist, dass er quasi von alleine versucht aus dem Senfmantel heraus zu schlüpfen. Danach ist die wundervolle Begleitung und man selber müde und man geht ins Bett ohne die Pay-TV Kanäle ausprobiert zu haben. So müde ist man. Das muss man auch, denn man nächsten Tag wartet das Meer erneut. Man hat sich angefreundet, da will man sich nicht warten lassen.

Nachdem ein Croissant, ein Vollkornbrötchen, ein paar Gurkenscheiben und ein Biosphärenmüsli ihren Weg gefunden haben, rast man an den Strand und ruft "Hallo Meer, schön dass Du auch schon da bist." Das langweilt das Meer etwas, denn das Meer ist ja die Ostsee und nicht die Nordsee, die zickige Braut, die ja nie da ist, wenn man sie braucht. Also brummelt die Ostsee einfach weiter und spült tote Muscheln an den Strand. Manchmal auch einen Ast. Man freut sich mit der Ostsee und latscht an ihr entlang, tunlichst darauf achtend, dass man zwar nah, aber nicht zu nah am Wasser ist, denn nasse Socken sind der Wandersgruppe Tod und sei es, dass sie nur aus meiner wunderhübschen Begleitung und mir besteht. Was das Meer an Kommunikationsfähigkeit missen lässt, gleicht eine stabile Beziehung sofort wieder aus. Tiefschürfende Wortwechsel wie "Guma, n roter Stein.", oder "N Ast" , oder "Wasn das?" lassen die Wanderung wie im Fluge vergehen und ehe man sich’s versieht, verschwindet das Hotel im Dunst und denkt. "Ui, das muss ich ja auch wieder zurücklaufen". Muss man(n) aber gar nicht. Denn Mann will noch mit dem Rasenden Roland Bekanntschaft machen, während Frau weiter Muscheln schubsen will. Also begleitet sich die wundervolle Begleitung mal alleine und man wandert zum Rasenden Roland, der sich als eine Schmalspurdampflokomotive herausstellt die einen tutend und schnaufend zurückrumpelt. Weil das anstrengend war, isst man auf dem Weg zum Hotel noch schnell ein Brötchen mit frisch geräuchertem Bücklingsfilet und macht dabei alberne Scherze mit dem Wort "Bückling". Doch die Scherze gehen einem bald aus, denn es fängt an zu regnen und man bedauert sofort die reizende Begleitung, die ja noch per pedes sehen will, ob der Weg zurück genauso aussieht, wie der Weg auf dem Hinweg. Schnell entert man das Hotelzimmer, wirft sich klagend auf das Bett und ist völlig verzweifelt. Was soll man tun? Einfach mal schlafen, damit man nicht so lange alleine ist? Oder schnell runter laufen, an der Rezeption einen Schirm holen und der wunderhübschen Begleitung entgegen gehen? So liegt man da und überlegt und überlegt und überlegt und gerade will man aufspringen und nach unten rasen, da geht die Tür auf, und die reizende Begleitung kommt nur ein bisschen nass rein. Glück gehabt. Weil man nach gefühlten 23 Stunden Spaziergang sehr durchgefroren ist, hüpft sofort ins Hotel eigene Schwimmbad. Ein feines Schwimmbad. Denn an jeder runden Ecke des Pools ist eine kleine Überraschung angebracht. Mal strahlt einem mit 30 Bar ein Wasserstrahl in die Hose, mal liegt man da und es macht soviel Bläschen, dass man sich seiner Blähungen nicht schämen müsste, hätte man denn welche.

Dann ist dunkel und man hat Hunger. Wieder Fisch. Diesmal was ausländisches. Loup de mer. Kulinarische Novizen mögen denken, dass es sich dabei um kleine Fische handeln könnte, sozusagen frühreife, übertolle, alberne Fischlein, die den ganzen Tag nichts anderes als Loopings im Meer machen und deswegen von gutmütigen, humorigen, pfeifeschmauchenden französischen Fischern mit Rotweinnasen so genannt wurden. Aber der weltgewandte Gourmet weiß natürlich, dass es sich hierbei um einen sprachlich aufgebrezelten Seewolf handelt, der mehr Gräten als Zähne hat und gar nicht aus der Ostsee sondern aus dem Atlantik kommt, demzufolge also auch nicht eben in der Küche sein Leben ausgehaucht haben kann. War trotzdem lecker. Vollgefressen und fertig mit der Welt liegt man dann um halb elf im Bett und macht "Uffz", während das Meer weiter rauscht und man denkt, es könne jetzt auch mal die Schnauze halten.

Da die Ostsee netter als die verzogene Schwester namens Nordsee ist, hält sie sich daran, und am nächsten Morgen ist das Meer spiegelglatt, und schmatzt nur noch ein wenig am Ufer. Doch schon heißt es Abschied nehmen und zusammen mit der wundertollen Begleitung erkundet man schnell noch mal vor der Abfahrt Binz und lernt dabei, dass man in den örtlichen Kiosken zwar Kaugummis in Uhrenform, Porzellanteller und die "National Zeitung" aber keine Getränke kaufen kann. Im Zusammenhang mit der "National Zeitung" fällt einem auf, dass die vielen Zuckergussvillen Namen wie "Udine", "Germania", "Freya", "Frigga" oder "Rolandseck" haben und dass das schon irgendwie komisch ist, dass friedliche Urlaubsgasthöfe Namen haben, die man immer mit einem Ausrufezeichen hintendran ausspricht, aber man ist ja im Urlaub und will sich keine Gedanken über so was machen, sonst würde sich am Ende noch ausmalen, wie da ein 90jähriges Mütterchen tagsüber ihre Pension führt um dann Abends, wenn alle Gäste von der Seeluft erschlagen im Bett liegen, heimlich das Ritterkreuz Erster Klasse ihres verstorbenen Mannes mit der "National Zeitung" von gestern poliert. Aber wegen des guten Wetters kommt man nicht dazu, und leider muss man schon wieder in den Zug. Zurück nach Berlin, ins Graue. Schön wars. Kann ich jedem nur empfehlen, besonders gerade, wo unter meinem Fenster die Weddinger Jugend eines ihrer zahlreichen Probleme ausdiskutiert.