Danke, Kutter. Toll. Auf Grund dieses Fotos habe ich mich gerade an eine längst vergessene Zeit erinnert.
Das war nämlich so: Ich wollte damals unbedingt Journalist werden. Ich war ja noch jung und hatte Träume. Und nach vielen bitteren Enttäuschungen, Abenden, an denen ich leise in mein Kissen geweint hatte, erreichte mich der Anruf. Ich möge doch morgen in der Redaktion erscheinen. Man habe Arbeit. Kamera mitbringen. Lässig erschien ich in der Redaktion. Und wurde weiter in den Bereich "Lokales" geschickt, wo mich eine Art aufgedunsener Versicherungsvertreter mit Kaffeeflecken auf dem Hemd erwartete. Wow - große weite Schreiberwelt. Ich wurde unterrichtet, dass ich an diesem Tag die Karrierechance meines Lebens bekommen würde. Es sei sehr, sehr wichtig, was ich da mache würde. Ich solle sehr, sehr freundlich sein. Und dann bekam ich einen Zettel mit drei Adressen. Pfarrhäuser. "Da gehste hin, machst ein paar Fotos und redest entweder mit dem Pfarrer, wenn der nicht voll ist, oder mit der Dame, die das organisiert hat. Vergiß nicht fragen, wo das Geld vom Basar hin soll".
Nunja, das enttäuschte mich etwas. Weihnachtsbasare fotografieren. Pffff. Ich, der kommende Dingskirchen Gewinner, ich der mit seinem Schreibstil die gesamte Journalistenzunft vor Neid weinen lassen würde, ich sollte auf Pfarrfeste. Na gut, für jedes abgedruckte Foto 30 DM. Pro Zeile 50 Pfennig. Ab ins Auto, zur ersten Gemeinde. Dort angekommen, platzte ich in eine kleine Feier. Die Basartische waren verlassen, nur um den Glühweinstand hatten sich fünf Senioren versammelt. Der Pastor war leider weg - hüstel. Also nur fünf prostende Senioren fotografiert und als BU (Bildunterschrift) geschrieben "Für heitere Stimmung sorgte in der Gemeinde XXXX der Glühweinstand". Wegen dieser BU kündigte der Pastor später sei Abo.
Zweites Fest. Hier ein Albtraum jedes Konditormeisters. Die Basartische waren voll mit ultratrockenem Sandkuchen, verbrannten Pflaumenkuchen und gedecktem Apfelkuchen. Von der Decke hingen die Strohsterne so weit runter, dass man geduckt laufen musste. Kein Mensch zu sehen. Nur zwei Grundschüler, die, offenbar erschöpft vom Kuchen, mit glasigen Augen in der Ecke hockten. Der Pfarrer eilte herbei. Sie sind zu früh, sagte er, das geht doch erst heute Nachmittag los. Also zu Termin Nummero Drei.
Hier tobte der Bär. Der Gemeindekindergarten hatte für die Dekoration gesorgt und einige der Insassen des Kindergartens, waren über die Basisdemokratisch gefällten Design-Entscheidungen offenbar unzufrieden und rissen diese von den Wänden. Auch einige Mütter waren dabei, die hier und da ein Bild eines Kindes (unförmiger Weihnachtsmann vor gezackten Weihnachtsbaum, Engel oben links in der Ecke) von der Wand zupften, um das von ihrem Kind (unförmiger Weihnachtsmann vor gezackten Weihnachtsbaum, Engel oben rechts in der Ecke) an selber Stelle aufzuhängen. Die Atmosphäre war etwas frostig, um nicht zu sagen latent agressiv. Kaum wurde ich als "der Mann von der Zeitung" erkannt, wurde ich eine Stunde lang von den verschiedenen Dekorationsfraktionen in Beschlag genommen, die sich bitterlich über die jeweils andere beschwerten ("Wie sieht denn das aus!" "Wenn man sich geeinigt hat, kann man doch nicht alles wieder rückgängig machen" "Frau X meint, nur weil ihr Mann hier den Lebensmittelladen hat, kann die sich alles erlauben") Zwischendrin ein relativ verzweifelter Pfarrer, der immer "Meine Damen!" sagte. Ich erinnere mich genau, was ich schrieb: "Eine ausgefallene Idee hatte die Gemeinde XXX. Die Dekoration wurde im Laufe der Feierlichkeiten mehrfach ausgewechselt, damit alle Kinder der Gemeinde ihre Werke austellen konnten." Der Pfarrer hat sich dann in der Redaktion bedankt.
Wieder zurück zum zweiten Fest. Mittlerweile hatte der Pfarrer die Organisatorin des Basars aufgetrieben, die offenbar die beiden bräsigen Kinder los gejagt hatte, um sämtliche Senioren der Gemeinde aus der Wohnung zu zerren. Jedenfalls war es voll. Und zwar so richtig. Die Stände, an denen selbstgemachte Tonschüsseln für ein Kinderdorf in El Salvador verkauft wurden, die Kuchenstände. die Stände mit den Strohsterne, überall drängelten sich Menschen. Der Pfarrer zerrte mich, sobald er mich sah, sofort zur Organisatorin, eine Freifrau von und zu und auf und davon mit Dutt oben drauf. Der zitterte ein wenig, als sie sich bitterlichst darüber beschwerte, dass wie Zeitungsleute keinen Respekt mehr hätten, wie schlimm die Zustände seien, dass sie sich beschweren würde, und überhaupt. Dann mußte ich alle Namen, aller Damen aufschreiben, die ihren Sandkuchen hatten trocken werden lassen. Und die der Sponsoren (Getränke Müller, Tapazierer Schmitz). Und wenn das so morgen nicht in der Zeitung stehen würde, dann würde sich ihr Mann beim Chefredakteur beschweren, man habe ja Kontakte.
Es gab keine Beschwerden (bis auf die eine Abo-Kündigung, aber der Lokalchef meinte, das würde der jedes Jahr machen, spätetens zum Osterfest würde er wieder unter lautstarken Protest das Abo wie immer zum allerletzten Mal noch mal erneuern). Und weil das so gut lief, durfte ich dann drei Wochen lang so fünf bis sieben Basare und Pfarrfeste besuchen. Ich habe in meinem Leben nie mehr Sandkuchen gegessen.