Die Sache mit dem Unfall
Als ich E. kenne lernte hatte ich gerade meine "Ich muss alles ficken" Phase beendet. Ich war 25, glaube ich, arbeitete in schon mehrfach erwähnter Kneipe in Köln und es ging mir nicht schlecht. E. war anders. Sie trug Lederjacken, war halbe Österreicherin und lebte schon einigermaßen von ihrem Job als freie Flimkritikerin. Sie war intelligent, schlagfertig, gutaussehend, versoffen und machte sich immer so lange kleine Knoten ins Haar, bis sie auf dem Kopf wie ein Puzzelspiel aussah. Sie war völlig bescheuert und ich liebte sie. Das dumme war, dass sie mich auch liebte. Wenn E. aber jemanden liebte, dann hatte der eigentlich schon verloren, denn damals bedeutete es, dass derjenige, der sie liebte, sie möglichst schlecht behandeln musste. Das wollte sich mit meinem Konzept von Liebe schlecht vereinbaren lassen, da ich in diesem Punkt doch konservativ und mediengeschädigt war. Ich dachte, man müsse sich ein wenig auf Händen tragen, foh sein, dass man einander gefunden hat. Sie hatte das schnell bemerkt und hielt mich an der langen Leine. Nur beim Sex klappte es. Wir vögelten uns durch ihre WG, probierten merkwürdige Dinge aus. Besonderen Spaß machte es ihr, wenn wir bei ihrer Mutter vögelten. Die Mutter, eine Frau, die das komplette Lebenswerk von Karl Kraus auf der Heizung stehen hatte, soff wie ein Loch, und den besten Tafelspitz nördlich der Donau machte, pflegte mit ihrer Tochter eine Art Hassliebe. Kaum war E. angekommen, wurde sie beschimpft, oder E. beschimpfte ihre Mutter. Sie brüllten sich an, und am Schluß sagte E. manchmal etwas hässliches, zerrte mich ins Schlafzimmer, wo sie dann immer ganz besonders laut stöhnte. Nicht, dass ich das verstanden hätte, aber ich war viel zu eingeschüchtert, um etwas zu sagen. Ich liebte sie sehr. Und je mehr ich sie liebte, desto stärker zog sie sich zurück, und ich litt wie ein Hund.
Natürlich war sie auf der Berlinale. Und natürlich rief sie mich allem zwei Tage an, um mir zu erzählen mit wem sie diesmal rum gesoffen hatte, mit wem sie geknutscht und dass sie jetzt leider keine Zeit mehr habe, bis später Tschö. In solchen Sachen war ich aber mittlerweile relaxed. Ich wußte zwar, dass sie gerne und oft rumknutschte, aber mehr auch nicht. Immerhin hatte ich schon soweit verstanden, dass, je mehr ich mich darüber aufregen würde, sie erst recht rumknutschen würde. Einfach weil sie wußte, dass es mir weh tat. Trotzdem war ich verwundert, als mich anrief, und meinte, ich solle doch auch nach Berlin kommen. Sie würde mich vermissen, etc. pp. Hey, dachte ich, das ist ja mal ein neuer Ton, und freute mich wie ein Schneekönig. Ich sagte zu am gleichen Abend noch zu los zu fahren. Es war Februar, es war kalt und feucht und irgendwo zwischen Bielefeld und Hannover hab ich die Kontrolle verloren. Der Wagen krachte erst mit rund 80 Sachen in die Mittelleitplanke, kreiselte über die Autobahn und rummste dann in einen Graben. Mein Kopf war gegen das Seitenfenster gekracht, mein linker Unterarm gegen das Lenkrad und ich bekam im ersten Moment den Gurt nicht auf. Jemand holte mich aus dem Auto und setzte mich in einen Wagen. Die Polizei war nett, und der Arzt auch. Sie verfrachteten mich in ein Krankenhaus, aber ich ließ mich auf eigene Verantwortung wieder entlassen. Mein Kopf war Geele, meine Augen taten mir weh, den linken Arm konnte ich kaum bewegen und alles war in einen dichten Nebel eingetaucht. Ich wollte doch nach Berlin. Das war das einzige, was ich denken konnte. Nach Berlin, zu E. Ich setze mich in einen Zug, kam irgendwie nach Hannover, wo ich E. informierte. Sie stöhnte, dass ich später kommen würde, meinte, ich solle dann in der WG, in der sie untergekommen war, warten. So gegen Mittag kam ich dort an, die Leute waren nett und E. tauchte so um Mitternacht dann endlich auf. Mittlerweile war ich völlig fertig. Als wir uns ins Bett legten, setzte sich der Nebel in meinem schwer angeschlagenen Hirn, der Schock des Unfalls kam mit einer vollen Breitseite durch und ichw war froh, endlich neben E. zu liegen, mich endlich ein wenig fallen lassen zu können. Ich fing an zu zittern, die ganze Angst kam raus und der Frust, dass mich sie mich so lange hatte warten lassen, wo sie doch wußte... Ich wollte sie in den Arm nehmen. "Lass das bloss sein", meinte sie nur und auf mein gepresstes "Wasn los?" sagte sie "Wenn du schon so dämlich bist einen Unfall zu bauen, sieh auch zu, dass du damit klar kommst." Ich legte mich auf den Rücken, starrte an die Decke und weinte leise. Es war einfach zu viel. Kaskadenartig stürtze alles zusammen. Offenbar war ich aber nicht leise genug, denn sie sprang plötzlich auf, schnappte sich ihr Bettzeug, murmelte was von "Ich muss morgen früh raus" und ging.
Ich hab mich dann ein paar Wochen später von ihr getrennt, aber die Nacht hab ich nie vergessen. Und wahrscheinlich hab ich in der Nacht auch verlernt, wie das ist, wenn man Gefühle hat, wenn man offen wie ein Scheunentor ist, wenn man blutet, wenn man sich fallen läßt, wenn man rückhaltlos seinen Emotionen freien Lauf läßt. Wahrscheinlich ist diese Nacht auch der Grund, warum ich nur noch Frauen in meine Nähe gelassen habe, die ich abstreifen kann, die mir nicht gewachsen sind, die mich nur deswegen berühren, weil ich ein schlechtes Gewissen habe. Vielleicht hab ich deswegen den Zugang dieser Sache so lange verloren. Vielleicht ist es wegen dieser Nacht so, dass ich meine Emotionen nur noch metaphorisch in Musik, Lyrik und Geschichten ausdrücken kann, weil ich warte, dass jemand das System durchschaut. Wahrscheinlich habe ich deswegen so große Angst. Aber das bin ich ja nun selber schuld.
Ich sollte es aber lassen, dass sich Menschen ich mich verlieben, denen ich am Ende doch nur wieder Schmerzen zufüge. Mittlerweile bin ich zwar besser geworden, und mache sowas auch schon mal gerne direkt am Anfang, aber das hilft ja nun auch nicht wirklich weiter.
Warum ich das hier schreibe? Ich schreib es für jemanden bestimmten, die am Wochenende in den Genuß meiner Art gekommen ist. Und dass, obwohl sie die wundervollste Seele hat, die mir seit langem begegnet ist, sie stark, groß und wundervoll ist und jedesmal, wenn sie mir nur eine SMS geschrieben hat, die Wärme an Stellen kam, die lange völlig verschlossen waren. Es tut mir leid.