Veränderung

Mir fällt das beim Schreiben immer auf. Wenn die Sätze kürzer werden und im Hirn so eine leere Gedankenschleife kreist, die Augen den Halt verlieren und das Sehen immer ins unscharfe driftet. Dann schlackern die Arme ein wenig sinnlos rum, der Magen knurrt und doch tut man nichts dagegen. Nicht weil es zu anstrengend wäre. Oder weil man keine Lust hat. Man steht vor dem Essen, und denkt, jo, könnte man auch machen, aber irgendwie jetzt nicht. Was denn nun, frag man sich, und der Domino Day auf RTL scheint die einzig richtige und logische Alternative zu sein, ergänzt durch Dosenbier und ein belegtes Brot, damit der Magen endlich Ruhe gibt. Man streunt durchs Internet, klickt willenlos mal hier mal da und findet das ganze recht sinnlos. Private Homepages. Aber da sind nur Menschen die irgendjemand anderen, möglichst die Liebe des Lebens, suchen. Was geben sich die Leute für eine Mühe sich hinter Masken zu verstecken, nur um sie endlich fallen lassen zu können.

Also doch Bier. Über mir sägt jemand seit Stunden rum: klingt, als ob er Holz durchsägt, könnten aber auch die Knochen seiner Mutter sein. Man liest ja viel. Ich säge mein altes Brot an und es klingt genauso. Wird wohl doch Holz sein, denke ich, und belege das viel zu dick geschnittene Brot doppelt mit rohem Schinken. Hat mir meine Ärztin gesagt. Das mit dem Schinken. Ist kein Fett dran, und würde besser schmecken. Stimmt. Passt auch besser zum Dosenbier.

Die Gedanken wollen immer noch nicht Fuß fassen. Sie bleiben in einer Warteschleife. Ich habe keine Lust mit meinen Gedanken fangen zu spielen. Sind eh meistens langweiliger, als man denkt. Vielleicht rauchen? Ich hab mir mal wieder Tabak gekauft. Neulich. Warum weiß ich nicht, aber ich hatte plötzlich Lust, mal wieder zu drehen. Dabei rauch ich eigentlich gar nicht. Das war jetzt eine Lüge. Ich rauche zwar tagsüber nicht mehr, dafür aber Abends. Und neulich trank ich viel Bier und hatte nichts mehr zu rauchen und wollte auch nicht zur Nachttanke runter gehen. Ich war in einem Zustand der mittleren Verwahrlosung. Drei Tage keine Haare gewaschen, die Addidas Trainigshose, die ich mir mal heimlich gekauft hatte, an, dazu ein schwarzen T-Shirt, in dem viele kleine Lenor Moleküle gegen eine Übermacht von körpereignen Moleküle verbissen ankämpften. So kann man nicht raus gehen. Schon gar nicht ohne Socken bei schlappen drei Grad. Selbst in einem Zustand mittlerer Verwahrlosung möchte man so nicht Nachts um vier durchs Treppenhaus schleichen, die Straße überqueren und vor dem eh schon erniedrigendem Sicherheits-Nachtschalter stehen. Ich probiere das mit dem Verwahrlosen ab und an mal aus. Sich dauernd neues T-Shirts anziehen, immer alles sofort aufräumen, und eine fusselfreie Hose anziehen, kommt mir erbärmlich langweilig vor. Man steht dann fusselfrei und mit nach Pfirsichen riechendem Haar in der saubernen Wohnung und streichelt lächelnd über die Edelstahl Spülgarnitur. Das ist für einen Moment schön, besonders im Frühjahr, wenn die warme Luft durchs Fenster strömt. Aber es ist eben nur einen Moment, den kann man nicht konservieren. Man kann auch nicht NOCH sauberer putzen. Man kann den Moment nehmen, und seufzend feststellen, dass er, sobald man auch nur den Wasserhahn aufdreht, sofort wieder zerstört ist. Ich habe schon tagelang auf das Aufdrehen des Wasserhahns verzichtet, nur um den Moment zu konservieren, was ganz schön anstrengend ist. Kein Tee, nichts mehr benutzen. In der Sekunde, in der ich den Wasserhahn aufdrehe, bricht dann alles zusammen. Mit der Verwahrlosung ist das einfacher. Sie schreitet voran. Man kann ihr zusehen. Sie ist ein Zustand, der immer einen Moment hat, und dieser Moment entwickelt immer wieder neue Höchstleistungen. Erstaunt schaut man dann eines morgens in den Spiegel, und denkt sich: "Wow" In so einem Zustand ist man irgendwo bei sich selber und doch ganz weit weg. Vor allem weg von da draussen. Man hat mit dem da draussen nichts mehr zu tun, und möchte auch nicht, dass das da draussen etwas mit einem zu tun hat. Deswegen bin ich dann nicht die Treppen runtergestiegen um Zigaretten zu holen. Ich hab noch alte Zigarillos gefunden, bei denen mir, sofort nach dem ersten Zug, schwindlig wurde. Also hab ich sie nur im Aschenbecher qualmen lassen, und zugeschaut, wie sich die Rauchkringel um die Weinflasche schlängelten. Aber das mit der Verwahrlosung ist jetzt vorbei. Irgendwann stellt man fest, dass die Verwahrlosung nicht mehr so linear ansteigt, wie die Tage zuvor. Der Bart wird nur marginal dichter, die Krümmel auf dem Küchentisch haben ihre maximale Ausdehnung erreicht und fallen hier und da auf den Boden. Dann fängt es an unangenehm zu werden, denn wenn man ohne Socken über den Küchenboden läuft und sich kleine Brocken in die Fußsohlen bohren ist es mit der morgendlichen guten Laune schnell vorbei und man denkt sich: "Man, man, man".

Also fällt man zurück. Oder besser nach vorn? Ich weiß nicht. Auf jeden Fall ist die Arbeit plötzlich getan und die kleinen Alltagsdinge fangen wieder an ihr Recht einzufordern. Plötzlich fällt einem auf, dass die Nachbarn von gegenüber seit zwei Woche durch die Vorhangslosen Fenster auf den relativ unberührten Wäscheständer starren können. Man fragt sich, wo man neulich eigentlich die nicht peinliche Hose hingeworfen hat. Und dann stellt man fest, dass sie verborgen unter einem Stapel T-Shirts liegt, in denen die Lenor Moleküle den Kampf längst verloren haben. Und eigentlich müsste man jetzt das alles zusammenräumen, aufräumen, wegräumen, umräumen. Man müsste die Ordnung wieder herstellen, aber dann plötzlich hängt man eben in dieser Gedankenschleife fest, die sinnlos ihre Kreise dreht und man findet das irgendwie erheiternd und auch tröstlich, denn man erkennt, das sich die Dinge wieder anfangen zu ändern.