Ach, das Seelchen ist tot. Ausgerechnet Maria Schell erinnert mich an einen meiner größten - nennen wir es mal kreative Interpretation - meiner journalistischen Karriere. Ich arbeitete - nachdem ich mir meine Seele schon in der Musikindustrie auf Jahrzehnte hin versaut hatte - damals in einer kleinen Fotoagentur, die einen kleinen Textbereich hatte, der für die Yellow Press (weniger Bunte, eher mehr Goldenes Blatt) Fotos mit den passenden Geschichten lieferte. Das lief folgendermaßen: Die Agenturinhaberin, eine wundervolle Frau, mit allen Yellow Press Wassern gewaschen, von der ich unfaßbar viel gelernt habe, also jene hatte riesige Aktenordner voll mit Fotos von allen möglichen C-, B- und A-Promis. Die Fotos waren teilweise nicht mehr ganz taufrisch, was aber nichts machte, zeigten sie doch Schauspieler und Sänger in unverfänglichen, jederzeit einsetzbaren Motiven.
So ein Fotoshooting ist ja nicht ganz billig, also wurden die Motive immer mehrfach geschossen. Zum Beispiel: Schauspieler einmal mit Familie und einmal ohne Familie beim Kochen. Kann man immer verwenden. Wenn der Schauspieler gerade einen Film abgedreht hatte, schrieb man als Text drunter:"Nach dem Dreh zum Film XXX, erholt sich der beliebte Schauspieler ZZZ mit seiner Familie beim Kochen." Hatte er gerade keinen Film, war aber A-Promi und wurde deswegen immer gerne auf den "Vermischten" Seiten abgedruckt, schrieb man "Schauspieler ZZZ erholt sich zwischen zwei anstrengenden Filmproduktionen mit seiner Familie beim Kochen." Hatte er sich von seiner Frau getrennt, nahm man natürlich das Motiv auf dem er alleine zu sehen war und schrieb "Schauspieler ZZZ erholt sich nach der schwierigen Trennung von seiner Frau beim Kochen." Natürlich immer in der gleichen Küche, während Schauspieler ZZZ eine Ladung Nudeln über den Topf hielt. So konnte man ein Fotoshooting bis zu 10 Jahre lang verwenden. Besonders stolz war meine Chefin auf einige Fotosets, die sie mit Promis gemacht hatte, die eigentlich keine Fotos machen.
Zum Beispiel Maria Schell. Die lebte schon seit Jahren abgeschieden auf einer Alm und ließ niemanden an sich ran, bis meine Chefin kam und sie um den Finger wickelte. Und so hatte sie die einzigen Fotos von der Schell auf ihrer Alm, die man wahrscheinlich nächste Woche in allen Yellow Press Heftchen sehen kann. Natürlich war es meiner Chefin bewußt, dass sie da einen Goldesel in der Schublade hatte, aber leider war Frau Schell schon damals nicht mehr wirklich hochmodern. Als dann ihr Bruder, Maximillian Schell, einen Film über seine Schwester drehen wollte, bekam die Chefin Dollarzeichen in den Augen und sagte "Don, ruf mal an und mach ein Interview, super Story, berühmter Bruder verfilmt berühmte Schwester, los, los, in zwei Stunden will ich das Ding auf dem Tisch haben."
Klar, leichte Übung, dachte ich, wählte die Nummer in Österreich und wartete. Ich bekam dann die Putzfrau an die Leitung und, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, es entsponn sich folgernder Dialog:
Don: Guten Tag, hier Don, von der Agentur CP, ich hätt gern Frau Schell gesprochen. Putzfrau: Isse nixe da. Tschüss Don: Moment. Wann ist Frau Schell denn wieder zu erreichen? Putzfrau: Isse nixe da. Kommte nichte mähr Don: Ach, die wohnt da nicht mehr? Putzfrau: Doch, aber nixe da. Don (was ahnend): Schade, ich wollte mit ihr über dem Film sprechen, den ihr Bruder über sie machen will. Putzfrau: Hm Don: Tja, das ist ja doof, wir haben ja bald Redaktionsschluss Putzfrau: Moment Raschel, Flüster, Raschel. 10 Sekunden später die gleiche Stimme am Telefon "Schell. Sie wollen mich sprechen?"
Bis dahin war das ja alles noch normal und ich wunderte mich nicht weiter. Aber dann entsponn sich das depressivste, traurigste Interview, dass ich jemals in meinem Leben geführt habe. Schon an der Stimme merkte man, dass man es mit einem Menschen zu tun hat, dem es nicht mehr wirklich gut ging. Brüchig, leise, als ob sie unter Beruhigungsmittel stehen würde und fast ängstlich antwortete sie mir. Dachte ich vor dem Telefonat noch, ich würde mit einer burschikosen, älteren Dame sprechen, hatte ich plötzlich jemanden am Telefon, der völlig zerbrechlich war. Sie beantwortete alle Fragen, langsam, aber detailliert, stockte zwischendurch, wenn sie in ihren Erinnerungen kramte. Und je mehr sie kramte, je mehr sich von ihrer Zeit in Hollywood erzählte, damals, als sie mit Gary Cooper und dem jungen Marlon Brando gearbeitet hatte, desto trauriger wurde sie. Mit anderen Worte: sie klappte am Telefon zusammen und ich konnte nichts machen, außer zuhören und zu versuchen, das Thema "Romy Schneider" möglichst weit zu umgehen, was mir nicht gelang, weil sie sich selber erinnerte und dann anfing zu weinen. Das war dann der Punkt, an dem ich das Interview innerlich abgebrochen habe und Lebenshelfer gespielt habe. Insgesamt habe ich über eine Stunde mit ihr gesprochen, die letzten 20 Minuten nur noch darauf verwendet, sie davon abzuhalten, sich in eine Schlucht zu stürzen. Der Satz "Frau Schell, dass wird schon wieder, warten sie mal ab, ihr Bruder macht doch jetzt den Film mit ihnen" habe ich wie ein Mantra wiederholt, bis sie glaubte und ich vor allem ich ihr, dass sie sich nicht gleich zum Sterben aufs Sofa legt.
Nachdem Interview habe ich sofort bei der Agentur von Maximillian Schell angerufen, mit der Bitte, er möge sich mal so schnell wie möglich bei seiner Schwester melden, der ginge es nicht gut. Tatsächlich rief er dann ein paar Stunden später zurück, bedankte sich erst für die Nachricht, um mir dann nachdrücklich nahe zu legen, das Interview nicht zu verwenden. Das hätte er gar nicht machen müssen, denn ich war immer noch mit den Nerven runter. Mir war völlig klar (und deswegen ist aus mir in der Branche auch nix geworden), dass ich das Interview niemals irgendwo veröffentlichen wollte. Was dann zu einer harten Auseinandersetzung mit meiner Chefin führte. Sie meinte: "Da musste durch" Ich meinte: "Es gibt Grenzen". Sie meinte: "In der Branche gibts keine Grenzen, außer Du hast die Lady Di Fotos". Ich meinte: "Aber ich hab Grenzen, und das ist eine. ich schreib nicht "Weltstar depressiv-dement auf der Alm vergessen " Sie meinte: "Deine Grenze ist deine Miete, und die musst du noch bezahlen und dafür, " sie wedelt mit den Fotos von der Schell, "gibts Provision." Da hatte sie leider recht. Aber Schreibhure hin, Miete her, das ging einfach nicht mit meinen Moralvorstellungen zusammen, zumal ich immer noch die unfassbar traurige, zitternde Stimme im Ohr und das Bild der starken, schönen, liebenswerten Maria Schell in ihrem Filmen vor Augen. Also nahm ich das Interview mit nach Hause, öffnete eine Flasche Wein und begann das Interview zu sezieren. Irgendwann in der Nacht war es fertig und ich hatte aus den Satzfetzen etwas gemacht, was sich so las, wie das Interview mit einer Frau, die zwar abgeschieden, aber glücklich und zufrieden auf ihrer Alm wohnte. Glücklich und zufrieden war dann meine Chefin am nächsten Morgen auch. Und mein Vermieter eine Woche später, als ich die Miete zahlte.
Ich hab viel Interviews gemacht, aber das werde ich wohl mein Leben nicht vergessen. Auch nicht den Kampf um meine Moral, ob ich das Ding aufputsche und vielleicht sogar an die Bild verscherbel. Wäre ja durchaus eine Geschichte für die gewesen. Exklusiv Interview mit dementen Altstar, dazu auch noch, zwar nicht neue, aber immerhin Fotos. War meiner Chefin auch klar, aber sie hat nie was gesagt. Habe ich ihr immer hoch angerechnet, dass sie in der Drecksbranche, in der etliche Schmierenjournalisten ihre Großmutter vor das Auto eines Promis schubsen würden, nur um eine gute Story zu haben, stillschweigend meine Moralvorstellungen akzeptiert hat. Und ich war froh, dass ich am Ende ein langweiliges Interview hatte, das niemanden weh tat. Ist in den Kommentaren zu lesen.
Heute in irgendeiner Zeitung mal wieder über Namen Florian Illies gestolpert. Ich kenn den ja nicht, aber dennoch erweckt sein Name bei mir leichte Hassgefühle. Nichts schlimmes. Also jetzt nicht so ein "Wenn Du das nochmal sagst, geh ich zurück zu meiner Mutter" Hass, oder gar eine "Wo ist meine alte, verrostete Motorsäge?" Raserei. Eher so ein "Ach nööö" Ding gepaart mit einer leichten inneren Resignation und eben dem leichten Zucken des Kopfs. Illies, die alte Erdnussflocke. So witzig wie ein kleines Steak. Ich hab selten humorlosere Bücher als die seinen gelesen, von seiner Zeitung mal ganz abgesehen. Sein erstes Buch wurde mir Gottseidank von niemanden mit den Worten "Lies, das ist total toll" in die Hand gedrückt. Nicht, weil ich niemanden kennen würde, der nicht einen von seinen Eltern geerbten Golf II gehabt hätte, sondern weil ich vermutlich das Glück habe, Menschen zu kennen, die mir sowas nicht empfehlen. Ich kenne Menschen, die mich auf Bücher von Oskar Panizza aufmerksam machen. [Vielleicht sollte mich das aber auch nachdenklich machen, dass ich mir Menschen Bücher von durchgeknallten Protestanten geben, die von ihrer Mutter ins Irrenhaus gesteckt wurden] Irgendwann habe ich sein Buch doch mal gelesen und mich geärgert über diese Bauchnabelschau von Menschen, die sich den Pullover vor der Brust zusammenknoten. Das man in 80ern in Läden gegangen ist, die "Cappuccino" hießen, ist ja nicht das Problem, denn diesen Läden, mit ihrer Neonwerbung an der Wand, konnte man ja nicht entgehen. Quasi die Klingeltonwerbung der 80er. Das man sich darin offensichtlich wohl gefühlt hat, ist aber was anderes. Schon nach der Hälfte des Buches wollte ich den Gegenentwurf schreiben, weil ich den geföhnten Ex-Jung-Managern nicht den Entwurf einer sauberen Jugend überlassen wollte, aber der Erfolg des Buches ließ mich dann besser meinen Mund halten.
Geärgert hab ich mich trotzdem, aber nicht nur über ihn. Auch all die Stuckrads, Krachts etc. die mich mit ihrer langweiligen Befindlichkeitssoße übergossen waren auch nicht besser. Pop-Literat zu sein war ja toll. Quasi die New Economy des Literaturbetriebs. Die ja auch dann mangels Masse unterging. Was ich bei all den Büchern vermisst habe, war Feuer, eine innere Wut, die sich nur mit Buchstaben ertränken lässt. Alles erging sich in semi-lustigen Betrachtungen, arroganten Betrachtungen der Umwelt - solange die Betrachtung dem Geschmack der eigenen Sosse zuträglich waren - und unfassbar langweiligen Selbstfindungsproblemchen. Kein Feuer und schon gar kein Aufbegehren, sondern nur ein "Ich wär so gern ein junger Grass oder Lenz" Anbiedern. Nur nicht aufregen, nur nicht aus der Reihe tanzen. Sehr neidisch hab ich nach Frankreich geschaut, wo Virginie Despentes, Michel Houellebecq oder Marie Darrieussecq ihre Seelen auskotzen und keine artifizielle Lebenslügen verbreiteten, sondern eine, manchmal sicher quälende, Analyse betrieben, ohne dabei mit der Sprache spielen zu wollen. Sie benutzten eine klare Sprache, keine langwierigen Umschreibungen, in denen der Autor um sich selbst und um die Worte drehte. Die Worte mussten deutlich sein, keinen Irrtum zulassen. Selbst das unsägliche Buch von Catharine Millet fand ich noch besser, als all das, was ich aus Deutschland gelesen habe. Denn da passierte wenigstens etwas in Büchern, was tiefer ging, als die kaugummigleichen Betrachtungen, die verkrampften Beschreibungen von Trieben und dem, was sie anrichten können. Dieses komplette Auslassen von diesen Dingen, dieses verspießte Ignorieren, einem katholischen Wegschauen ähnlich, war nicht nur schlimm, sondern auch verlogen. Und Illies war/ist da einer, der in seiner langweiligen Harmlosigkeit, in seiner Fleisch gewordenen "Manufaktum" Hölle, diese literarische Langweile verkörpern. Aber was solls. Das kann man ja nun ebenso wenig ändern, wie den "Fun Freitag" bei Sat.1 [da frag mich auch immer: wer lacht da?]
Bei Amazon kann man Musik total gratis, franko, frei und vor allem umsonst runterladen. Sind auch ordentlich codiert. Immer auf den Titel klicken.
Via Le Teil
Nun ja. Das man im Internet, gerade bei Blogs, damit rechnen muss, das nicht alles was man so liest, der schönen, reinen Wahrheit entspricht, und dass dies manchen Menschen nicht bewußt ist, wundert mich manchmal schon. Das ist so ein bißchen, als wenn man sich darüber beschwert, dass auf Lebensmittelverpackungen das Essen immer besser aussieht, als wenn man es dann selbst auf den Teller hat. Deswegen schreiben die Lebensmittelverpacker auch "Serviervorschlag" klein an die Seite. Vielleicht sollte man das auch bei Blogs machen, damit zarte Gemüter darauf hingewiesen werden, dass zwischen dem was man schreibt und dem was man lebt ein Unterschied existieren könnte. Das sich eine Autorin in ihrem selbstgestrickten Lebensfäden verheddert. ist wahrscheinlich auch nicht so schlimm. Schlimm ist es wohl, wenn sie dann damit beginnt, dass was sie sich erdacht hat, in die Realität zu transportieren, in dem man andere Menschen benutzt.Ich mag mir das tägliche Ringen um Wahrheit da gar nicht vorstellen. Das Lügen, das nicht mehr anders können, das Wissen, dass es am Ende in Hose gehen muss und das man in einer Art Wahnsinn dann auch noch gleich die Gefühle von anderen Menschen mit in den Abgrund reißt. Vor allem von jenen, die man dann auch als Teil der eigenen Realitätsinszenierung benutzt hat, mit denen man sich getroffen hat, denen man ein Bild vermittelt hat, dass ganz und gar nicht stimmt. Das ist nicht nur unschön, sondern auch eine unverzeihliche Sache, geht es doch nicht mehr nur um die eigenen Gefühle. Und wenn man monatelang jemanden etwas vorgaukelt, ihm in die Augen lügt, dann überschreitet das meilenweit eine Grenze und man darf sich auch nicht wundern, wenn man einem fast so etwas wie Hass entgegenschlägt. Auf der anderen Seite muss die Frage auch erlaubt sein, wie viel Reaktion verletzte Gefühle einem erlauben, bzw. wie viel Reaktion man sich erlauben kann. Ob man sich nicht auch selbst ein wenig an die Nase fassen muss, wenn sich erst in die Oberfläche eines Blogs oder einiger Mails verliebt, mit der Hoffnung, es möge sich am Ende all das brav bestätigen, was man sich erwünscht. Ob ein verletztes Gefühl immer so alles rechtfertigt. Aber das ist leicht gesagt. Wem ist es nicht passiert, dass man sich in ein Bild verliebt, das man sich eben gemacht. Aber das wirklich nur am Rande. Ich bin da nicht betroffen oder involviert und es ist immer leicht aus der Entfernung zu betrachten. Ach, Internet. Tanztees wie früher waren da irgendwie unkomplizierter.
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