Samstag, 23. September 2006

OMD, Freigelände. Die welkende Rothaarige im grünen T-Shirt, auf dem „Fischmarkt“ steht, kommt zum achten Mal mit ihrer riesigen Mülltüte vorbei und lehnt sich weit über den Tisch, um zu sehen ob in den letzten zwei Minuten nicht vielleicht doch jemand seine Cola ausgetrunken hat. „Muss doch alles schön sauber aussehen“ meint sie, als ihr jemand am Tisch sagt, sie solle doch nicht so ungemütlich sein. „Wenn ich einen Job mache, dann auch richtig.“ Irgendwer am langen Tisch wirft ihr einen Blick zu, den sie wohl für arrogant oder mitleidig hält. Solche Regungen kann sie nicht auf sich sitzen lassen. Sie holt tief Luft und beginnt laut und hektisch zu erzählen. Dass sie nicht immer in den untersten Chargen der Messegastronomie gearbeitet hätte und im Grunde mit an den Tisch gehöre. Früher hätte sie nämlich eigene Firmen „mehrere, hören Sie, mehrere“, und vier bis fünf Fremdsprachen könne sie auch. Und das Geld, ja das hätte sie früher bündelweise ausgegeben. „Bün-del-weise, rechts und links,“ ruft sie und zieht imaginäre Scheine aus den beiden Seitentaschen ihrer Billig-Jeans. „Meine erste Firma hatte ich schon mit 20, die hab ich mit Profit verkauft, dann noch zwei,“ erzählt sie „ich hab das ganz große Rad gedreht.“ Irgendwann aber sei sie von der Bank schlecht beraten worden und dann kam der Absturz. Ganz schnell. Keine weiteren Kredite, kein Mann, keine Familie, keine Rücklagen. „Aber man muss ja flexibel sein. Ich arbeite alles, jetzt. Lieber Scheiss-Jobs als Sozialamt.“ Also Mülleinsammeln auf Messen und Events, Busbetreuung von Wochenendtouristen auf Polenfahrt, Parkplätze bewachen, „eben so wie’s kommt, weil einen richtigen Job krieg ich nicht mehr. Die finden mich alle zu alt.“ Ein Suchmaschinenoptimierer am Tisch unterbricht ihren Redefluß und weisst sie in herrischem Ton plus vertraulichem ‚Du’ darauf hin, dass hier „mehrere separate aber allesamt wichtige Besprechungen“ stattfänden und sie jetzt wirklich genug gestört habe. „Ach, blas Du Dich mal nicht so auf,“ herrscht sie ihn an und fährt sich energisch durch Haare, „Du bist vielleicht schneller pleite als Du glaubst. Und alt sowieso. Richtig frisch siehst Du ja jetzt schon nicht mehr aus.“ Dann macht sie eine ausholende, halbkreisförmige Bewegung mit den Armen, so als wolle sie uns in ihre Mülltüte schieben. „Passt Ihr mal alle schön auf Euch, denn das mit dem arm und alt werden geht ganz schnell. Ruckzuck und raus aus dem Spiel seid ihr!“ Bevor jemand reagieren kann, säuselt sie „ Schönen Tag dann noch“, dreht sich um und schlendert mit ihrer Mülltüte zum übernächsten Tisch. Mit der aufrechten und gleichzeitig gut gelaunt-geschmeidigen Körperhaltung derer die wissen, dass sie wirklich recht haben...

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Freitag, 15. September 2006

Frust beim Arbeiten. Ist uncool, hat trotzdem fast Jeder. Ich auch. Vor allem heute. Stunde um Stunde recherchieren und überall dasselbe hören ist einfach zum Erbrechen langweilig...

Als zwangsläufig zukunftsorientierter Marketing-Mensch muß man viel Gegenwärtiges lesen. Das weiß kaum jemand besser als der Merlin des Mainstream, Mathias Horx. Auf den berufen sich deutsche Medien seit Jahren immer dann an, wenn irgendwas bereits deutlich nach „Trend“ riecht. Statt ihre Hausaufgaben selbst zu machen, sprich zu recherchieren, zitiert die Journaille den Zukunftsforscher Horx, wie er anderleuts Studienergebnisse, etwa von Price Waterhouse Coopers oder BITKOM zitiert, und dazu vielleicht noch (ohne Quellenangabe) einen Artikel aus dem Harvard Business Manager und/oder Fortune interpretiert. Beispielsweise zum Thema Community Marketing und In-Game Advertising.

Ein bisschen Geraune über gesellschaftlichen Wandel, Paradigmenwechsel usw. dazu und schon reicht's nicht nur für FT und Handelsblatt, sondern auch für Zeit, Spiegel usw. . Dann kommen die ersten TV Magazine, basteln ein wenig human touch dazu (16-jährige Mädels im Buzz-Fieber oder so) und ein paar Wochen später erkennen ihn dann wirklich Alle, den „Trend“. Eine knappe MInute bevor Mutter Beimer darüber nachdenkt, ein Video bei YouTube reinzustellen und/oder ein Reisebüro-Blog zu schreiben, während Hansemann über eine T-Online-Werbung im Computerspiels seines Sohns wettert...

Nichts gegen Herrn Horx persönlich. Der ist ein fleißiger Mann, Soziologe, und hält sich breitflächig auf dem Laufenden. Und weil er seine Pappenheimer bei der Presse und vor allem die in den Marketingabteilungen der Top 500 Firmen kennt, schaut er öffentlich selten mehr als maximal 4 Minuten in die Zukunft und das stets abgefedert durch frühere Erkenntnisse aus anerkannteren Quellen. Das ist klug und pragmatisch dazu. Eigentlich könnte man Horx auch offiziell zum Rollenmodell ernennen. Denn das isser. Für eher lahm daher kommende Prognosten genauso wie für den nächstbesten selbsternannten Berliner Advantgardisten. Merke: Zweieinhalb Minuten Vorsprung reichen. Fast immer.

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Montag, 11. September 2006

Mal auf Kinder, Katzen, Kanarienvögel usw. aufzupassen ist normal. Als freundlicher Mensch macht man so was. Vertretungsweise red ich auch ein bisschen mit anderleuts Zimmerpflanzen, wenn’s denn sein soll. 'Blog Gießen' ist allerdings neu im Programm. Da kenn ich mich bisher weder mit der Dosierung noch der Frequenz aus. Aber Herr Dahlmann meint das mache nichts. Hier müsse man sich keine Sorgen machen, wie im gemeinsamen Heimatdorf für ‚Erlebnisschrott’ oder ‚Befindlichkeitskram’ gegeißelt zu werden. Inzwischen herrscht da drüben zwar eher aufregungslose Altersmilde, aber hey, was waren wir streng damals.. Vor gefühlten 1000 Jahren, als das Internet für die Meisten noch eine ziemlich neue, sattgrüne Spielwiese war und von Blogs weit und breit nix zu sehen. Immerhin wirken einige der seinerzeit gesetzten Maßstäbe – auch in energisch Richtung echter feuilletonistischer Berühmtheit weiterdrehenden Welten – noch immer nach. Und so outet man sich mit einer kleinen Reverenz nicht automatisch als Vorgestriger. Ich jedenfalls schau gerne mal nach, was aus Leuten und Orten geworden ist, die ich aus Gründen mal mochte. Schon erstaunlich, auf wie viele Fleisch- bzw. Beton-gewordene Klischees man dabei stößt und beim Aufschreiben nichts, aber auch gar nichts dazu erfinden muss:

Herr H. und die Zufriedenheit Sven-Erik hat endlich Ordnung im Leben. Das liegt an Siri, die eigentlich ganz anders heißt, aber ihren richtigen Vornamen kann Sven-Erik ebenso wenig aussprechen wie sie den seinen. Wohl auch der Einfachheit halber nennen sie sich gegenseitig nur 'honey'.

Viel miteinander reden können sie ohnehin nicht. Er spricht kein Thai, sie kein Deutsch, und sein Englisch ist nur ein bis zwei Tick weniger rudimentär als ihres. Aber das ist nicht schlimm, sagt Sven-Erik. Sie verstehen sich auch ohne nennenswerten Wortschatz und Grammatik. Wenn sie kurz vor Mittag fragt "honey, I cook you?“ antwortet er "yes honey, i have hungry" und 15 Minuten später stellt sie mit strahlendem Lächeln köstliches Essen auf den Tisch.

Honey putzt, wäscht, bügelt, kocht, flickt, dreht die Joints vor und tut auch ansonsten alles um Honey zu erfreuen. Wer die beiden übers Wochenende besucht, fühlt sich ein bisschen wie in einer Endlosschleife der ‚Mai Ling’ Episode von Polt.

Trotzdem sieht es so aus als seien die rund 25.000 Euro, die Sven-Erik letztes Jahr für Auslöse und Eheschließung zu zahlen hatte, vernünftig angelegt. Nach zwei gescheiterten Ehen mit Deutschen und etlichen ruhmlosen Versuchen mit taiwanesischen Frauen war er irgendwann auf Brautschau nach Phuket geflogen, wo er die Bar- und Bordellangebote systematisch durchkämmte und dabei auf Siri traf. Anfang 30, keine Schönheit, aber nett und lustig und im wettbewerbsgetriebenen Sexdienstleistungsgewerbe erfolglos genug, um sich von Sven-Eriks Ganzkörperverfettung und miserablen Umgangsformen ebenso wenig abschrecken zu lassen wie von Neurodermitis-Schorf an sehr sichtbaren Stellen.

Nach einigen „Überprüfungstestläufen, Du weißt schon...“ mit weiteren Thai-Damen, die sich ebenfalls nicht leisten konnten in Sachen Kunde wählerisch zu sein, stand fest: Siri wird’s. Tschaptschap und ab dafür. Obwohl sie rein finanziell kein wirklich guter Deal war, aber "Loyalität, gute Versorgung und sexuelle Kompatibilität, darauf kommt’s doch an,“ meint Sven-Erik und dass man sich das ruhig was kosten lassen darf.

Wie Siri das sieht, weiß man nicht genau. Jedenfalls scheint sie entschlossen, diese Ehe harmonisch zu führen. „I happy. Can do…”, sagt sie und brät sich eine eigene Portion Phat Thai, weil Sven-Erik immer schimpft wenn nur ein Hauch zuviel Chili und/oder Knoblauch in seinem Essen ist.

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Sonntag, 10. September 2006

Mein Vater, der seit Jahrzehnten selbstständig ist, hat mir, als ich angefangen habe, als freier Journalist zu arbeiten, mal gesagt, dass es zwei Dinge gäbe, die in dieser Arbeitsform sehr wichtig sind. Zum einen Disziplin, sonst kommt man morgens nicht aus dem Bett oder bekommt seine Aufträge nicht fertig. Das andere sei Planung. Und da solle man nie vergessen, dass man als Selbstständiger seine Freizeit genauso planen müsse, wie seine Arbeit, weil man sonst vor lauter Arbeit vergisst, Freizeit zu haben. Das mit dem frühen Aufstehen klappt bis heute nur so mittel gut, aber meine Aufträge bekomme ich trotzdem immer rechtzeitig fertig. Das mit der Freizeitplanung - naja. Das klappt ehrlich gesagt schlecht. Zu oft wird Arbeit in den Abend oder aufs Wochenende geschoben, und Urlaub - haha. Urlaub war in den letzten 15 Jahren auch eher ein Fremdwort. Was wohl an einem der ältesten Gesetze des Freiberuflerstandes liegt: "Hast Du Geld, hast Du keine Zeit, hast Du Zeit, hast Du kein Geld."

In diesem Jahr sieht das ganz anders aus. Das wunderschöne Mädchen will mit mir auf große Reise gehen und ich möchte mir gerne zusammen mit ihr einen alten Traum erfüllen. Vier Wochen Urlaub in den USA. Genügend Zeit den gesamten Südwesten von New Mexico, Colorado, Arizona, Nevada, Utah, bis Kalifornien mit dem Auto zu erkunden.

Also steht ein schöner Urlaub auf dem Programm und vor allem auch mal vier Wochen, in denen ich keine Zeile schreiben werde. Keine Arbeit und auch kein Blog. Damit das Blog hier nicht völlig verstaubt, habe ich zwei Menschen gebeten, hier ab und zu mal eine Geschichte reinzustellen. Zum einen, eine gute Bekannte, die hoffentlich ein paar ihrer wirklich unfassbar famosen Geschichten aus Taiwan und China hier reinstellen wird, zum anderen einen Menschen, der gerade einen bescheuerten Marathon läuft und danach vielleicht auch mal reinschaut. Allerdings hasst er Blogs und viel zu tun hat er auch noch. Ich hab ihm aber erlaubt, dieses Blog mit Youtube Videos vollzuschaufeln. Mal sehen, ob er dem widerstehen kann.

Seid also bitte nett zu meiner Vertretung. Ich bin noch ein paar Tage mit Netzanschluss, aber schon nicht mehr in Berlin und hab auch wenig Zeit wegen Urlaubsvorbereitung. Ab Mitte Oktober geht’s dann wie gewohnt weiter.

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Donnerstag, 7. September 2006

Erst schreibt Moni eine so wunderschöne Geschichte über den Geburtstag ihres Sohnes, dass einem fast die Tränen kommen, und dann hängt sie diesen wundervollen Satz hinten dran.

"Jetzt freue ich mich aber lieber auf die Feier gleich mit den autistischen Kindern in der Frühfördergruppe, die sich wie immer alle ignorieren werden"

Unbedingt lesen

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