Mittwoch, 8. März 2006

Eine interessante Zukunftsversion, wie sich Teile des Internets bis zum Jahr 2015 entwickeln könnte, hat Aperto ins Netz gestellt (Flash, DSL erforderlich). Die von den beiden Amerikanern Rick Sloan und Matt Thompson erdachte Vision, konzentriert sich vor allem auf die kommerziellen Veränderungen der nächsten zehn Jahre im Bezug auf das Mediengeschäft und die Einbindung des Users als Contentlieferant und dessen Auswahlverfahren. Der Film geistert seit ein paar Tagen durch ein die Blogs und wurde hier und da als "irrelevant" und "übertrieben" bezeichnet.

Da bin ich mir mal nicht so sicher. Ein Großteil des Film und der damit verbundenen Vision basiert auf der Annahme, dass Google und Amazon ihre Geschäftsfelder zusammenlegen könnten. Das kann passieren, das mag auch völlig abwegig sein. Dahinter steckt aber die Idee, dass zum Beispiel Nachrichten nicht mehr durch eine Redaktion ausgewählt werden, sondern nur noch durch den User selbst. Er bestimmt was er gerne lesen und hören möchte. Das ist in Ansätzen ja heute schon machbar. Wer will, kann sich seine Nachrichten auf den personalisierten Seiten von Yahoo, Netvibes etc. durch einen selbst konfigurierten Filter auswählen. Hat bisher den Nachteil, dass wenn man die Filter nur auf Sport setzt und man mal das Haus verlässt, damit konfrontiert wird, dass andere Menschen andere Filter nutzen und man im Extremfall etwas blöd dasteht. Aber wie sieht das ganze aus, wenn eine Firma einen Dienst anbietet, der die Nachrichten ähnlich wie Google oder das Empfehlungssystem bei Amazon gewichtet, der Filter also nicht mehr durch einen User gesetzt wird, sondern durch Millionen von Usern, die ein Blog führen, bestimmte Nachrichten anklicken etc? Wenn man also ein Nachrichtensystem schafft, das unabhängig von einer Redaktion arbeitet und, ich gehe mal vom besten Fall aus, somit tatsächlich überparteilich, unabhängig auch im wirtschaftlichen Sinne ist und von Millionen von Usern gleichermaßen genutzt wird? Wäre in so einem Fall zum Beispiel eine so gleichgeschaltete Berichterstattung der Medien wie im Falle des letzten Irak-Krieges möglich gewesen? Wäre das der Tod der klassischen Medien, wie im Film behauptet?

Ich glaube nicht, denn die klassischen Medien mögen einem verglichen mit dem Internet starr erscheinen, doch letztlich sind sie enorm anpassungsfähig. Sie würden die Dienste genauso beobachten und die dort aufkommenden Nachrichten verwerten, vielleicht mit einer größeren Tiefenanalyse versehen. Für die Zeitungen und Magazine bedeutet eine gigantischer Nachrichtenfilter nichts anderes, als dass sie mit einer weiteren Quelle arbeiten müssen und können, und dadurch selber eine größere Unabhängigkeit von den Nachrichtenagenturen haben. Was auch bedeuten wird, dass die Onlineaktivitäten der klassischen Medien sich vergrößern müssten, anstatt, wie im Moment, sich einzuschränken, oder bestimmte Informationen nur noch zahlenden Kunden zugänglich zu machen.

Dass sich der Nachrichtenmarkt aber nachhaltig verändert und dass diese Veränderung jetzt schon sichtbar ist, scheint deutlich zu sein. Anbieter wie Scoopt, die Handyfotos und Videos an Nachrichtenagenturen, Sendeanstalten etc. verkaufen, zeigen wohin die Reise hingehen könnte. Noch bevor ein Kamerateam vor Ort sein kann, sind die ersten Bilder schon da. Mit der zunehmenden Weiterentwicklung der Technik im Mobilfunkbereich wird dieser Markt immer größer werden. Bestes Beispiel war der Tsunami Ende 2005. Fast einen ganzen Tag brachten weltweit alle Sender nichts anderes, als ein paar pixelige Filme von Urlaubern. Die Qualität des Materials war bescheiden, aber das wird sich in den nächsten Jahren ändern. Handys mit 2 MP, Autofocus, Zoom, Wlan und UMTS sind jetzt schon auf dem Markt.

Eine weitere Frage die sich aber anschließt: Bringen mehr Informationsmöglichkeiten auch mehr Freiheiten? Kann man wohl mit dem Satz: "Nur wenn man gezielt sucht." beantworten. Als Beispiel seien hier mal Krankheiten erwähnt. Bevor es das Internet gab, musste man sich langwierig durch Bibliotheken lesen oder hoffen, dass es in der nächst größeren Stadt eine Informationsgruppe gab, wo von einer Krankheit betroffene Menschen, ihr Wissen austauschten. Heute gibt man einen Suchbegriff ein und hat innerhalb von ein paar Tagen eine riesige Menge an Informationen zusammen und, was viel wichtiger ist, durch Foren oder Blogs Kontakt zu anderen. Ein klarer Vorteil der Informationsvielfalt.

Eine totale Liberalisierung des Informationsmarktes birgt selbstverständlich auch diverse Risiken, die bei einer leichteren Manipulation der Nachrichten anfangen (wer versteht schon, wie der Google oder der Amazon Algorithmus tatsächlich funktioniert, und wie leicht mag sie zu manipulieren sind) und bei der Frage, wie man einen solchen Informationswust überhaupt bewältigen soll, aufhören.

Zur ersten Frage fällt mir ein, dass die Kanalisierung von Informationen heute schon möglich ist und praktiziert wird. Die chinesischen Ausgaben der Suchmaschinen filtern der Regierung ungenehme Seiten raus, kritische Scientology Seiten werden bei fast allen Suchmaschinen aus dem Index geworfen, und wer mit einer deutschen IP lieber bei google.com statt auf .de suchen möchte, wird feststellen, dass das ohne kleine Tricks gar nicht möglich ist. Wenn es also machbar ist, das Internet als ganzes zu manipulieren, warum sollte es nicht möglich sein die Auswahl der Nachrichten zu manipulieren, die angeblich durch alle User demokratisch generiert sind? Kleines Beispiel: ein Blogger streut gezielt richtige Informationen über die Machenschaften einer Regierung ins Netz, die dementsprechend oft gelesen, angeklickt und verlinkt werden, also ein hohes Nachrichtenranking haben. Jetzt klagt die Regierung gegen diesen Blogger und erwirkt in einem ersten Schritt, dass die Seite vorläufig aus dem Google Index rausfliegt. Die Seite des Bloggers und alle dort publizierten Informationen wären noch zu lesen, aber da sie aus dem Such- und Nachrichtenindex rausgeflogen sind, nicht mehr zu finden. Diese Form der Einschränkung des Informationsflusses kann beim klassischen Journalismus so leicht nicht passieren. Im besten Fall gibt es einen Journalisten, dessen Arbeit durch einen Verlag gedeckt wird, der nicht an einen Suchindex gebunden ist, sondern dessen Artikel man auch dann an einem Kiosk erwerben kann, wenn jemand gegen einen ihm nicht genehmen Bericht geklagt hat. Der einzelne User ist gegenüber einer Einschränkung der Information machtlos, ein einzelner standhafter Journalist ist es nicht.

Eine andere Frage ist die Menge der aufkommenden Information. Was das angeht, muss man allerdings feststellen, dass das heute ein noch viel größeres Problem darstellt. Es ist bekannt, das von den täglich einlaufenden Agenturmeldungen und Berichten, wohl über 90% erst gar nicht den Weg in eine Zeitung oder ein Magazin finden. Sie fallen einfach unter den Tisch und werden vergessen. Eine Sache, die mit einem globalisierten Informationsmanagement durch User nicht in der Form gegeben wäre, auch wenn die Frage bleibt, wer die ganzen Nachrichten eigentlich lesen soll.

Also wird es so kommen? Werden die Internetsurfer, Blogger und Flickr User durch ihre eigenen Klicks und Verlinkungen die Nachrichten bestimmen? Die Möglichkeiten sind da. Wer skeptisch ist, der sollte sich einfach zehn Jahre zurück erinnern. Wer hat 1996 schon geglaubt, dass es Mobiltelefone mit eingebauten Kameras gibt, die in Echtzeit Bilder auf ein Blog schieben können, die sich andere User über ihre 6MB Standleitung für 5 Euro im Monat abrufen können? Und wer hätte gedacht, dass eine handvoll Blogger es allein durch ein paar Postings im Internet schaffen, eine Nachrichtenikone die Dan Rather zu Fall zu bringen. Der Film mag wie eine wirre Utopie klingen, aber was den Nachrichtenmarkt angeht, zeigt er eine äußerst plausible Zukunft, die so ungefährlich vielleicht gar nicht ist. Es spielt dabei auch keine Rolle, ob das nun Google machen wird, oder Ask.com oder Microsoft, die vielleicht mit dem übernächsten Betriebssystem und der vorhandenen Vernetzung ihrer Firmen wie den Nachrichtensender MSNBC etc. gleich das praktische Desktoptool mitliefern.

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