Sonntag, 6. Februar 2005

Ich hatte in Hamburg mal einen Bekannten, der gräflicher Abstammung war und sehr ungräflich saufen konnte. Sein Lieblingsgedeck war ein großes Bier und zwei Korn. Vom Bier trank er einen Schluck weg und schüttete die Korn dann oben drauf. Frühmorgens stieg er in seinem Schlammverschmierten Golf und eierte nach Hause, sehr weit außerhalb von Hamburg. Dort wohnte er zusammen mit seinem Vater in einem Schloss. Na gut, war kein Schloss, war eine heruntergekommene Ruine im Wald. Es war so ein kleines Waldschlösschen, oder Jagdhaus, das der Familie schon seit den Hunnen gehörte und sicher mal sehr hübsch war, als er noch Farbe hatte. Und Wände. Und Fenster. Das Schlösschen wurde an jeder Ecke von morschen Holzbalken, die man an der Außenwand angebracht hatte zusammengehalten. Die Wände waren völlig vermost, überall bröckelte der Putz und die tragenden Teile der Wände waren perforiert. Die Familie hatte ein paar mittelprächtige Offiziere hervorgebracht und mal einen Politiker der in Weimar war, aber mehr wohl nicht. Mittlerweile waren sie dass, was man als extrem verarmten Adel nennen konnte, und bewohnte das letzte verbliebene Schloss eher slumartig.

Der Graf lud mich jedoch eines Tages zu einer Sause ein. Um die Ecke seiner Wohnstatt gäbe es eine tolle Party, und wenn man später nach Hause kommen wollte, müsse man nur mit dem Auto fünf Minuten durch den Wald rodeln und – zack - stehe man vor dem Schloss in dem ich dann auch nächtigen dürfe. Und die Teilnehmer dieser Sause seien alles Kollegen mit Adelspartikel im Namen. Sehr nett und trinkfest. Das stimmte wohl. Irgendjemand hatte eine Waldgastronomie gemietet und sämtliche Burschenschaftler mit einem Adelstitel im Namen eingeladen. Es war die größte Sammlung an „von“ und „an“ und „zu“ und „van“ die ich jemals sehen durfte. Angekommen kochte die Stimmung schon und ich bekam sehr schnell raus, woher der Graf seinen Tick mit dem Korn hatte. Das Bier wurde nämlich direkt mit Korn drin ausgeschenkt. Nach drei Stunden verrutschten die ersten Dekolletees und der DJ gab sich Mühe die fünf „Best of the 80s“ CDs die er bei hatte, in keiner allzu auffälligen Reihenfolge zu spielen. Neben mir rutschte ein Baron auf der Lache aus, die er selber fabriziert hatte, eine Gräfin tanzte auf einem Tisch und konnte nur mit Mühe von ihrem Freund, dem Jahrzehnte erfolgreicher Verkleinerung des Genpools ins Gesicht gemeißelt war, davon abgehalten werden, auch noch ihre Unterhose auszuziehen. Andere Dinge sind mir kaum noch erinnerlich, vielleicht noch der Moment, wo ich eine Frau mit einem Kinn, dass ihr vor Generationen entflohen sein musste, auf der Toilette in einer kleinen Blutlache fand. War ausgerutscht und das erste, was sie nach dem Wachwerden haben wollte war ein Tequila. „Hab eh n Schädel“ stammelte sie setzte sich so in eine Ecke, dass ihr Hinterkopf auf einem Geschirrtuch lag und sie trotzdem noch was trinken konnte. Das war ein sehr netter Abend, kann ich im Nachhinein sagen. Und der Graf schaffte es tatsächlich seinen Golf über Waldwege zu schaukeln und blitzsauber vor dem Schloss abzustellen.

Wir wankten also lallend morgens um sechs zwischen den Baugerüsten da rein. Es wurde hell, die Vögel saßen hustend im Geäst. Da offenbarte mir der durchaus nicht missratene oder debile Adelsnachwuchs, dass es eine Sache gäbe, die er mir sagen müsste. Er sei ja nun ganz und gar nicht gräflich erzogen, es gäbe auch keinerlei Standesdünkel, welcher ihm anerzogen sei, aber das sei bei seinem Vater durchaus anders. Dieser sei älter und habe, vielleicht geprägt durch freundliche "Napola" Jahre, vielleicht auch so eine der vielen genetischen Prädispositionen, eine gewisse Disziplin, welche sich besonders Sonntags Morgens um halb neun zu melden pflegte. Mit anderen Worten: Der Vater sei der Meinung, man könne zwar alles und auch in allen Mengen trinken, aber man habe Sonntags Morgens um halb neun in jedem Zustand am Frühstückstisch zu sitzen. Dies sagte er mir, als die lustigen Alkoholwichtel in meinen Blut gerade eine wilde Party feierten und mir in den Magen traten.

Aber es half ja nichts, ich nüchterte mittels einer Dusche und ein paar Minuten Schlaf halbwegs aus. Wir schleppten uns durch lange, morsche Gänge in den Speisesaal, der diesen Namen durchaus verdiente. Ein Raum voller Geweihe an dunklen Eichewänden und toten Ahnen, die von selbigen hingen und unseren schleppenden Gang missbilligend beobachteten. Das Frühstück war üppig und schon aufgetragen. Vom Vater nichts zu sehen. Dabei waren wir pünktlich und ich verfluchte jede Minute die wir zu früh aus dem Bett gestiegen waren. Nach unendlichen zehn Minuten ging plötzlich die Tür auf, und herein kam der "Alte", wie der Sohn ihn nannte. Ich schwöre: Er saß in einem Rollstuhl Marke 1.Weltkrieg, aber er rollte, obwohl leicht quitschend, recht würdevoll an seinen Platz am Kopf des Tisches. Es wurde ein "Guten Morgen" gebrüllt, man köpfte ein Ei und es entsponn sich ein merkwürdiger Dialog zwischen Vater und Sohn.

V: "Und?" S: "War ne nette Party. Hat Spaß gemacht" V: "Sieht man" Pause "Riecht man" S: "Je nun"

Pause. Man hörte das leise Knirschen von lauwarmen Toastscheiben. Gut, dachte ich, wenigstens nicht reden müssen. Wir schlürften unseren Kaffee und alles war gut bis sich der alte Graf räusperte und einem Stabsfeldwebel Ostfront Ton frug: "Gefickt?" Mir blieb der Toast samt Orangebittermarmelade quer im Hals stecken, war ich solche Fragen in meinem Elterhaus doch nicht gewöhnt. Der Sohn parierte souverän, er kannte die Frage wohl.

S." Nö, war nix da" V: "Ja, und? Wie nix da? Keine Weiber? Schwulen Party, oder was? S. "Nein, nein. War alles ganz normal" V: "Und nicht gefickt? Was ist das denn?" S: "Hmmmpf" V:" Und Sie?" Er blickte mich an Ich: "Äh, nee, auch nicht." Pause V: "Komische Partys feiert ihr"

Mit diesen Worten rollte er zurück und entschwand aus dem Frühstücksaal. Und ich sehr schnell nach Hause. Schlafen.

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