Donnerstag, 25. November 2004

"Würdest du es tun?" frugst du mich, und ich wusste die Antwort nicht. Was stellst du auch für Fragen? Ob ich wann, was tun würde? Das ist ja wie bei diesen billigen Psychogruppenspielen von Ravensburger, rief ich und langte nach der Weinflasche. Du sahst mich sehr ernst an, und es war ja auch schon spät. Fahrig suchten deine Finger die 'Luckys', fanden den Weg, der Rest war einfach, und die Kippe glühte. "Das solltest du vielleicht jetzt lassen", mahnte ich und wusste selbst nicht, ob ich das ernst meine. Du hast nichts gesagt, nur den Wein runtergestürzt, weil du das Denken vergessen wolltest. "Das ist kein Spiel. Das ist jetzt so", sagtest du und inhaliertest tief. Doofe Ecke, in der ich bin, dachte ich und drehte das Glas in der Hand, versuchte, die Stirn so in Falten zu legen, dass es echt aussah. Ich dachte nämlich, dass das alles ein Scherz sei. So wie alles in meinem Leben ein Scherz und ein Spiel war. Bis jetzt. Ich war immer nur flüchtig. Flüchtiger als Äther. Nichts hielt mich, nichts interessierte mich auf Dauer. Verwöhntes Einzelkind, das glaubt, dass immer was Neues kommt, etwas, das noch aufregender ist, und dass man alles hinter sich lassen kann, weil man eh vergisst, und die anderen tun das auch und deswegen ist es egal. Aber das hier war anders. Ich versuchte, die Worte zu sortieren, keine mäandernden Argumente, keine Ausflüchte. Als ich dich dasitzen sah, alleine, obwohl ich da war, wurde mir kalt. Das hier war etwas Anderes, es hatte eine tiefere Qualität, das musste sogar ich zugeben, denn ehrlich geliebt hab ich dich, das war mir vielleicht nicht immer bewusst, aber dir musste es das sein, auch wenn mein betrunkener Heiratsantrag ein Jahr und sehr viele Verletzungen später vielleicht etwas pathetisch war. Ich meine, ich habe deine Unordnung gehasst. Das lag daran, dass sie noch weitaus schlimmer war als meine. Ich hasste meine Unordnung ja selber, und wenn du da warst, und bei mir befand sich alles in einem Zustand der Auflösung, dann war mir das ja schon peinlich genug. Umso schlimmer fand ich es, dass es bei dir noch wüster aussah und du es auch noch akzeptiert hast. Du hattest kein schlechtes Gewissen, so wie ich, wofür ich dich leider ein bisschen hassen musste. Wenn du wenigstens die Unordnung deiner Tochter beseitigt hättest. Aber gut, auf der anderen Seite hab ich durch dich gelernt, dass man wirklich kein Licht auf der Toilette braucht. Und wie oft ich bei dir kochen wollte und erstmal die Essensreste von einer Woche beseitigen musste. Egal, das Essen mit dir hat es dann jedes Mal wieder rausgerissen. Denn es war wurscht, ob ich Nudeln in blafasel 08/15 Soße gemacht habe; du hast sie gegessen, als ob es deine erste Mahlzeit seit Tagen wäre, natürlich mit möglichst viel Wein hinterher. Oder Obstler. Meine Herren, haben wir Obstler gesoffen. Manchmal eine Flasche am Abend. Und nach so einem Abend muss es ja dann auch passiert sein, obwohl ich deinen Zyklus besser kannte als du selbst. Das war aber auch eine leichte Übung. Denn immer wenn der Eisprung kam, hast du Sachen nach mir geworfen, zum Beispiel mal diesen riesigen Kristallaschenbecher mit den Zacken, der haarscharf an meiner Schläfe vorbei flog, und das auch nur, weil ich mich in dem Moment zufällig zur Seite bewegt hatte. Deine glühenden Augen, aus denen die Verletztheit troff, habe ich nie vergessen. An dem Abend mit dem Obstler hast du nichts nach mir geworfen, aber vögeln wollten wir. Und noch mehr trinken. Und das zweite Mal war dann einmal zuviel, das hab ich gemerkt und du auch, und deswegen waren wir beide nicht verwundert, als wir so dasaßen und nachdachten. Ich habe bis heute keine Ahnung, was ich hätte tun sollen. Vielleicht nicht so ein unausgegorenes Arschloch sein. Das wäre sicher eine Möglichkeit gewesen, die uns beiden geholfen hätte, aber ich war ja krank, ohne dass ich es wusste. Noch mal die gleiche Situation, noch mal der gleiche Abend, und ich würde nicht um mein Leben stammeln, sondern sagen "Hey, ja, aber DU zahlst die Putze." Vielleicht hättest du mir auch einfach mal glauben sollen, denn ernst habe ich es gemeint

Dass du es dann alleine gemacht hast, hat mich sehr getroffen. Wir hatten lange gesprochen, ich hatte immer gesagt, dass ich nur sagen kann was ich denke, und dass es letztlich deine Entscheidung ist, und dass ich deine Argumente nachvollziehen kann, aber so was ändert eben das Leben und das Sein und das Wirken und die Zukunft, und danach ist nichts mehr so, wie es war, auch ich nicht, aber das wusstest du sicher besser, du hattest ja die Erfahrung, in doppelter Hinsicht, denn ich war ja nicht der Erste. Dass es für mich das erste Mal war, hast du dabei vergessen. Dass ich am gleichen Tag, oder am Tag danach, ich weiß es nicht mehr genau, mit einer anderen im Bett war, hab ich dir nie erzählt. Das hab ich mir selbst auch nie erzählt, denn das war ein Film, in dem ich nur mitspielte. Ich war draußen, nicht drinnen, ich war nicht wirklich dabei, sondern nur Gast. Vielleicht, weil unser Spiel miteinander immer so war. Vielleicht, weil ich das Bild nicht zerstören wollte, das ich von mir selbst hatte. Dass ich der war, den (eigentlich) nichts erschüttern konnte, der immer einen Schritt außerhalb der Emotionen stand, der mit ihnen spielte, der mit sich spielen ließ, aber nie die Kontrolle verlor, der immer alles im Griff hatte, weil er mehr erreichen wollte, und für den selbst das Erreichen des Gipfels ein müdes Husten war. So, wie in den Berichten der Entdecker, die jahrelang durch afrikanisches Sumpfgebiet gelaufen waren, um am Ende in ihren Erinnerungen zu schreiben: "Diese Tage waren voller Entbehrungen, und wir verloren viele einheimische Träger, aber ich zweifelte keine Sekunde an meinem Erfolg".

Aber das "Nein", es traf mich wie ein Keulenschlag. Vielleicht, weil es erst dann kam, als es schon längst vorbei war und ich nur noch an deiner leisen Stimme erkennen konnte, dass du es wirklich getan hattest. Das zog mir den Boden weg, das entfernte jede Grundlage, und vielleicht war das der Grund, warum ich meinen Schwanz an jenen Abenden in eine andere steckte, deren Namen ich heute noch nicht mal mehr erinnere. Du hast damals wahrscheinlich genau das Richtige getan. Ich war gar nicht da, ich war gefangen in den Ängsten der Krankheit, die ich damals hatte, von der weder du noch ich wirklich etwas wussten. Aber jetzt, wo sie überwunden ist, denke ich manchmal, dass es jetzt Sieben wäre.

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