Dienstag, 5. Oktober 2004

Stimmengewirr im ICE 1615. Man telefoniert. Man sagt Dinge wie "Haha, die sind doch insolvent" und "Rufen Sie doch bitte mein Büro an, ob ich Zeit habe" und "Nein, dass habe ich dem doch gesagt, dass wir das nicht so machen können, ich hab sogar ein Paper rübergegeben, so geht das nicht, das paßt nicht in den Businessplan, da müssen wir morgen noch mal drüber reden". Ich könnte mich leicht ausklinken, einfach die Stöpsel in die Ohren, ein wenig "Yello" oder "Mirah" und aus die Laube. Aber die Stimmen reden ja weiter. Das umgibt mich ja trotzdem, da kann ich machen was ich will. Ich kann nur weiter in meiner Gedankenblase sitzen und meinen Tagträumen hinter her hängen. Was man so redet, denke ich. Und weiter, dass das alles nur mit Funktionieren zu tun hat. Reines, funktionales reden. Problemchen, die man in spätestens einer Woche wieder vergessen hat. Aber jetzt ist es von einer so unfaßbaren Wichtigkeit, dass die Welt untergeht, wenn man nicht redet. Bahnhof Zoo stehen alle auf und stellen sich brav in eine Reihe. Dunkle Mäntel, schwarze Laptoptasche. Blick auf die Uhr. Alles ist so hübsch optimiert auf das Funktionieren, und ich frage mich, wie die das schaffen. Wie die das hinbekommen, das mit dem tadellosen Funktionieren. Es ist mir ein Rätsel. Dieses scheinbare Wissen um die richtigen Sätze, die richtigen Dinge die man tun muss. Dieses reibungslose Weitermachen, dieses nahtlose Leben mit der Riesterrente, der Lebensversicherung, dem Auto und dem Palm, der einen an den Hochzeitstag erinnert. Was denken die morgens unter der Dusche? Oder beginnt der Tag mit "Heute werde ich mit Helmut über die neue Stufe der Prozessoptimierung sprechen"? Ich bekomme selten was menschliches in deren Leben rein. Manchmal stelle ich mir die Gesichter beim Sex vor , und sie sind nie entspannt, immer verkrampft, die Augen zusammen genkniffen, schnaufend. Hart arbeitend. Und dabei haben sie wahrscheinlich immer noch ihren schwarzen Mantel an und die Laptoptasche steht neben dem Bett.

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