Ein Keller, vielleicht 1989 oder 90. Die Begegnung mit dem teuflischen Beat
Das waren hellsichte Nächte voller Dunkelheit, damals. Angefangen hatte es mit einem Anruf. "Hey, heute Abend, da und dort, Abbruchhaus in Köln Ehrenfeld, genau, um die Ecke vom Underground, geile, neue Sache." Angekommen. Ein morscher Keller voller Mäusescheiße, im stickigen Muff von tausend Liter Wasser in Backsteinen, die atmeten. Keine Luft, aber Musik. Hart, schnell, elektronisch. Kraftwerk waren tot, aber die Beats waren lebendig. Es war Techno, dunkel, düster, voller Kraft, einsam pulsierende Beats, knackend, herzbrechend. Ein Tapeziertisch war das DJ Pult, das Bier gab es umsonst im Sommer 89 oder 90. Komische Leute waren da, die im grünblaurotem Licht tanzten, die sich mit ihrem Leben in die Musik schmissen. Claude hatte die Drogen. Kleine Trips, die vielleicht ein Stunde wirken und die so anders waren, als die anderen Trips, die man sich bisher im Selbstversuch und Übereifer eingeworfen hatte. Es wurde noch wärmer, als es eh schon war, aber es wurde auch schön. Wunderschön. Die alten Wände atmeten. Langsam. Puslierend wie der eigene Herzschlag, den man so falsch einschätzte. Aber auch das war egal, denn man war plötzlich eins. Mit sich, der Musik, dem Leben, den Mauern, den Menschen. Alles war fließend, es gab keine Übergänge, keine Brüche, die Hand auf der Brust, in meiner Hose, das war alles völlig klar. Es passierte nicht nach der inneren, nicht nach der erzogenen Logik, sondern nur, weil es passieren mußte. Weil alles voller liebevollem Determinismus war. Und die Musik brach die Klippen ab. Sie war neu, sie nahm keine Rücksicht, sie machte weiter, auch wenn man schon lange das Gefühl hatte, dass man jetzt den ultimativen Höhepunkt erlebt hatte, dass es jetzt nicht mehr weiter gehen konnte, weil Herz, Seele und Unterleib schon längst an ihren Grenzen waren. Und doch fraß sich die Musik weiter, immer weiter, immer tiefer. Schweiß war keiner mehr da, nur noch die Lust nach Konservierung, der Angst und der gleichzeitigen Hoffnung, dass man den Moment das Seins gefangen halten würde, bis in alle Ewigkeit, dass es nicht mehr weiter geht, weil es nicht mehr weiter gehen kann, weil alles, was danach kommt doch eigentlich der Tod sein muß, aber auch der ist egal, denn er ist ja einer von uns.
Das Licht hat uns immer wieder gerettet. Und der McDonalds, in dem wir alle an einem Tisch, aber jeder für sich selbst, die Pappschachteln stumm und langsam immer kleiner reißend, bis man mit dem Konfetti kleine Bilder in dem hart werdenden Ketchup legen konnte, den Moment verdrängend, an dem uns der Schein des Seins wieder einholte.
Aber eigentlich war es schon das erste Licht, das scharfkantige Licht der Morgensonne, dass die Treppenstufen zeichnete, wenn wir aufgedunsen aus dem Keller stolperten, wenn wir mühsam den Kokon durchbrachen, und die Erkenntnis, dass es wieder hell war, uns erschreckte. Die ewige Nacht, die ewige Musik hatte uns ein halbes Leben um Griff gehabt, unsere Seelen und unsere Zungen geführt und das verdammte Licht erinnerte uns an Dinge wie Schlaf und Hunger. Das war eine fremde Welt und es war doch unsere, und wir mußten erkennen, dass alles vorher nur ein süßer, einsamer Traum war. Einer, in dem die Erektion ewig hielt und doch unwichtig war. Einer, in dem alles ging. Wo die trockene Bassdrum uns an die Hand genommen hatte, eine teuflische Hand, die uns immer weiter zog, die nicht aufhören wollte, die uns verschmelzen ließ, die die Leiber zu einander führte, ganz automatisch, weil man sich doch wenigstens aneinander festhalten mußte, wenn die Drogen und die Musik alles vaporisierte, was man bisher als sein Leben meinte zu kennen. Alles löste sich auf, auch die fremde Zunge im Mund wurde zuviel, und sie weg zu stoßen war unwichtig, weil die nächste nicht weit weg war, weil sie ebenso brennend auf die Abwechslung wartete, wie man selber. Alles ging, alles war so egal. Die Musik, die Drogen, das Mädchen auf dem umgedrehten Bierkasten, das den Kopf an die pulsierenden Mauern legte und trotzdem schlief, als ob sie darauf warten würde, dass sie gleich ihre Mutter mit einem Kuss zum Frühstück wecken würde. Dass war der Kosmos. Das da draußen, das war nur der Müll, der aus Erziehung, Schule, Staat und Angst übrig geblieben war. Im dreckigen Keller, da waren wir. Da draußen war alles, was wir hassten.
<a href=www.covermedia.de">Zugabe, weil man mehr braucht