Mittwoch, 10. März 2004

Das absolute Highlight meiner bisherigen Fast-Schwiegermüttern, war Helga aus Köln. Ihres Zeichens Mutter von E. Warum E. und ich jemals zusammen gekommen sind, läßt sich leider nicht mehr rekonstruieren. Es mag aber durchaus etwas mit einer nicht unerheblichen Menge an Alkohol zu tun gehabt haben. Jedenfalls war E. eine coole Sau. Lederjacke mit den richtigen Badges und Pins darauf. Spitze Schuhe. Schwarze Haare, in die sie mit ihren Fingern immer so lange Knoten reinflechtete, bis auf dem Kopf wie ein kleines Neger afroamerikanisches Kind aussah. Also lustig. Vielleicht lag es daran, weil sie an meiner Theke rum stand, und sie seit langem die einzige Frau war, mit der man sich unterhalten konnte. Vielleicht lag es wiederum auch daran, dass ich gerade eine Affäre mit einer Friseuse hatte, die sich wirklich die größte Mühe gegeben hatte, alle nur denkbaren Klischees einer Friseuse auf einen Schlag zu erfüllen. Vor allem, was ihre Einstellung zu Themen außerhalb der Bereiche "Nagellackfarbe", "Haarfarbe", "Kollegen" und "unmögliche Kunden" anging. Wurde sie mit einem anderen Thema konfrontiert, lautet ihre Standartantwort "Och, ich weiß nicht." Aber sie machte ein fantastisches Kanninchen in Knoblauch. E. war da ein anderes Kaliber. Gewitzt, sehr schlau, bösartig, mit einer endlosen Reihe durchscheinender Komplexe und absolut trinkfest. Also alles, was man sich mit Mitte zwanzig so wünscht.

Und dann kam irgendwann der Tag, an dem E. sagte: "Wir gehen meine Mutter besuchen, paß auf". Das machte mich stutzig. Sie sagte nicht "Paß auf, wir gehen meine Mutter besuchen", sondern eben andersrum. Sie sagte das zudem in einem Ton, den diese coolen Chip-Einsammler auf der Kirmes drauf hatten, wenn sie bei halber Fahrt auf die Raupe aufsprangen und die Chips einforderten und sich dabei mit einer Hand lässig festhielten. Wenn man dann den roten oder lilanen, mit goldenen Zeichen versehen Plastikchip in die Hand des Chip-Einsammlers legte, berührte man die rauhe, verhornte und aufgerissene Haut und man hatte ein leichtes Gefühl von Ekel und Faszination zugleich. So ungefähr fühlte ich mich nach dem Satz von E. Sie warnte mich weiterhin: Ihre Mutter sei "schwierig", sehr launisch, machmal unerträglich und ich solle um Gottes Willen nicht anfangen mit ihr zu trinken, dann könne ich sehen, wo ich bleiben würde. Ich weiß noch, dass sie mir dies alles erzählte, während wir versonnen auf einer Wiese lagen und Bier tranken und dass ich dachte, dass diese Aufzählung genau die gewesen wäre, mit der ich E. beschrieben hätte, aber das ich sagte lieber nicht laut.

Eine Begrüßung mit Helga fiel aus, da sich Mutter und Tochter nach ungefähr 15 Sekunden sofort anbrüllten. Also stand ich verlegen mit meiner Flasche Wein im Flur, in dem eine erstaunliche Ansammlung von Hauspantoffeln an der Wand aufgereiht waren, gleich unter dem Bild von Che Gevara. Irgendwann verschwand E. auf dem Klo und Helga in der Küche und ich sagte leise "Hallo". Ihre Mutter rauchte wie ein Schlot. Mindestens 40 Billigzigaretten am Tag. Auch hatte sie einen merkwürdigen Faible für billgen Weisswein, den sie literweise trank. Sie gehörte zu diesen Menschen, bei denen man sich fragt, wie sie überhaupt das alles überleben. Leicht übergewichtig, schwer rauchen, jeden Abend sich die Birne zulöten, wenig schlafen. Und das seit Jahren. Andere wären schon längst mit Trilliarden von Bypässen, einem explodierten Cholesterinspiegel oder sonst was im Krankenhaus gelandet. Nicht so Helga. Sie war voller unbändiger Energie, zumindest, wenn sie gerade keinen exorbitanten Kater hatte. Und sie machte den verdammt besten Tafelspitz, den ich jemals gegessen habe. Essen bei ihr war immer ein Fest. Sie hatte ein unerschöpfliches Lager von Anekdoten, Zigaretten und Alkohol. Gekocht wurde nebenbei, aber es war immer fantastisch. Schwierig wurde es allerdings immer, wenn zu viel Alkohol floß. Dann wurde die Stimmung entweder böse oder weinerlich. Mehr Möglichkeiten gab es nicht. Entweder endeten mache Abende damit, dass sie die Tochter rausschmiss, bzw. diese wutentbrannt aufstand, fluchtartig und mit wüsten Beschimpfungen die Wohnung verließ, oder dass sowohl E. als auch ihre Mutter heulten während man etwas deplaziert dazwischen saß und sich fragte, ob es jetzt eine gute Idee sei, aufs Klo zu gehen.

Interessant war es auch immer, wenn man Helga spontan besuchen wollte. Das war dann so eine Art Abenteuerurlaub in kurz. Denn Helga ging gerne, sehr gerne in der näheren Umgebung von Köln-Nippes auf ausgedehnte Kneipentouren. Dabei lernte die gutaussehende und leicht joviale Frau auch immer mal wieder jemanden kennen. E. erzählte mal, dass sie vor allem deswegen bei ihrer Mutter ausgezogen sei, weil sie zwischenzeitlich das Gefühl gehabt habe, dass sie ihrer Mutter in Punkto "wechselnde Übernachtungsgäste" einfach nicht gewachsen gewesen sei. So etwas sei für ein 20jähriges Mädchen, dass sich wirklich ernsthaft alle Mühe geben würde, sich die Seele aus dem Hals zu vögeln um die Mutter zu verschrecken, extrem frustrierend. Jedenfalls waren Spontanbesuche immer so was wie eine Sneak Preview im Kino: man wußte nie, was passiert. Denn mußte man, wegen eines innen steckenden Schlüssels, klingeln, wußte man nie ob, und wenn ja, wer einem die Tür aufmachte, welche Sprache dieser jemand sprechen würde, ob es eine Möglichkeit geben würde, eine gemeinsame Sprache der Verständigung zu finden, welche Hautfarbe er hatte, ob er feindlich gesinnt war, vielleicht eine Waffe hatte, oder er noch betrunken war, ob er ängstlich erst den Personalausweis verlangen würde, um diesen Helga zu zeigen, damit die bestätigen konnte, dass man willkommen und nicht von der Polizei sei. Helga hatte nämlich einen Hang zu Menschen, die entweder gerade keine Bleibe hatten, aus dem kurdischen Grenzgebiet kamen oder verfolgt wurden. Am liebsten hatte sie es, wenn alles drei auf einmal zutraf. Sie war eine österreichische Alt-Kommunistin, irgendwo zerfasert zwischen dem hier und dem damals mit einem früher wahrscheinlich mal romantischen Hang zu Outlaws. Die spannendste Fast-Schwiegermutter, die ich jemals hatte. War richtig traurig, als E. und ich uns trennten.

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