Mittwoch, 11. Februar 2004

Vor wirklich vielen Jahren wohnte ich Bonn, am Rodderberg, bewaldet, ruhig, mit kleinen Häuschen, meine Eltern mochten es. Meine Mutter schwärmte, wie schön es da doch sei, so grün, bessere Luft und mehr Auslauf für den Hund. Mit dem durfte ich dann immer raus, über Feldwege, an wilden Apfel- und Walnussbäumen und eingezäumten Schafsherden vorbei. Bei den Schafsherden musste man immer vorsichtig sein, denn bei dem Hund, den ich ausführte, handelte es sich um einen Schäferhund, der seine genetisch programmierte Aufgabe noch verstand. Wenn man nicht aufpasste, dann riss er sich los, raste so lange über die Wiese hin und her, bis die ca. 40 Schafe in einer ungefähr 2 qm großen Ecke zusammengepfercht waren und laut blökend protestierten, während unser Hund zufrieden kläffte und sich freute, dass seine Gene 1a funktionierten.

Auf den langen Spaziergängen traf ich häufig eine alte Dame. Alte Dame im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie war angezogen wie eine alte Gräfin, mir einer Kombination aus Blazer und Rock und einer feinen Bluse nebst passender Brosche und einem herrschaftlichen Mantel in Jäger-grün. Sie führte ihre alten Dackel spazieren, zwei an der Zahl, auch wohlerzogenene Tiere, die kaum einen Meter von ihrer Seite wichen. Nach ein paar Monaten war aus den rituellen Begrüßungen ein freundschaftliches Gespräch geworden, und die alte Dame - sie hieß Frau von Kurnatowski - lud mich zu einem Tee ein. Gut erzogen wie ich war, tauchte ich gerne in dieses Ambiente aus 20er Jahre und verarmten Adel ein. Sie war eine Grand Dame mit diesem Esprit der feinen, aber leider untergegangenen Gesellschaft. Jene Damen, die eben noch das alte Kristall der eigenen Großmutter um Schrank haben, deren Blusen immer oben geschlossen sind, die den Teelöffel ganz weit oben anfassen und niemals "Scheiße" oder "Ficken" sagen, sondern als Zeichen höchsten Missvergnügens nur mit der Zunge schnalzen.

Die Wohnung bestand aus einem alten Sofa und vielen Regalen, die, neben üblichen Biografien über verstorbene Adlige, auch mit erstaunlich vielen Loriot Figuren gefüllt waren. Das passte nun gar nicht. Aber die Figuren waren mit solch einer Liebe aufgestellt, das ich mir die Frage nicht verkneifen konnte, ob sie Loriot möge. Sicher, antwortete sie, er sei ihr sehr nahe. Sie behauptete eine Tante von Loriot zu sein, doch wollte es mir nicht einleuchten, das die Tante eines sehr reichen Mannes in einer kleinen Einliegerwohnung wohnen musste. Heute, wo es zum guten Ton gehört, dass Prominente ihre Angehörigen arbeitslos (Der Stiefbruder vom Kanzler!) oder gar verhungern lassen (irgendwer, hab ich neulich in einem Fachblatt gelesen), ist das ja nichts ungewöhnliches. Da holt man keinen Redakteur mehr hinter dem Schreibtisch her. Da gähnt selbst der Volontär. Damals aber war ich jung und Yellow-Press unverdorben und dachte: "Quatsch, wenn eine Familie Geld hat, dann teilt man das doch, dann läßt man seine arme Tante doch nicht einer Eigentumswohnung in nobler und teuerer Wohnlage darben.

Sie blieb aber dabei, dass sie irgendwie verwandt mit Herrn von Bülow sei. Da es kurz vor Weihnachten war, machte sie mir das Angebot, etwas aus der schon damals reichhaltigen Loriot Kollektion zum Geschenk zu machen. Es sei nur ein Anruf, ich solle mich nicht schämen. Ich wünschte mir einen Kalender, allerdings mit Autogramm, weil ich ihr immer noch nicht glaubte.

Zwei Tage vor Weihnachten traf ich sie erneut, und sie berichtete, dass Loriot offenbar seinen Besuch angekündigt habe. Ich möge doch am 2. Weihnachtsfeiertag vorbei kommen, dann sei er da. Dummerweise waren wir aber an diesem Tag bei irgendwelcher Verwandtschaft. Es ist ja immer so: Egal, wie wenig Verwandtschaft man hat, sie werden immer dann red- und leutselig, wenn man es partout nicht gebrauchen kann. Normalerweise reißt man sich an Weihnachten die Geschenke aus der Hand, sagt Sachen wie "Ach, wie hübsch. Das hast Du aber bestimmt lange gesucht", trinkt bitteren Kaffee und geht dann schnell wieder, um sich während der Rückfahrt im Auto all die Dinge zu sagen, die man gerade zwei Stunden lang nicht gesagt hat. Diesesmal war aber irgendwas anders, jedenfalls dauerte es länger. Da half kein Quengeln und kein Jammern, die Sippschaft saß am Tisch und trank.

Als ich endlich loskam, raste ich die wenigen Strassen zu ihrer Wohnung rüber. Vielleicht habe ich ja Glück, dachte ich, in völliger Unkenntnis von Weltlage und Karmaanalyse. Tatsächlich sah ich gerade noch einen Jaguar aus der kleinen Straße abbiegen und wegwischen. Das, soviel war mir klar, war es dann gewesen. Zu spät. Nur noch Rücklichter. (Ein Phänomen, dass sich in meinem weiteren Leben im Bereich "Beziehungen" gerne wiederholen sollte). Auf dem Tisch standen noch die Kuchenteller und die Cognacgläser und Frau von Kurnatowski machte ein ebenso betrübtes Gesicht wie ich. Aber immerhin lag der versprochene Kalender nebst Autogramm auf dem Tisch.

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