Mittwoch, 4. Februar 2004

Während am "super tuesday" die Anwärter der Demokraten um die Gunst der Wähler kämpfen, höre ich

Rory Gallagher - Walk on hot coals [Album - Blueprint]

Und damit das geilste Stück, dass die 70er Blues Jahre jemals raus gebracht haben. Das Album dazu habe ich in der Plattensammlung meines Vaters enteckt, Und seitdem verfolgt es mich. Besonders das Solo bei -1:58 min. Das ist so ehrlich, so erdig, so rauh und nah, dass man ihm nicht entkommen kann. Grassrootsrock. Dass, was die politschen Vertreter der Amis niemals verstehen werden. Dass, was die Welt retten würde . Ziehen, unbedingt. Bitte.

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Abt: Monologe, die ich nicht hören möchte. Teil 894

162 km/h zeigt die Anzeige im ICE an und ich denke mir, na, das ist ja schon ganz schön schnell. Eigentlich will ich gar nicht so schnell nach Berlin, weil Hamburg heute wieder so nett zu mir war. Voll mit Angeboten, netten Menschen und viel Wärme. Komisch, als ich noch in Hamburg gewohnt habe, war das anders. Da musste ich mich nach jeder Traube strecken und bin doch nicht dran gekommen. Oder stellte nach unendlichen Mühen fest, dass sie faul war. Jetzt wohn ich nicht mehr da, und fast könnte man meinen, dass mir die Trauben in den Mund fallen. Ich lese mittlerweile mehr in Hamburg, als in Berlin. Zum Beispiel. War vor zwei Jahren genau umgekehrt. Aber vielleicht funktioniere ich ja umgekehrt. Immer, wenn ich was habe, dann stoße ich es ab, immer wenn ich wo weg gehe, kommen viele und zerren mich zurück. Manchmal hab ich Angst, dass ich immer weglaufen muss, um mal anzukommen. Das ist so anstrengend.

Jedenfalls schwankt der ICE durch den überdimensionalen Truppenübungsplatz namens "Brandenburg" und ich stehe im rosa ICE Bistro an der Kasse und will für bares Geld eine Coca-Cola ehrlich erwerben. Da stürmt plötzlich der mit einem Hasengebiss ausgestattete Zugchef an mir vorbei, direkt hinter die schmale Theke des Bistros und sagt etwas, was man nicht hören will, wenn man mit 162 km/h durch Brandenburg rast.

"Mach mal schnell n Kaffee un Korn, dem Lokführer ist mau"

Gut. Ich bin froh, nicht mit dem Bus gefahren zu sein. Oder gar im Flugzeug zu sitzen. In beiden Situationen hätte sich, da bin ich mit sicher, mein Hang zur hysterischen Panik jetzt durchaus deutlich zu Wort gemeldet. Aber so ein Zug fährt ja erst mal auf Schienen. Wird also geleitet von deutscher Wertarbeit, von Stahl, dass halbnackte deutsche Männer in Hochöfen gegossen haben, auf das es ewig halte. Auch weiß ich, dass Züge da vorne einen Fußschalter haben, der alle 30 Sekunden bedient werden will. Wird er nicht getreten, dann piept es laut. Piept es lange laut, dann wird der Zug automatisch gestoppt. Auf der anderen Seite frage ich mich, warum es dem Lokführer wohl "mau" geht. Vielleicht hat er gestern abend mit seinen Lokführerfreunden am Stammtisch "Zur Lok-Else" soviel gesoffen, dass sogar die Kosaken neidisch geworden wären. Vielleicht hat ihn aber auch seine Frau verlassen. Durchgebrannt mit einem anderen Lokführer, der ihr mehr bieten kann. Der vielleicht nicht nur die Strecke Hamburg-Altona - Berlin-Ostbahnhof fährt, sondern auch mal Hamburg-Zürich. Oder Köln-Paris, und der ihr versprochen hat, dass er sie mal auf große Fahrt mitnimmt. Jetzt sitzt der gehörnte Lokführer nicht nur alleine in seinem Reihenhaus in Pinneberg, sondern auch frustriert da vorne und rast mit 162 km/h durch Brandenburg, das Gesicht verquollen vom Asbach und den schlaflosen Nächten, das Gehirn vollgestopft mit Gedanken wie "Diese Schlampe" und "Ich hab doch alles für sie getan" und "Hätte ich doch damals in der Realschule nicht Französisch abgewählt", während die Hand den Geschwindigkeitsregler immer fester umfasst und die Gedanken rasen: "Gleich kommt die Weiche "Neustadt/Dosse", wenn ich da mit 162km/h drüber rumpel, dann entgleist der Zug und wir rasen in den Getreideturm und sind alle tot, ist doch sowieso jetzt alles egal, wo die blöde Schlampe gerade im anderen Lokführerhäuschen sitzt, und dieser blasierte Kerl ihr die französischen Verkehrsleitsignale erklärt, hätte ich ihn doch damals nicht auf meinen 42. Geburtstag eingeladen, diese Sau, und ich sitz jetzt jede Woche hier und fahr von Hamburg nach Berlin und wieder zurück, immer an den langweiligen Feldern vorbei, während dieser Angeber an französischen Feldern vorbei kommt, und meine Frau sitzt neben ihm, und vielleicht greift sie ihm zwischen die Beine, so wie sie das bei mir früher gemacht hat, als ich noch blutjung war, und die Diesellok hatte, mit der ich sie immer nach Flensburg mitgenommen habe, und wir gelacht haben, und sie immer aus einer Ecke ihrer Tasche den Kaffee gezaubert hat, und ihn mir mit einem Kuss gegeben hat, kurz nachdem wir Schleswig passiert haben, und jetzt macht sie das mit dem anderen, ich könnte wahnsinnig werden. Ich fühl mich mau."

Ich fahr war dann sehr froh, als wir in Berlin-Zoo ankamen. Hab kurz mit dem Gedanken gespielt bis Ostbahnhof mitzufahren, aber ich wollte mein Glück nicht auf die Probe stellen. Und in Zukunft kauf ich meine Cola am Bahnhof.

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