Wer schreibt?
Was sind das überhaupt für Menschen, die schreiben?
1. Der Sprachfetischist Seit seiner Kindheit fasziniert diesen Menschen die Sprache. Vor allem der korrekte Gebrauch von Sprache. Der überaus korrekte Gebrauch. Ich weiß nicht, was mit diesen Menschen passiert ist, aber ich glaube, sie müssen in Ihrer Schulzeit die erste Testosteronausschüttung bei einer schwierigen grammatikalischen Konstruktion bekommen haben. Sie sammeln alle Wolf Schneider Bücher, und wenn sie die "Zeit" lesen, dann suchen Sie mit einem Auge nach einem Druckfehler, oder einer winzigen, leicht verschobenen Metapher. Manchmal schreiben Sie deswegen auch einen Leserbrief, aber das machen sie eher selten. Lieber ärgern sie sich ein wenig. Sie lesen gerne die 20seitige Beschreibung über die Intarsien des linken Tischbeins aus einem Umberto Eco Roman und langweilen sich dabei nicht. Aber: diese Menschen schreiben unglaublich genaue Bücher. Für sie ist die Sprache ein Skalpell, ein Präzisionswerkzeug, mit dem man Schicht für Schicht freilegen kann. Hier wird dem Leser nichts um die Ohren gehauen, hier wird er reingezogen, langsam aber sicher, in das langweilige Leben eines Protagonisten. Sprachfetischisten verstehen etwas von Langsamkeit, verstehen es den Leser erst an das schleppende Tempo zu gewöhnen, um ihm dann am Ende mit einer winzigen Wendungen den Atem zu rauben. Allerdings sind Sprachfetischisten auch Mimosen, die permanent Grippe haben oder eine Magenverstimmung. Und es muss GANZ ruhig sein, wenn sie schreiben. Sie brauchen für ein Buch zwischen zwei und 5 Jahren.
2. Die Stillen Die Stillen sind eine Mischung aus den Sprachfetischisten und den Chaoten (siehe unten). Eigentlich wollten sie mal was anderes machen. Friedhofsgärtner. Plus-Filialleiter. Möbelpacker. Aber als sie 26 wurden, dachten sie, es ginge eventuell noch was. Also fingen sie an zu schreiben. Ganz heimlich. In dicken Kladden, die sie jeden Nacht wieder tief in der untersten Schublade des Schreibtisch versteckt haben. Sie reden nicht viel. Sie sind manchmal Borderliner, und schnibbeln sich in depressiven Momenten evtl. ein wenig an den Unterarmen rum. Oder hängen sich Gewichte an die Genitalien. Man weiß es nicht so genau. Viele, aber beileibe nicht alle, können schreiben. Manche hängen sich einfach auch nur so Gewichte an die Genitalien, oder schreiben ein wenig, weil sie glauben, so leichter Frauen/Männer ins Bett zu bekommen. Sie sind blass, klein, einige sind eher dick, sind geschieden und hatten eine ärmliche Kindheit. Wenn sie es allerdings können, dann sind sie großartig. Dann schreiben Sie aus dem Bauch raus UND haben Technik. Das dumme bei solchen Stillen: Sie sterben meistens bevor sie entdeckt werden und haben einen Hang zu Marschmusik aus dem zweiten Weltkrieg. Sie brauchen für ein Buch ca. 20 Jahre.
3. Der Chaot Völlig unerträglich, es sei denn, es macht einem Spaß mit einem arroganten, promiskuitiven, lügenden, schreienden, koksenden, launischen, egoistischen, saufenden, rauchenden Kindskopf zusammen zu leben, der zu dem alle Psychosen der ganzen weiten Welt ausprobiert. Und er probiert die nicht aus Verzweiflung aus, sondern weil es ihm Spaß macht. Diese Menschen sind eine Last. Eine Katastrophe. Sie beleidigen jeden, machen einen auf Held, sind aber innerlich genauso Mimosen wie die Stillen, weil sie ja nur geliebt werden wollen. Eigentlich. Nicht darauf reinfallen, dieser Mensch macht nur einen Test für sein nächstes Buch. Aber - sie schreiben göttlich. Sie schreiben ehrlich, genau, aufrichtig und böse. So wie sie eben sind, oder sich selber sehen. Sie suchen nicht nach Worten, die Worte kommen zu ihnen. Die Sätze kommen, legen sich auf das Papier, als hätten sie nie was anderes gemacht. Als seien sie immer da gewesen. Sie nehmen nichts aus einem Vorrat von Worten, sie reißen sich die Worte aus Körper und puzzeln sie passend in den Text. Sie brauchen für ein Buch je nach Drogenlevel und Wirksamkeit der Anti-Depressiva zwischen 3 Monaten und 30 Jahren.
4. Der Dichter Sowas wird heute gar nicht mehr gebaut. Früher sind Dichter lachend in den Krieg gezogen, haben tagsüber dem Gegner mit einer Machete den Kopf abgeschlagen, die Augen ausgebohrt oder ins Herz gestochen, um dann Abends im Schützengraben auf verknüllten Papier mit einem winzigen Bleistift, während dem Kameraden neben an gerade ein Bein amputiert wurde, Gedichte über die Schönheit eines Sonnenuntergangs geschrieben. Wenn es zufälligerweise keinen Krieg gab, waren sie Hause, haben ihre Frau/Mann, mit allem betrogen, was sich gerade anbot. Egal ob 68jährige Hausmeisterin oder 15jähriger Junge. Sie hatten alle Geschlechtskrankheiten, die man sich nur vorstellen kann. Heute gibt es kaum noch welche. Mag am fehlenden Krieg liegen. Es gibt leider eine Menge Menschen, die meinen dass sie Dichter sind, und ihre Sachen im Internet veröffentlichen. Sie hören dabei Gothic oder Dark-Wave und würden gerne mit ihrem Blut schreiben, wenn sie dabei nicht in Ohnmacht fallen würden. Manche schreiben tatsächlich mit ihrem Blut, sterben aber deswegen früh. Sie veröffentlichen nie ein Buch.