Sonntag 00:30 bis 09:00 Uhr
Es hätte mich stutzig machen sollen, als man mich auf dem internationalen Kulturaustausch im Wedding nach vier Warsteiner mit den Worten überredete "Da ist ne Party in einem Schlosspark an einem See und wir kommen umsonst rein." Da ich stutzig sein aber gerade unhip finde, muss ich jetzt durch einen Wald stolpern. Denn die mir bis dato unbekannte Steffi stand mitnichten, wie ich vermutete habe, am regulären Eingang von Schloß Mühlenbeck durch den sie uns souverän an den Massen vorbei lotst, sondern am Ende eines Feldweges. Vom Schloss keine Spur. Aber ein leises Wummern war zu hören. Hinter mir stolpert ein Rumäne der in den USA studiert, kein Wort Deutsch spricht, seit 5.oo Uhr morgens mit Bussen, Pferdekutschen und Flugzeugen nach Berlin unterwegs war und leise Dinge auf Rumänisch flucht. Aber nu: der Tip sei "heiß". Man würde direkt bei den Toiletten rauskommen und schwupps sei man da. Gratis, franko und frei.
Zwischendurch weiche ich mehrfach zurückschnalzenden Ästen ungeschickt aus, stolpere 80Grad steile Abhänge hinab und stehe einmal mit einem Bein im See, was mich immerhin vermuten lässt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Von vorne kommt die Ansage, das es jetzt ein wenig "haarig" wird und die Taschenlampen aus bleiben müssen, weil wir "bald da" seien. Ich verheddere mich in irgendeinem Gestrüpp und frage mich, ob es nicht ein wenig unwürdig ist, mich mit 36 Jahren durch einem brandenburgischen Urwald auf eine Party zu schleichen, die 15 Euro Eintritt kostet. Sehr sicher bin ich mir zwei Minuten später, als drei Schrankwände mit der Aufschrift "security" mich netterwesie aus einem Dornenbusch befreien und die völlig erschöpfte Gruppe kurzerhand vor die Tür setzen, wo ungefähr 500 andere Idioten darauf warten rein zu kommen. Dummerweise haben wir aber den Rumänen verloren, der sich irgendwie reingemogelt hat und nicht auf die Idee kommt raus zu kommen, weswegen wir wieder reinmüssen, was nach schon 90 Minuten geschafft ist.
Mittlerweile ist es 3.00 Uhr. Steffi weint, weil sie ihren Freund nicht findet und um uns herum tummelt sich die Ost-Deutsche Landjugend, die Kiloweise Stahl im Gesicht herum trägt. Dafür haben sie keine Haare. Die Musik wechselt zwischen umpf-umpf-umpf und umpfumpfumpf. Dass das mit Steffis Freund auch ein Problem sein könnte, dass uns betrifft, wird uns klar, als Steffi bekannt gibt, dass sie den Weg zurück nicht kennen würde, sondern nur er. Also suchen wir nicht nur einen Rumänen in einem Schlosspark der mit 2000 Menschen gefüllt ist, sondern auch einen Kerl mit kurzen Haaren, einem weißen T-Shirt und jede Menge Stahl in der Fresse. Ich beschließe den Rumänen zu suchen. Einen kleinen, schwarzhaarigen Mann zu finden, der einsam rumsteht, scheint das kleinere Übel. Ich finde den Rumänen sehr schnell, aber er ist ganz und gar nicht alleine, sondern von vier Frauen umgegeben, die einen blonden Zopf haben, ein Basecap, rundumvollverglaste Sonnenbrillen, eine Armyhose, ein Piercing unter dem Bauchnabel, eine Tätowierung am Oberam, eine im Steiß und T-Shirts tragen auf denen "Brotherhood of Tattoo & Piercing" steht. Er trinkt Bier und erzählt auf Englisch von Rumänien.
Während der Suchaktion verlieren sich weitere Teile der Gruppe, da man sich offenbar nicht auf einem Treffpunkt geeinigt hatte, bevor man mit der Suche begann. Mir ist das jetzt egal. Ich bin zerkratzt, zerstochen, durstig irgendwo in der Walachei, das Auto ist sonstwo, aber der Fahrer ist neben mir, und ich beschließe ihn nicht mehr aus den Augen zu lassen. Die vier geklonten Grazien wollte den Rumänen auch nicht mehr loslassen und stehen jetzt mit uns dumm rum, sind aber besser organisiert. Es gibt Tütenwein, Ungarn, lieblich.
Fünf Stunden später liege ich auf einem wackligen Holzsteg. Ich blinzel in die Sonne, die genau über dem See auf gegangen ist. Die Bäume sind maigrün, Libellen fliegen grazil übers Wasser und die Wunde, die durch diese Scherbe am Ufer kam, tut auch nicht mehr so weh. im Hintergrund wummert Musik, die mich nicht stört und die Sonne kitzelt schön den Alkohol in meinem Kopf. Auf dem Steg neben an sitzt der Rumäne mit einem der geklonten Mädels, trinkt weiter literweise Bier und erzählt ihr, wie das so in Rumänien ist. Als sie uns etwas später mit ihrem Ford Ka an unserem Auto absetzt, bin ich ihr richtig dankbar.