Donnerstag, 4. Dezember 2008

Ballhausschwur

Manche Dinge sind so bizarr, dass sie eigentlich nicht stimmen können. Offensichtlich ist es aber so.

Beispielsweise hatte 1920 der Großvater eines Betroffenen € 4291,53 aufgenommen, um in der Nähe von Pirna einen Gutshof betreiben zu können. 1953 konnte die Familie nicht das Abgabesoll erfüllen, sollte verhaftet werden und flüchtete. Die Familie wurde enteignet, der Hof und das Land in eine LPG überführt. Seitdem haben andere dort gelebt und den Hof bewirtschaftet. Das Gut erhielt die Familie nicht zurück, die neuen Bewohner hatten sich in das Grundbuch eintragen lassen. Dennoch verlangt die KfW mit Schreiben vom 6. Juni dieses Jahres die Schulden aus dem Jahr 1920 zurück.

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) - genau, die mit den 300 Millionen an die Lehman Brothers - treibt gerade sehr, sehr alte Schulden ein. Und überrascht die ein oder andere Familie mit Forderungen, die so alt sind, dass sie eigentlich schon gar nicht mehr wahr sind. So nach zwei Währungsreformen und anderen Dingen, wie Krieg, Vertreibung, Enteignung und was es sonst so gibt. Gut - das man jeden Cent braucht mag ja angesicht der Lage, in der die KfW steckt, ja nachvollziehbar zu sein, aber das ist dann schon etwas merkwürdig. Und irgendwie gefühlt unanständig, auch wenn die Rechtslage mal wieder eindeutig erscheinen sollte.

In meinem Studium meinte mal ein Professor relativ kühl, dass ein Staat dann in Probleme kommen würde, wenn das Recht nach Buchstaben über das gefühlte Rechte obsiegen würde. Es würde dazu führen, dass die Menschen das Vertrauen verlieren würden. Abwanderung, Abwendung und, in letzter Konsequenz, Widerstand seien die Folgen, wobei sich der Widerstand nicht zwangsläufig an einem Unrecht reiben würde, sondern an völlig anderen Dingen ausbrechen könnte. Das "gefühlte Recht" sei, auch wenn alle Juristen da anderer Meinung seien, nicht zu unterschätzen. Letzlich sei man 1789 nicht auf die Barrikaden gegangen, weil man, seit Jahrzehnten, in Armut gelebt habe, oder weil man einer Willkür unterlag, sondern weil man bei einer verfahrenstechnischen Abstimmung nicht weiter kam, was dann zum Ballhausschwur führte. Nach einer Finanzkrise, nur so nebenbei.

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Update aus meinem Arbeitsleben:

Ich hab ja länger nichts mehr dazu geschrieben, was ich eigentlich den ganzen Tag so treibe. Wenn man mich denn arbeiten lässt.

Einigen wird schon aufgefallen sein, dass ich seit dem 01.08 die Leitung von neuerdings.com übernommen habe. Ich wollte mit Peter Hogenkamp (Xing-Link) schon länger mal zusammenarbeiten und in diesem Jahr hat sich dann die Gelegenheit ergeben, was mich sehr freut. So mache ich jetzt teilweise in "Gadgets" und darf neue Handys anfassen. Man hat das in diesem Blog hier ja nie so raus gelesen, aber im Grunde bin halt auch einer, der feuchte Hände hat, wenn er neue Technik zum spielen bekommt. Man kann mich ganz hervorragend damit ruhig stellen, wenn man mir einfach ein neues Handy in die Hand gibt.

Seit ein paar Tagen ist dann ein neues Social Network online, bei dem ich das Magazin übernommen habe. Die Rede ist von Quillp, einem neuen Netzwerk für Menschen, die gerne lesen und selber schreiben. Hier steckt, unter anderem Alexander Braun (Xing-Link) dahinter, der mich im vergangenen Sommer nach der Schließung von mindestenshaltbar ansprach, ob ich nicht Lust hätte, so eine Plattform auch für ihn zu machen. Also habe ich mit ihm und Melanie Bossert (Xing) zusammen das Magazin entwickelt, das allerdings gerade erst am Anfang steht. In Zukunft soll dort, zumindest ansatzweise, das weiter gemacht werden, was bei mindestenshaltbar schon recht gut gelaufen ist. Autoren können ihre Geschichten voröffentlichen, haben aber auf Quillp gleichzeitig die Möglichkeit, auch sich selbst vorzustellen. Wir planen zu dem die Autoren besser zu vernetzen und möchten auch Lektoren und Verlagen die Möglichkeit geben, nach neuen Autoren zu suchen. Das soll teilweise im Magazin, teilweise aber auch durch die Funktionen von Quillp erreicht werden.

Quillp ist, selbstverständlich, sonst wäre es ja nicht Web 2.0, noch in der Beta-Phase. Das Magazin sogar noch Alpha (Web 2.0.1b). Aber in den nächten Wochen und Monaten wollen wir das weiter ausbauen. Die ziemlich große Anzahl an Applikationen, die Quillp bietet, wollen auch mal vorgestellt werden. Allein die "Ähnlichkeitsgrafik" (oben/mitte rechts) entzückt mich jedes Mal.

Wie und in welchem Umfang wir wieder Blogtexte/Autoren auf der Seite einbinden werden, kommt später noch mal. Dazu wird es im Magazin und hier noch mal ein Extraposting geben.

Freu mich jedenfalls, dass ich da an zwei sehr spannenden Projekten mit arbeiten kann.

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