Nebenjobs, die man nur einmal macht

Ich war ja schon vieles in meinem Leben. Nachtportier, Kellner, Türsteher, Chauffeur, Radioreporter, Journalist, PR-Schlampe, DJ, Labelmanager, Partyveranstalter, Verleger, Redaktionsleiter, Filmvorführer, Fotograf, Content Manager, Holzpalettenstapler, Porneaux Filmkritker. Aber den allerdämlichsten Job hatte ich bei der Firma Penaten in Rhöndorf bei Bonn.

Die suchten, wie jedes Jahr, in Anzeigen nach studentischen Sommer-Aushilfskräften. Achso - das sollte ich für die jugendlichen Leser vielleicht kurz erklären: Damals gab es soviel Arbeit, dass die Firmen Anzeigen in Zeitungen geschaltet haben, um in den Sommermonaten, wenn alle Arbeitnehmer im Urlaub waren, die Produktion weiter laufen zu lassen. Irre was. Damals hatten die Firmen allerdings auch noch nicht Indien entdeckt. Jedenfalls ging ich dahin, wurde prompt eingestellt und sollte am folgenden Montag um 07.00 Uhr (!!) zur Arbeit (!!) erscheinen. So geschah es. Der Werksleiter führte mich in einen Keller und auf dem Weg zwischen Rohren und dunklen Gängen, erklärte er mir, dass ich als Student einen der wichtigsten Jobs im Hause Penaten übernehmen würde. Quasi könne ich darüber entscheiden, ob die Firma mit milliardenschweren Produktionsausfällen zu kämpfen habe, oder Penaten weiterhin ein güldener Stern am strahlenden Himmel deutscher Firmen sein würde. Denn ich würde mit der wichtigsten Grundzutat aller Penaten Produkte zu tun haben. Ich würde das Herz und Geheimnis der Firma erfahren und betreuen. Die Vaseline. Ich wurde in einen Raum geführt, ungefähr halb so groß wie ein Fußballfeld, auf dem abertausende von weißen Plastikkübeln standen, jeder so groß wie ein 30 Liter Bierfass, nur knapp doppelt so schwer. Vor meinem Auge entstand meine Aufgabe: Sechs Wochen lang Plastikkübel von links nach rechts karren. Aber nichts dergleichen. Ich wurde durch den Raum geführt, in eine Art Heizungskeller. Der Raum war viel niedriger, nicht mal 2 Meter hoch und wurde bis auf einem schmalen Rand ausgefüllt von etwas, dass ich für eine riesige Heizung hielt. Dann gelangten wir in einen neonbeleuchteten Nebenraum, in dem ich erst mal gar nicht wusste, wo ich hinschauen soll. Erst die ungefähr 456 Bilder halbnackter Monikas aus Schwäbisch-Gemüd die liebevoll aus führenden Magazinen wie "Peep", "Schlüsselloch" oder "Wochenend" herausgerissen waren? Oder doch der Penner am Tisch, der vor einem halbleeren Bier saß und "Overstolz" rauchte? Der Werksleiter verabschiedete sich jedenfalls mit einem fröhlichen "Viel Spaß die nächsten sechs Wochen, ihr beiden".

Erst mal das Eis brechen, dachte ich und sagte "Tach Don". "Hmpfgan" kam zurück, was ich als Wolfgang interpretierte. Wolfgang sah nicht gut aus. Mal abgesehen von den Aknekratern in seinem Gesicht, waren seine Augen verdächtig gelb-rotgefärbt, was allerdings hübsch mit der Farbe seinen Finger harmonierte, und die verblassten grauen Tatoos auf seinen Oberarmen ein wenig auffrischte. Seine Haare waren fettig. So fettig, dass sich nicht mal Schuppen durchsetzen konnten, und sein Kopf hing bedenklich nahe über der Tischkante, beide Hände um die Flasche Bitburger gekrallt. "Tja," sagte ich. "Hmpf" kam zurück, dann "Bier ist im Kühlschrank". Den restlichen Tag bis 16.00 Uhr saßen wir schweigend da und tranken Bier.

Der nächste Tag: Wolfgang wie ausgewechselt. Irgendwas musste passiert sein über Nacht, denn das Lager war von oben bis unten voll mit Plastikkübeln. Wolfgang wuselte schon um 07.00 Uhr durch das Lager und kaum sah er mich, brüllte er mich an, ich möge mich beeilen. Ich schaute ihn an, und hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Wolfgang verdrehte die Augen und erklärte mir das Prozedere. "Pass op, do sin zwee Kübelkes. Ener aus Kanada, ener aus Schweden. Beide ham Vaseline drin. Und die müssen wa nu einschmelzen. In die Ofen da." Er wies mit dem Finger in den Heizungskeller und erzählte weiter "Un nur, wenn die Mischung stimmt, nur dann können die da oben die Creme machen. Also müssen wa die Kübelkes innen Ofen schütten." Er wuchtete einen Kübel hoch, stellte ihn sich auf die Schulter und stapfte Richtung Ofen. "Und du nimmst die do" sagte er im gehen und wedelte in Richtung anderer Kübel. Klar, dachte ich, scheiterte aber schon bei dem Versuch den Kübel über die Höhe meiner Knie zu heben. Also zog ich das Ding Richtung Ofen, schon nicht mehr ganz so gut gelaunt. Als Wolfgang das sah schimpfte er wie ein Rohrspatz ("Wat jeben die mir so eine Schlappschwanz") und stellte mich stattdessen in den Ofen-Raum, dessen Temperatur sich gefühlten 50 Grad näherte. Wolfgang schleppte die Kübel an, ich holte mit einer Schaufel die halbfeste Vaseline raus und schmiss sie in den Ofen. Wenn ich mit dem Spaten nichts mehr rausbekam, musste ich den Rest mit einem Spachtel rauskratzen. Und das taten wir ohne Unterbrechung ca. sechs Stunden lang. Dann sanken wir im Nebenraum zusammen und tranken Bier. Völlig fertig. "Und nu?", wollte ich wissen. "Morjen isset fertig. Dann rausholen und innen Kühlraum. Ist nicht mehr so schlimm."

Nächster Tag: Der Ofen heizte die Vaseline auf knapp 90 Grad und somit auch den Raum im Keller. Klimaanlage gab es nicht. Die Luft stank extrem nach Plastik und eben heißer Vaseline. Den Geruch kann man leider nicht beschreiben, aber wer es mal ausprobieren möchte, kann das Zeug ja mal in einer Pfanne heiß machen. Jedenfalls konnte man kaum atmen. Nun wurden andere Plastikkübel genommen und unter einen großen Hahn gestellt. Öffnete man den Hahn, lief glühendheiße Vaseline rasendschnell heraus und in den Kübel, den man währenddessen festhalten musste. Nebenbei bemerkte ich auch, was mich die ganze Zeit an den Unterarmen von Wolfgang gestört hatte. Sie hatten keine Haare. Auch seine Hände waren glatt wie ein Babypopo, aber nach drei Tagen sahen meine genauso. Das Problem war die spritzende Vaseline, wenn sie in den Kübel lief. Während man den festhielt, verteilte sich das Zeug so lange auf den Unterarmen, bis sich eine feste Schicht gebildet hat. Enthaarung galore. War der Kübel voll, nahm man ihn hoch und schleppte ihn 10 Meter weiter in einen Kühlraum, in dem minus 10 Grad herrschte. Auch das machten wir den ganzen Tag. Ich atmete Vaselinedämpfe ein, bis mir schlecht wurde, ich schleppte die 40 Kilo Kübel, bis meine Muskeln nicht mehr wollten und schlief nach einen halben Bier fast am Tisch ein. Die nächsten Tage waren alle so. Wir kämpften uns jeden Tag durch Tonnen von Vaseline, wir hatten das Zeug in den Haaren, in den Augen, im Mund, unter den Fingernägeln, in den Ohren. Wir schwitzten pro Tag ungefähr einen Kasten Wasser raus, wir lebten von einem ganzen Huhn, das wir uns teilten und das Essen bestand daraus, dass wir uns schnell zwischendurch Fleischfetzen vom Huhn rissen und in den Mund stopften. Wir redeten nicht, wir schleppten, rissen, schippten, kratzten, Der Raum war eine Sauna und ich verdiente 12 Mark die Stunde.

Ich hab es drei Wochen ausgehalten. Dann fiel mir ein Kübel auf den Fuss und ich durfte nicht mehr im Keller arbeiten, sondern saß am Fließband, wo ich eine Maschine mit Penaten Creme Etikettenfolien fütterte.