Im Theater
Wenn man Karten von "Freunde der Schaubühne" kauft, dann zahlt man zwar das doppelte, bekommt aber dafür auch Bier umsonst. Das ist es schon wert. Wenn ich denn noch soviel trinken würde, wie vor einem Jahr. Das mach ich aber nicht mehr, denn ich bin vernünftig geworden. Ich trinke zum Beispiel jetzt gerade einen Inka-Tee statt eines Becks. Deswegen reichte es in der Berliner Schaubühne auch nur zu zwei Kristall Weizen, nachdem ich zwei Stunden lang über die Bühne gestolpert bin. Sasha Waltzens neues Stück. Es besteht im Grunde aus einem Haus, dass auf der Bühne steht und durch dass man sich bewegen kann. Die Tänzer wechseln die Räume, die Verkleidung (wenn sie nicht gerade nackt sind. Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr in einer Aufführung eines Tanztheaters, bei dem am Ende nicht einer oder alle nackt sind.) Sehr putzig, dass Stück. Ein bißchen wie Sonntagabendszapping, wenn man nur arte, 3sat und den ZDF Theaterkanal hat.
Als ich gerade dabei war mit meiner Zunge ein hängengebliebenes Stück der Theaterbullette aus einem Zahnzwischenraum zu entfernen und dabei einer Dame zusah, die sich auf dem Boden wälzte, während ein Ziehharmonikaspieler versuchte mir einen Tinitus zu zaubern, hörte ich eine Stimme neben mir sagen "Das ist aber albern." Die Stimme gehörte Thomas Hermanns, der zusammen mit einem Freund/Bekannten durch die Räume strich. Ich beschloss meine Begleitung für ein paar Momente bei dem tanzenden Chinesen im Nebenraum zu lassen und ging Hermanns nach, um zu hören, was er sonst so zu dem Stück zu sagen hat. Er betrat jeden Raum, legte hier und da den Kopf ein wenig schief, so wie das mein Hund immer gemacht hat, wenn ich ihm schiefe Töne vorgespielt habe. Auch tot, der Hund. Dabei fällt mir ein, dass ich mit dem Hund mal eine sehr merkwürdige Begegnung mit Hans Dietrich Genscher in der Fußgängerzone von Bad Godesberg hatte. Damals war Hund sehr jung und lebendig und ohne dass ich es bemerkte, schnüffelte er dem Herrn Genscher an den Füssen rum, was ich nicht bemerkte. Ach, das sagte ich ja schon. Jedenfalls bemerkte ich weder das Schnüffeln, noch Herrn Genscher, denn ich bestellte gerade bei der Nordsee einen "Bremer". Herr Genscher sagte "Hallo, der ist ja süß, beißt der?" Und ich sagte wahrheitsgemäß "Nein" und Herr Genscher streichelte den Hund, während er seiner Gattin im gewohnten Außenministerbefehlston auftrug, ihm doch einen "Bremer" zu bestellen. So stand ich mit dem Hund neben Herrn Genscher und wir aßen zusammen jeweils einen "Bremer". Er frage mich allerlei über Rasse und Herkunft des Hundes, während er immer wieder herzhaft in sein Brötchen biß und ich die Fäden des kleingekloppten Fischs zwischen seinen Schneidezähnen sah, aber das sah er bei mir ja auch. Sowas verbindet wohl über alle Altersgrenzen hinaus. Dann knüllte er seine Serviette zusammen, streichelte den Hund, sagte "Tschüß" zu mir und zu seiner Frau "Komm, laß uns nach Hause gehen".
Jedenfalls latschte Thomas Hermanns durch die Räume, verweilte überal nur kurz und legte den Kopf schief. Mehr machte er nicht. Sein Gesicht, regungslos wie ein toter Fisch. Nicht mal ein Nicken, oder Kopfschütteln, das, angesichts, der Damen, die sich gerade unzählige BHs anzogen vielleicht angebracht gewesen wäre. Fand ich langweilig, den Hermanns, vielleicht, weil ich auch nebenbei versuchte, der ungemein extrem hübschen spanischen Tänzerin unters Hemd zuschauen. Nach der Aufführung gab es Bier umsonst. Aber Herrmans verließ das Theater schnell, wortlos und schlug seinen Fellkragen nach oben.