Roger Waters - Is This the Life We Really Want?

Fear, fear drives the mills of modern man Fear keeps us all in line Fear of all those foreigners Fear of all their crimes Is this the life we really want?

Roger Waters ist ein Besessener. Klar. Jemand, der seine Kindheit, seine Therapien und seine Ängste 16 Jahre lang innerhalb einer Band ausgelebt und bombastisch in Alben öffentlich gemacht hat, ist besessen. Nach dem Bruch mit Pink Floyd hat seine Besessenheit nicht nach gelassen, wohl aber sein musikalischer Output. Aus parallel zum „The Wall“ Album entwickelten Material bastelte Waters 1983 "The Pros and Cons of Hitch Hiking“. 1987 folgte das stark vom Thatcherismus der 80er geprägte "Radio K.A.O.S.“.

1992 folgte dann „Amused to Death“, sein bisher vielleicht bestes Solo-Album. Er packt seine Gesellschaftskritik rund um die Geschichte von Billy Hubbard, einem Soldaten des Ersten Weltkriegs, der im Kampf fiel. Das ganze Thema Krieg (erster Irak-Krieg) TV und Demokratie arbeitet Waters in einer musikalischen Orgie auf, perfekt aufgenommen mit einer ganzen Armada von Stars als Gastmusikern. „Amused to Death“ ist auch 25 Jahre nach seiner Veröffentlichung ein Statement, eines der besten Alben der 90er Jahre und bis heute sind die meisten Texte, trotz Internet und den veränderten sozialen wie politischen Umständen, zeitlos geblieben.

Und dann - 25 Jahre nix, außer einer Oper. Und natürlich unzähligen „The Wall“ Touren. Von irgendwas muss der Mann ja leben.

Roger Waters wird dieses Jahr 74 Jahre alt. Das ist jetzt nicht gerade jung. In dem Alter verzettelt sich so mancher Star in sein Alterswerk. Um so erstaunlicher ist dann dieses neue Album, weil es genauso von seiner Besessenheit und seinem Zorn lebt, wie bei „Animals“ oder wie beim sehr politischen „Final Cut“ vor 34 Jahren. Vielleicht hat sein Alter ein bisschen was abgemildert, aber viel war es nicht. Waters nimmt sich in dem 60minütigen Album alle und alles vor. Die Imperialisten, die Neoliberalen, die Lügner, die Klimavergifter, die Reichen, den Krieg der Dronen, die Terroristen und die gesamte Menschheit.

And every time a student is run over by a tank And every time a pirate’s dog is forced to walk the plank Every time a Russian bride is advertised for sale And every time a journalist is left to rot in jail Every time a young girl’s life is casually spent And every time a nincompoop becomes the president Every time somebody dies reaching for their keys And every time that Greenland falls in the fucking sea is because All of us, the blacks and whites […] (er zählt da noch weitere auf)

Wie immer, wenn man ein Album von ihm hört, schwingt da eine Menge Pathos mit. Waters gibt es nicht ohne Pathos, ohne den „Da, schau hin“ Anspruch. Der ist etwas aus der Mode gekommen. Vermutlich, weil Roger Waters und viele andere recht damit haben, wenn sie sagen, dass man es nichts mehr sieht, nichts mehr sehen will, weil man nichts mehr sehen kann. Weil die Bilder von verhungernden Menschen, an Stränden angeschwemmten Kinderleichen und plattgewalzten oder in die Luft gesprengten Gliedmaßen uns einfach nicht mehr erreichen können. Weil wir abgeschaltet haben. Um selber weiterleben zu können. Aber anklagender Pathos ist unbequem, weil er daran erinnert, dass man ja selber auch nicht immer viel besser ist.

And if I were a drone Patrolling foreign skies With my electronic eyes for guidance And the element of surprise I would be afraid to find someone home Maybe a woman at a stove

Einfach macht es einem Roger Waters mit dem Album inhaltlich also schon mal nicht. Und musikalisch?

Waters bleibt auch hier seiner Linie treu. "Is This the Life We Really Want?“ vereint die Pink Floyd der späten 70er und die letzten beiden Solo-Alben von ihm selber. Manche Stücke klingen nach „Oh, das könnte jetzt auch von „Dark Side…“ kommen, manche von „Amused to Death“. Und „Bird in a Gale“ könnte ein Stück von „Animals“ sein. Langweilig werden die Zitate nie. Vielleicht, weil sich Waters hier und da auch woanders bedient. Ein bisschen Jeff Beck, ein bisschen Thom Yorke, aber das ist auch kein Wunder, produziert wurde das Album von Nigel Godrich, der wiederum etliche Alben von Radiohead produziert hat.

Das klingt also alles irgendwie ein bisschen bekannt, vor allem das Piano von Waters, manche Riffs und hier und da meint man sogar doch den Einfluss von Gilmore zu hören, auch wenn der gar nicht bei der Aufnahme mitgewirkt hat. Aber Waters verzichtet, anders als bei Pink Floyd oder „Amused to Death“ auf zu viel Bombast. Doch, ja, den kann man hier und da auch hören, aber nur als Andeutung. Wo er früher sich und seine Zuhörer in lange Soli entführte, bricht er heute mit leisen Tönen ab. Fast so, als ob die Musik nicht ablenken soll von den Texten, die vor Metaphern und Andeutungen nur so platzen. Musik und Text erschlagen sich nicht gegenseitig. Es ist fast ein bisschen so, als würde Roger Waters eine Stunde lang vor einem am Tisch sitzen und eine Geschichte erzählen.

Was ein großer Unterschied zu „Amused to Death“ ist, wo er sich quasi das Herz rausreisst, untermalt von sehr vielen Streichern, wimmernden Gitarrensoli und dann anklagend fragt, warum man denn immer noch nicht zuhört. "Is This the Life We Really Want?“ ist anders. Die Fragestellung gibt das schon vor. Eine fast sanfte musikalische Untermalung für eine rhetorische Frage.

We cannot turn back the clock Cannot go back in time But we can say "fuck you"

Nein, das ist kein leichtes Album. Und nein, auch keins, das gute Laune macht. Es ist ein böses, ein teilweise frustrierendes und trauriges Album, weil man ja weiß, dass Roger Waters ja Recht mit fast allem hat. Der leicht reduzierte musikalische Pathos umschliesst Texte, die zwischen Metaphern und direkter Sprache hin und her pendeln. Wo er irgendwann die Frage stellt, was uns eigentlich von Ameisen unterscheidet. Eine Frage, die schon den Quantenphysiker Werner Heisenberg mal beschäftigt hat. Und keine zufrieden stellende Antwort gefunden hat. Waters findet die auch nicht. Aber untermalt sie in den letzten drei Stücke mit einem zuckersüßen, tragenden, sehr traurigen Klavier neben dem er den Text fast resignierend vorträgt.

Das Album ist also eine gute Mischung aus allem, was Waters in den letzten 40 Jahren gemacht hat. Keine Quintessenz, kein Alterswerk, eher eine konsequente Fortführung dessen, was an ihn immer angetrieben habt. Musikalisch vielleicht nicht heranreichend an seine Pink Floyd Zeiten oder an „Amused to Death“, dafür aufgeräumter, klarer, dichter und das, ohne langweilig zu wirken. Es ist ein großes Album.

Und das ist vor allem auch deswegen, weil es erstaunlich ist, dass es der 73jährige Roger Waters ist, der überhaupt mal wieder ein großes Konzeptalbum auf den Markt bringt. Und es dem Nachwuchs um die Ohren haut. Man das ist ja nicht mehr gewohnt, dass es sowas überhaupt gibt, ein Album, dass eine Stunde lang eine Geschichte erzählt.

Man erfreut sich ja heute schon daran, dass M.I.A. ein vierminütiges Video über Flüchtlinge rausbringt. Geradezu ekstatisch reagieren andere, wenn Kendrick Lamar sich mal einen 7 Minuten Song zusammen sampelt. Das ist alles an sich nicht schlecht, aber weit, weit weg von dem, was Roger Waters kann und leistet. Und das macht das Album so groß. Und so traurig, denn Waters zerlegt mit 73 Jahren und in 60 Minuten einen großen Teil des musikalischen Nachwuchs.

Note: Auf Genius Lyrics gibt es die Texte mit Interpretationen (auf die grau unterlegten Felder klicken)