Weit voraus

Die Sofisten sind ihrer Zeit mal wieder voraus. Endlich mal jammern dürfen. Endlich mal Zeter und Mordio schreien. Endlich mal den ganzen Konsumfrust raus lassen.

Auf der anderen Seite sind wir das auch selber schuld. Terror der Ökonomie. Jahrelang sich als willenloser Lohnsklave für irgendwelche Firmen in den von Krankenkassen prognostizierten Herztod schicken lassen, nur damit man eine neue Joghurtmarke im Kühlschrank stehen hat, dessen Gelatine mit Seperatorenfleisch angereichert wurde. Scheiss Gefühl in der Arbeit? Gehn wa halt shoppen und kaufen für 25 Euro eine Flasche von dem Rotwein bei Franco aus der Toskana mit dem obskuren Label, der von albanischen Hilfsarbeiter in einer Weinfabrik aus den Resten der riesigen Plastikfässern zusammen geschüttet wurde, und den Franco für 1, 25 Euro eingekauft hat. Muss ja auch ein toller Wein sein, wenn der so ein Depot hat.

Fein haben wir uns zu Konsumsklaven erziehen lassen. Der Job als die ultimative Selbstbestätigung, mit grösst möglicher Fachidiotie. Die Spezialisierung als Individualisationsmassnahme um die eigene Existenz zu rechtfertigen, da draußen, auf dem harten Arbeitsmarkt. Beschäftigt man sich eben mit Powerpoint-Programmierung, dem Texten von Talkshowmanuskripten mit dem Titel "Hilfe, ich habe meine Tage!" oder dem Design einer neuen Erdnussfliptüte. Und wenn man ehrlich ist, weiß man das auch schon ganz lange das man da irgendeinen Murks fabriziert, dessen Existenz für das eigene Wohlergehen unwichtig ist. Und man wunderte sich auch hier und da, dass so ein Scheiss, denn man da produziert, tatsächlich auch noch bezahlt wird. Wir sind bequem geworden. Faul und Bequem. Altruismus ist was für Weicheier und nach rechts und links schauen ist unbequem. Nur schnell die Leiter hoch, den eigenen Besitzstand waren und um noch einen DVD Player erweitern. Denn wie soll man sonst die Winterwochenenden überleben, in denen man erschöpft von der 60 Stunden Woche alleine auf der IKEA Recramiere liegt und die als Warnschuss des Körpers verkleidete Grippe mit genetisch verbesserter Medikamentation in die Lymphen drückt. Damit man Montag wieder arbeiten kann. Kann man sich ja nicht erlauben. Und wenn dann plötzlich der Arbeitgeber feststellt, dass er seit 5 Jahren Mist gebaut hat und leider, leider, leider nicht auf seinen Porsche, aber auf 5 Mitarbeiter verzichten kann, dann wundert man sich immer noch nicht. Auch nicht, wenn man vor Erschöpfung und psychischer Belastung mal zusammenklappt oder durch die gesunde Ernährung aus abwechselnd Burger King, Cola-Light und Hungerkuren (Jill Sanmder macht eben nicht in Größe 38!) mager- oder fettsüchtig wird. Immer noch nicht, wenn die Geschwüre im Magen eine große Party werfen, die Leber sich, dank der allabendlichen Abtötung durch diverse Alkoholika, mal einen Ruhepause gönnt, die Libido gefesselt und geknebelt auf dem Boden liegt und röchelt oder der Tinitus fröhlich weiter pfeift.

Aber bloß nicht krank werden, denn in den Meetings jeder Marketingabteilung oder der Werbeagenturen wird weiter über virtuelle Zielgruppen geplaudert, und deren Wunsch nach Mango-Papaya-Zimt Schokolade, die "neue Trends" setzt. Und über allem schweben die Trendforscher, und überlegen sich, wie man dem Kunden mit noch einer neuen Schokowaffel die Arterien zermösert und das Geld aus der Tasche zieht. Wenn man auch nur ein Werk dieser Trendforschungsfaschisten liest, muss man eigentlich raus gehen, und eine Revolution starten. Aber dazu ist man im Endeffekt zu erschöpft oder man ist arbeitslos und es fehlt gerade das Geld.