Die Blogszene braucht was? Eine Identifikationsfigur? Jemand, der die Richtung vorgibt und den Medien erklärt, was eine Blogszene ist?
Solange sich die Blogszene aufführt wie ein Haufen Blockkleingärtner, wird dabei wohl kaum was rumkommen. Das gegenseitige ans Bein pinkeln, mal hier wegen einer Werbenummer, mal dort wegen eines Verstoßes gegen irgendeine güldenen Blogregel, die es ja schon immer gab, hat schon lange nichts mehr mit dem zu tun, was Blogs mal ausgemacht haben. Statt kreativen rumfummeln mit dem Medium, ist häufig nur noch Unkreatives rummeinen angesagt. Vor allem in den Kommentaren mancher Blogs.
Aber gut - rummeinen tue ich auch mal gerne (natürlich hab ich immer recht, aber das ist was anderes) Es nervt mich ja noch nicht mal so sehr, das man Wertesysteme versucht aufzubauen. Der ist böse, der gehört dahin, der ist lieb, aber harmlos. Wegen mir. Was mich viel mehr stört, ist die Unfähigkeit an die charakterliche Vielfältigkeit der Menschen hinter den Blogs zu glauben. Offenbar wird alles maximal zweidimensional, sobald man es am Bildschirm liest, auch der Charakter desjenigen, der es geschrieben hat. Das es Menschen gibt, deren Ansichten auch durchaus mal gerne widersprüchlich sein können, die ausprobieren, was in ihrem Leben so geht, und was nicht, und das zu diesem Leben auch das Blog gehört, in dem man sein Leben und seine Widersprüche ausbreitet, das scheint den Horizont einiger Menschen zu sprengen. Es ist leichter, wenn alles einteilbar ist, aber damit stellt man sich selbst ein Bein. Erica Jong hat das in ihrem Buch "Den Dämon verführen" ganz gut zusammengefasst, als sie schrieb:
"Die größte Gefahr droht uns heutzutage von Orthodoxien mit ihren nicht in Frage gestellten Voraussetzungen. Und da Politiker, Journalisten, Werbefachleute und New Age Gurus uns in rechts und links einteilen, tun wir es schon selbst, obwohl wir genau wissen, dass unsere Ansichten sich nicht in derart eindeutige Kategorien einsortieren lassen. Dieser Weg führt zu nebulösen Denken und macht es anderen leicht, uns auszunehmen" [Kursiv von mir]
Ich kann verstehen, dass man Probleme hat, jemanden einzuschätzen, den man nicht kennt, aber da gibt es einen kleinen Trick, wie man das umgehen kann.
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Ganz wichtig Einschätzen einfach mal lassen.
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Noch wichtiger Leute treffen.
Wenn ich manche Blogger nie getroffen hätte, würde ich vielleicht bis heute denken, dass sie mir nichts geben könnten. Und hätte sehr viel verpasst. Ich kenne Blogger, deren Hauptberuf auf der "bösen Seite der Macht" ist, aber ich habe auch gelernt, dass sie trotz allem eine ganz wundervolle Selbstironie an Tag legen, wenn es um ihren Job geht und manchmal auch mit dem hadern, was sie machen. Ich finde so was spannend. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich Menschen, die widersprüchlich sind und manche Brüche haben, mehr vertraue, weil ich bei ihnen nicht jene Form von Orthodoxie finden kann, die ich sonst ablehne. Menschen, die alles ordentlich, glatt und sortiert haben wollen, machen mir ein wenig Angst. Die Vielfältigkeit der Lebenssysteme ist es, die auch die Blogs ausmacht, und auch das Schreiben bestimmen sollte, was aber in letzter Zeit wohl etwas schwieriger geworden ist. Ich stell das an mir und diesem Blog fest, dass sich mal wieder gerade in einem Verpuppungsstadium befindet, ich merke das aber auch, wenn ich Blogs von Kollegen lese, die ebenfalls schon lange dabei sind. Da merke ich manchmal ein unsicheres Abwarten und in manchen Geschichten auch schon eine eingeschobene Entschuldigung, für das, was man so macht. Denn je mehr man mittlerweile über sich preis gibt, desto angreifbarer wird man. Ich kenne nicht wenige, (mich eingeschlossen) die irgendwo und irgendwann mal, in irgendeinem Blogeintrag etwas unschön aufs Brot geschmiert bekommen haben, was sie vor Jahren mal über sich im Schreibtaumel im eigenen Blog haben fallen lassen.
Die Blogszene steckt immer noch in den Kinderschuhen, und vielleicht gehören die Sandkastenspielereien dazu. Jedenfalls sorgen sie aber auch dafür, dass man so nicht weiterkommt und die kreative Energie der Blogs dabei auf der Strecke bleibt. Wenn man sich auf das "rechts/links" Spiel, auf die Orthodoxien einlässt, dann hat man schon verloren, weil man eine der wichtigsten Unterscheidungsmöglichkeiten von denen da draußen abbaut: die Nichteinschätzbarkeit. Blogs haben in den letzten Jahren genau davon gelebt. Während man schon am Vorabend wusste, was am nächsten Tag in der Zeitung steht, wusste man das bei Blogs nie. Das ist auch heute noch ein wenig so, aber es ist in den letzten Monaten viel leichter geworden, Meinungen einschätzen zu können. Und je leichter man es all den Datamining Programmen, all den SEO-Menschen, PR Fachleuten und Old-Economy Menschen es macht Blogs einschätzen zu können, desto mehr werden Blogs in Deutschland an Wichtigkeit verlieren. Aber vor allem verlieren sie an Faszination, was viel trauriger ist.