Die früheste Erinnerung, die ich an Rudi Carell habe, stammt natürlich aus seiner Sendung "Am laufenden Band". Ich erinnere mich gut, wie er einen Kandidaten hinter die Bühne aus Pappmaché setzt und auf dem Band in atemberaubender Geschwindigkeit irgendwelche Gegenstände wie ein Globus, ein Schwimmreifen oder das berühmte Fragezeichen vorbei rauschten. Meine Eltern saßen neben mir, und sagten immer "Der Globus, der ist wichtig, das ist bestimmt eine Flugreise." Aber Rudi Carell, der den Ablauf der Sendung von der ersten bis zur letzten Sekunde kontrollierte war manchmal auch ein bisschen gemein, und der immer wieder auftauchende Globus, der eine Fernreise versprach, war manchmal auch einfach nur ein Globus, den man mit nach Hause nehmen konnte. Aber das war eben Rudi Carell und sein manchmal böser Humor.
Was an Rudi Carell so besonders war: Er irgendwie immer da. Er gehörte zu meiner Jugend wie Wim Thoelke, dessen Sendung ich in der Kindheit immer nur bis zum Auftritt von "Wum & Wendelin" sehen durfte oder Hans Rosenthal mit seinem "Dalli, Dalli", die ich auch schon mal ganz sehen durfte. Nach seinen großartigen Samstagabend Shows gab es die "Tagesshow". Damals war die Sendung respektlos und ging an die Grenzen des Humors, was ihm ja auch bekanntermaßen einigen Ärger mit der iranischen Regierung einbrachte, als er in einem Sketch zeigte, wie Ajatollah Khomeini mit BHs beworfen wurde. Ich fand den Gag damals gut und das er sich dafür in der nächsten Sendung entschuldigen musste - das war irgendwie ungerecht.
Carell gehörte immer zu den wirklich großen in der deutschen Unterhaltungsbranche. Frankenfeld, Rosenthal, Thoelke, Kulenkampff, Carell. Das waren die Stars und wenn man ihre Sendungen heute noch mal in den Nachtübertragungen eines Senders sieht, dann versteht man auch, warum sie so groß waren. Frankenfeld, das war der witzige, der mit den Dialekten, der, der das Gesicht in alle Himmelsrichtungen schieben konnte. Rosenthal, der nette, liebe Onkel, dem man abnahm, dass er sich für jeden Kandidaten, der irgendeine Kleinigkeit gewonnen hatte, diebisch freute. Thoelke, der immer etwas steife, über aus korrekte, aber immer faire Showmaster. Kulenkampff, ein Showmaster, der meiner Meinung nach niemals mehr übertroffen wurde, oder übertroffen werden kann. Der seine Gäste mit einem leichten Zucken einer Augenbraue subtil bis auf die Knochen beleidigen konnte, was man ihm aber nie übel nahm, weil er so ein perfekter Gentleman war. Und dann Carell. Der lag irgendwo zwischen all diesen Größen. Er konnte ein wenig Rosenthal, ein wenig Kulenkampff, aber auch der lustige Frankenfeld oder der steife Thoelke sein. Aber eins war er nie: langweilig. Er hat mich durch meine Samstagabend Unterhaltung, als es nur zwei Sender gab, lange begleitet. Nach seiner großen Zeit musste ich ihm dann viel verzeihen. Auch "Sieben Tage, Sieben Köpfe", was nicht immer leicht war.
Und einmal hab ich ihn getroffen. Das war in irgendeinem Studio in Köln. Ich weiß nicht mehr warum er da war, ich weiß nicht mehr warum ich da war. Ich weiß nur noch, dass ich ihm die Hand gegeben habe. Ich habe sie nicht nebenbei geschüttelt, wie man das bei einem Empfang ebenso macht. Ich habe ihm meine Hand gegeben. Weil ich mich bedanken wollte, für die unzähligen Stunden, an guter und spannender Unterhaltung, die er mir in meinem Leben beschert hat. Ich hab erst nichts gesagt, dann ein "Schön sie kennen zu lernen" und er hat fest zugegriffen, "Freut mich auch" gemurmelt und mit der anderen Hand hat nach seinem Kölschglas gegriffen. War ihm nicht auch nicht mehr böse, sondern nur froh ihm einmal begrüßt haben zu können.
Jetzt ist der letzte große deutsche Showmaster tot. Er hinterlässt uns den schwätzenden Gottschalk, den langweiligen Kai Pflaume, den jeden Gefühlsnerv tötenden Oliver Geißen. Alles Leute, die noch nicht mal einen großen Showmaster darstellen können, sondern nur wie geduldete Verwalter einer austauschbaren Sendung wirken. Vorbei die Zeit, als man einen Kulenkampff auf Knien angebettelt hat, doch bitte zum hundertsten Mal den Rücktritt vom Rücktritt zu erklären. Vorbei die Zeit, in der man mit Spannung darauf wartete, mit welch außergewöhnlicher Idee Rudi Carell nun schon wieder auf den Bildschirm zurückkehren würde.
Jetzt sind die Großen irgendwo da oben zusammen und hecken hoffentlich gemeinsam neue Ideen aus. Ich hab heute einen Moment Tränen in den Augen gehabt, weil jetzt der letzte große deutsche Showmaster und ein Stück meines medialen Erwachsenwerdens gestorben ist.