Die seit heute für alle online geschaltete "Reader Edition" der Netzeitung versucht einen neuen Ansatz im "Bürger Journalismus" zu finden, in dem sie die Leser ihre eigene Zeitung herstellen lässt. Jeder der will, kann sich auf der Seite registrieren und sofort damit anfangen, Inhalte zu erstellen. Allerdings werden diese nicht sofort frei geschaltet, sondern laufen erst durch eine Moderatorenschleife. Dort wird geprüft, ob der Inhalt rechtlich ok ist, ob sich nicht zufällig eine PR Agentur eingeschlichen hat oder ob er noch mal kurz in ein Lektorat muss.
So ganz neu ist das Prinzip nicht. Es gibt in Korea die international erfolgreich arbeitende Community Ohmynews und in Deutschland gibt es seit einiger Zeit die eher weniger erfolgreichen News-Sammelstellen Yigg und die vom "Stern" mit gesponsorte Seite Shortnews. Beide Seiten verstehen sich aber eher als Linkschleuder zu anderen Seiten, denn als Hersteller eigenen Contents. Und genau das will die "Readers Edition" leisten.
Bezahlt wird natürlich nichts. Weder den Autoren, die den Content anliefern, noch den Moderatoren. Der Chefredakteur der "Netzeitung", Michael Meier, meinte dazu heute beim offiziellen Start der Seite gegenüber der Presse, dass man zunächst kein Bezahlmodell geplant habe. Sollte sich die "Readers Edition" allerdings bewähren und sich Sponsoren finden lassen, würde man darüber neu nachdenken müssen. Weiterhin gelte aber, dass interessante Artikel, die den Weg von der Edition in die Netzeitung schaffen, dann auch bezahlt werden. Naja.
Aber offensichtlich will man auch einen Versuchsballon starten, um zu sehen, in weit die Definitionen des herrschenden Journalismus überhaupt noch gültig sind. Chefredakteur Maier schreibt in einem an Presse gereichtem Editorial zum Start der Seite:
Der Journalismus befindet sich mit zwei unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert: Es gibt die professionellen Enthüller, und es gibt Volkes Stimme(n), in Form von Blogs, Foren, Websites, Communities.
Die Foltergefängnisse der Amerikaner in Abu Ghraib wurden von Bloggern entdeckt, die französischen Sozialreformen von Bloggern und Internet-Gemeinden zu Fall gebracht. Es wird mehr in die Tiefe recherchiert und mehr aus der Breite erzählt. Da ist Dynamik, da ist extrem viel Veränderung.
Natürlich macht die "Netzeitung" das alles nicht zum schönen Selbstzweck. Man sucht offenbar neue Wege, an Content ran zu kommen, und eine bessere Leitung in die Blogszene, damit man Stories nicht mehr verpennt. Man bedient sich quasi aus dem Infopool der Blogs, verlinkt aber brav. Immerhin etwas, was andere etablierte Seiten bis heute nicht so richtig hinbekommen. Die Gefahr, dass die "Netzeitung" die kleine Edition als billige Content Schleuder missbraucht und den eh schon an seine finanziellen Grenzen ächzenden freien Journalismus noch mehr unter Druck setzt, ist allerdings durchaus gegeben.
Die Blogger, die auf ihren eigenen Seiten schon journalistisch arbeiten berührt das herzlich wenig. A-List Blogger sind zwar eingeladen mitzumachen, aber man erwartet nicht, dass von deren Seite etwas kommt. Eher setzt man auf die Blogs, die gerne mehr Leser hätten, aber nicht wissen, wie sie das bewerkstelligen sollen und die "Readers Edition" als Werbeplattform nutzen. Auf lange Sicht erwartet man wahrscheinlich eine funktionierende Community, die man vielleicht in Zukunft damit reizt, in dem man einmal pro Woche einen Artikel von der Edition auf die Hauptseite hievt.
Auf der anderen Seite könnte die "Readers Edition" auch für etablierte Blogger interessant sein. Sind sie auf ein interessantes Thema gestoßen, können sie den Artikel zusätzlich auch dort veröffentlichen. Das könnte, voraus gesetzt, die Edition hat vernünftige Zugriffszahlen, dazu führen, dass bestimmte Themen nicht mehr nur in der relativ kleinen Blogsphäre verbleiben, sondern schneller einen Weg an eine breite Öffentlichkeit finden. Interessant ist das Projekt also allemal, auch wenn es schöner wäre, würden die Autoren und Moderatoren ein paar Euro für ihre Mühen erhalten.