Freitag, 27. April 2018

China

Ich habe Respekt vor der über 3500 Jahre alten Geschichte Chinas, die mit großen technischen und soziologischen Entdeckungen verbunden ist. Ich habe ebenso großen Respekt vor der Leistung Chinas in den letzten Jahren, vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Vor 35 Jahren war China noch ein maoistischer-kommunistischer Staat ohne jede Wirtschaftskraft, heute haben es die Chinesen geschafft, fast überall die Nummer Eins zu sein. Gleichzeitig gibt es etliches an China, das im völligen Gegensatz zu den Dingen steht, die mir wichtig sind.

Ich war in den letzten acht Jahren fünf Mal in China, drei Mal in Shanghai, zwei Mal in Peking. Vor allem Shanghai hat mich immer wieder fasziniert. Die ehemalige Wirtschaftssonderzone war dem Rest des Landes schon immer einen Schritt voraus. Auf der anderen Seite kann man in Peking besser erkennen, wie das Land eigentlich funktioniert.

Nach Außen hin gibt sich Peking offen, geradezu kapitalistisch ohne die eigenen historischen Wurzeln zu verleugnen. Peking wirkt wie jede andere westliche Großstadt. Die Einreise, wenn man die knapp sechswöchige Prüfung und Wartezeit auf das Journalistenvisum überstanden hat, ist auch nicht schlimmer, als in manch andere Staaten. Danach erwartet einen dieser kapitalistisch-asiatischer Mix. Westliche Marken sind in Peking an jeder Ecke zur finden. Egal, ob Gucci, Adidas, Starbucks oder McDonalds. Sicherheitskräfte sieht man selbst in Peking in den Einkaufszonen oder auf den wirklich ständig verstopften Strassen kaum oder selten. Vor allem junge Chinesen haben den westlichen Lebensstil nach außen hin komplett absorbiert. Je teurer, desto besser.

Dass das Internet in China ein in sich geschlossenes System ist, kennt man ja. Google, Facebook und deren Angebote gibt es in China nicht. Die Entscheidung des Staates, diese Unternehmen in China nicht zuzulassen und viele westliche Nachrichtenseiten zu sperren, ist bekannt. Aber dabei ging es nicht nur um das Thema Meinungsfreiheit und die Angst vor zu großer Einflussnahme des Westens über diese Unternehmen. Gleichzeitig war es ein Akt des Protektionismus, der dazu geführt hat, dass Unternehmen wie Baidu, Alibaba oder Tencent mittlerweile teilweise größer und umsatzstärker sind, als die westlichen Pendants.

Der Grad und die Geschwindigkeit der Digitalisierung in China ist atemberaubend. Allein das Programm „WeChat“ dient als gutes Beispiel. Es ist eine Art zentraler Hub für das gesamte On- wie Offline Leben. Zum einen ist ein Chat, zum anderen aber auch einer wichtigsten Verbreitungswege für journalistische Inhalte. Auf der Autoshow kam ich kurz mit einem chinesischen Autojournalisten in Kontakt. Der berichtete mir, dass sein Magazin die Artikel einzig über WeChat pusht. Andere Kanäle würden keinen Sinn machen.

Gleichzeitig ist integrierte Bezahlfunktion von WeChat ist ein zentraler Bestandteil für das gesamte Leben. Man kann wirklich alles damit bezahlen. Egal ob eine Flasche Wasser für 10 Cent, das Auto oder die Stromrechnung. Fliegende Händler nehmen teilweise gar kein Bargeld oder westliche Kreditkarten mehr an. Wer etwas haben will, scannt den QR-Code, bestätigt den Kauf und das war es schon. Wirklich jeder bezahlt damit überall.

Also alles schick in China? Nicht so ganz. Das äußere Erscheinungsbild ist eine Sache. Dass China kein freier Staat ist, eine andere. Man merkt es im Alltag als Ausländer in China. Offene Gespräche über gewisse Themen führt man weder im Taxi, im Hotel oder in einem Restaurant. Die Angst, dass jemand mithört, ist allgegenwärtig. Meine Frage an den Manager eines großen deutschen Herstellers, ob die nachwachsende, mit westlichen Werten sich umgebende Jugend denn auch staatskritischer sei, wollte der Mann im Auto nicht beantworten. Wenn er etwas dazu sagen würde, könnte das Auswirkungen auf sein Visum haben, meinte er. Die Chinesen werfen einen nicht mehr direkt raus, sie verlängern dann halt das Aufenthaltsvisum beim nächsten Mal nicht mehr. Es wäre übertrieben zu sagen, dass ein Klima der Angst herrscht, aber man bewegt sich in manchen Bereichen sehr, sehr vorsichtig. Ein ungewohntes und mehr als unangenehmes Gefühl.

Das nach außen sich offen gebende China hat eine dünne Firniss-Schicht unter der sich dann schnell etwas anderes finden lässt. Wie schnell man Probleme bekommen kann, habe ich diese Woche am eigenen Leib erfahren. Beim Securityscan am Flughafen meinte man ein Feuerzeug in meinem Rucksack im Scanner gesehen zu haben. Es ist verboten dieses fürchterlich gefährliche Werkzeug mit ins Flugzeug zu nehmen. Das Problem an der Sache: ich hatte kein Feuerzeug dabei, dass hatte ich vorher schon entsorgt. Der Scanner zeigte aber angeblich eins.

Es entwickelte ein sich über 45 Minuten dauernder, fast kafkaesker Moment. Man leerte alles aus, taste mich mehrfach ab und scannte alles insgesamt sechs Mal. Da ich mich während der Prozedur mit einem Kollegen unterhielt, wurde der gleich mit einbezogen, wohl weil man vermutete, dass ich ihm heimlich mein Feuerzeug in quasi konterrevolutionärer Absicht gegeben haben könnte. Mehrere Vorgesetzte wurden hinzugezogen, die ihn und mich sehr nachdrücklich nach dem nicht vorhandenen Feuerzeug befragten. Als dann eine weitere, offensichtlich sehr, sehr wichtige Vorgesetzte geholte wurde, erledigte sich das Problem plötzlich innerhalb von zehn Sekunden. Dass der Kollege ein kleines Schweizer Taschenmesser an seinem Schlüsselbund hatte, interessierte im übrigen niemanden. So was stand halt nicht auf der Liste der verbotenen Gegenstände.

China ist eine wilde Mischung aus Staatskapitalismus, Zentralismus, Autorität, Militarismus, Oppression aber auch Freiheit in vielen Lebensbereichen, so lange man sich an die Regeln hält. Man liebt einen oberflächlichen, westlichen Lebensstil, aber der ist eben nicht allein Teil der Lebensphilosophie. Das ist für einen Europäer machmal schwer zu verstehen und man neigt zu vorschnellen Urteilen, weil das eigene Weltbild nicht passt. Dass aber es keine freie Presse gibt, das Kritik und Kritiker unterdrückt werden, dass das Internet kastriert ist, dies sind deutliche Zeiten dafür, dass die kulturellen Unterschiede und das Verständnis von Freiheit zwischen Europa und China noch sehr deutlich ausgeprägt sind.

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