Seit zwei Tagen lungert eine Meldung in meinem Browser Tabs rum aber leider bin ich bisher nicht dazu gekommen, mich damit zu beschäftigen. Ein wenig überrascht bin ich auch, dass sie bisher in keinem anderem Blog, das sich ich lese, aufgetaucht ist. Nun denn - es geht um diese Meldung aus der FR. Kurz zusammengefasst: die Bundesregierung, besser gesagt der Staatsminister für Kultur und Medien, Bernd Neumann, startet die Initiative "Nationale Initiative Printmedien", also eine Lobby der Printmedien. Grund? Im Artikel steht:
Sie rückt im Meer der diversen Projekte zur Vermittlung von Medienkompetenz die traditionelle Kulturtechnik des Lesens in das Zentrum der Aufmerksamkeit.
Weiter heißt es im Artikel
Neumann wird von den Verbänden der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger über die Gewerkschaften der Journalisten, den Deutschen Presserat bis hin zur Bundeszentrale für politische Bildung Akteure um sich scharen, die sich zum Teil schon seit Jahren gegen die wachsende Entfremdung der Jugend von Print stemmen.
Interessant - man ist also der Meinung, die Leute lesen nicht mehr. Kann natürlich keiner belegen, aber ich habe eher den Eindruck, dass die Leute deutlich mehr lesen. Während ich früher vielleicht mal eine Tageszeitung, die Zeit und den Spiegel in der Woche gelesen, bzw. durchgeblättert habe, lese ich heute jeden Tag Artikel auf Sponline, beim Stern, Standard, CNN und der Huffington Post, dazu die ganzen Blogs aus den Feeds und tatsächlich noch ab und an die "Freitag", ein paar Motorsport Magazine und sonstiges. Aber ich bin da wahrscheinlich als Journalist auch nicht so repräsentativ. Wage aber einzuwerfen, dass man im Netz ja eigentlich den ganzen Tag nichts anderes macht, als zu lesen. Meiner Meinung nach wurde noch nie soviel gelesen, wie im Moment.
Mag ja sein, dass die 15 bis 30jährigen keine Zeitung mehr lesen, vor allem keine Tageszeitungen. Man könnte sich ja auch mal Gedanken darüber machen, warum die Leute keine Zeitung mehr lesen. Weil sie "WoW" spielen? Sicher - mag sein. Möglicherweise liegt es aber auch daran, dass die Printausgaben mancher Zeitung besonders außerhalb der viereinhalb Großstädte in Deutschland einfach schnarchlangweilig sind und nur noch aus zusammengetackerten dpa Meldungen, Werbung und einem zusammengedampften Lokalteil bestehen. Welcher Jugendliche interessiert sich schon für eine Tageszeitung, mal abgesehen vom Sportteil? Und war das jemals anders?
Die "Entfremdung" vom Print hat viele Ursachen. Zum Beispiel, dass das Lesen von Artikeln per Netz einfach schneller und bequemer ist, als wenn ich mir eine ganze Zeitung kaufen. Zum Beispiel, dass die Inhalte im Netz außerhalb der etablierten Medien oft schneller, genauer, inhaltsreicher und spannender daher kommen. Zum Beispiel, dass Zeitungen dank mancher Verlagsleitung so belanglos, uninteressant und Meinungsleer sind, dass man sich nach der Lektüre fragt, warum man das Geld überhaupt in ein Abo investiert? Dabei ist das Problem ja nicht mal, dass es nicht genügend gäbe, worüber es sich zu schreiben lohnt. Das Dekolleté der Kanzlerin ist im Moment zumindest das Letzte was mich in Sachen Politik interessiert.
Die Gründung einer "Nationale Initiative Printmedien" macht das Elend der deutschen Printmedien und auch der deutschen Politik im Umgang mit dem Internet nur allzu deutlich. Man spürt, dass sich etwas ändert, man merkt, dass etwas passiert, was man nicht versteht, also gründet man einen Verein. Die Verlage bewegen sich auf einen Abgrund zu, vor dem die Musikindustrie gerade steht. Man denkt wenig darüber nach, wie man neue gewinnbringende Vertriebswege im Netz etablieren kann, sondern klammert sich lieber ans Bewährte. Man stockt nicht die Redaktionen auf (insbesondere die Lokalredaktionen), sondern schrumpft sie weiter zusammen, weil am Ende des Jahres die Bilanz stimmen musss. Das der rigide Schwenk zu immer mehr Wirtschaftlichkeit der letzten 20 Jahre auch die inhaltliche Qualität vieler Printerzeugnisse gen Null getrieben hat, wird gerne und oft ignoriert. Das die Leser, auch die ab 40, massenweise ins Netz immigrieren ist eine Tatsache. Die Verlagswirtschaft und die Bundesregierung scheinen aber zu glauben, dass es Schuld der Leser sei, die den alten Medien untreu werden. Ganz so wie die Musikwirtschaft glaubt, die Käufer seinen einfach nicht dankbar genug. Mit Initiativen bewirkt man nichts, wenn die Inhalte nicht stimmen.