Samstag, 10. November 2007

Es ist eigentlich ganz einfach. 366 Abgeordnete (pdf), die man nicht mehr wählen muss.

Dummerweise ist es nicht ganz so einfach, denn die Parteien haben sich ein hübsches System einfallen lassen, um die demokratischen Wahlen zu unterlaufen. Das nennt sich "Parteiliste". Dort wird die Liste der Kandidaten festgelegt, die auch dann in den Bundestag einziehen, wenn sie nicht direkt gewählt werden, weil sie ihren Wahlkreis verlieren. Passt jemand nicht ins Kalkül der Partei, zum Beispiel weil ein Abgeordneter mal keine Lust auf den Fraktionszwang gehabt hat, steht es der Partei bei der Festlegung der Liste für die nächste Wahl frei, den Kollegen etwas weiter nach unten zu setzen. Das machen alle Parteien gerne, auch die "Grünen". Die Berliner Abteilung der Partei wollte mal Hans-Christian Ströbele nicht so richtig auf der Liste haben (weiter unten im Text) und wählte stattdessen einen anderen Kandidaten.

Allerdings gewann Ströbele das Direktmandat in seinem Wahlkreis und konnte die Landes/Parteiliste so umgehen. Doch das Glück und die Fähigkeiten hat halt nicht jeder Abgeordneter, was offenbar in manchen Parteien ja durchaus gewünscht ist. Selbst wenn also ein Kandidat in einem Wahlkreis nicht gewählt wurde, zum Beispiel weil die Bevölkerung des Wahlkreises festgestellt hat, dass er ein speichelleckender Opportunist ist, bedeutet das noch lange nicht, dass der Kandidat nicht in den Bundestag kommt. Er muss halt nur weit genug oben auf der Landes/Parteiliste stehen. Das ist ein hübsches Belohnungssystem, das noch weiter aufgefächert wird, in dem man festlegt, wie man wichtige Positionen in Ausschüssen etc. festlegt. Man muss entweder sehr begabt und Fraktionstreu oder eben einfach nur brav bei jeder Wahl mitstimmen, und schon steigen die Chancen, dass man auch beim nächsten Mal wieder einen schönen Listenplatz bekommt.

Natürlich kann man einen Abgeordneten nicht zwingen für oder gegen etwas zu stimmen. Fraktionszwang hin oder her, die Abgeordneten werden ja keiner Gehirnwäsche unterzogen. Damit aber keiner aus der Reihe tanzt gibt es die namentliche Abstimmung. Wie im heutigen Fall. Denn so können die Fraktionen sehen, wer denn sein Gewissen vor den Franktionszwang gestellt hat, was für die Erstellung einer Landes/Parteiliste sehr hilfreich sein kann. Solche namentlichen Abstimmungen gibt es gerne, wenn strittige Themen zur Wahl stehen, weil man auf die Weise hofft, die Menge der "Abweichler" reduzieren zu können. Offene Revolten gegen Fraktions- oder Vorstandbeschlüsse sind dementsprechend selten in der Geschichte des Parlaments. Was auch daran liegt, dass die Abgeordneten meist "Berufspolitiker" sind. Fallen sie bei einer Wahl durch und haben keinen sicheren Platz auf einer der Listen, haben sie meist auch keinen Beruf mehr. Die finanzielle Komponente sollte man also nicht unterschätzen.

Der Wähler kann das System der nur dann aushebeln, wenn er einer Partei bzw. bestimmten Kandidaten entsprechend viele Direktmandate erteilt. Was theoretisch und auch praktisch funktioniert. 2002 saßen drei zwei PDS Abgeordnete im Parlament, die nur auf Grund ihrer Direktmandate reingekommen waren. Das ginge also in jedem Wahlkreis, in dem ein Kandidat von einer zur Wahl zugelassenen Partei die bisher nicht im Bundestag sitzt für einen Abgeordnetenplatz kandidiert.

Doch das ist mehr als unwahrscheinlich. Man kann sich aber die Frage stellen, wie man das Fraktionssystem aushebeln könnte. Dazu müsste man die Abhängigkeiten der einzelnen Abgeordneten von der Partei lösen. Und wie man das machen soll, weiß keiner.

Bedauerlich ist, dass der "Souverän", wie der Bürger ja gerne genannt wird, nach einer parlamentarischen Abstimmung keine Chance mehr hat, ein Gesetz zu verändern oder abzuschaffen. Dazu muss er den Weg über das Verfassungsgericht gehen, was eine ellenlange Prozedur ist. Und nicht jede Klage, die vor dem Verfassunsgericht landet, wird auch von diesem angenommen. Ist das Gesetz also durch, hat man als Bürger nur die Chance bei der nächsten Wahl explizit die Partei zu wählen, die verspricht (darauf muss man sich auch noch verlassen) das in Frage kommende Gesetz zu verändern. Da wir aber praktisch (noch) ein Zwei-Parteien-System haben, und diese sich programmatisch nur noch minimal unterscheiden, sind die Chancen, dass ein einmal beschlossenes Gesetz wieder rückgänig gemacht wird, äußerst gering. Beispiele hierfür gibt viele, und sie reichen zurück bis zur "Wiederbewaffnungsfrage" 1955.

Eine Variante, dass Parteiensystem auszuhebeln und eine "Volksmeinung" rechtlich bindend zu machen, wäre die Einführung eines Plebiszit, das aber nicht unumstritten ist, weil es auch dazu führen kann, dass nur der eine Volksbefragung gewinnt, der am meisten Geld in die Werbung für seine Argumente steckt, bzw. die meisten Medien auf seiner Seite hat. Und wer will schon eine Demokratie made by "Bild", "Express" oder "tz".

Nachtrag 09.11.07: Aus den Kommentaren gefischt. Ein Bericht aus dem SZ Magazin eines Abgeordneten, der das was ich da oben beschrieben habe, von seiner Seite aus schildert. Danke Chris.

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