Ich hatte ja noch überlegt: Fahr ich zu dieser Web 2.0 Expo, dieser Messe von Web 2.0 Guru Tim O' Reilly, der das Web 2.0 erfunden haben will, auch wenn Web 0.1 Alpha Erfinder Sir Timothy John Berners-Lee behauptet, das Web 2.0 Netz sei schon in seiner Version integriert gewesen? Man wollte etwas mehr als 1000 Euro Eintritt, allerdings gab es auch Akkredetierungen für Blogger und Journalisten für umsonst. Dennoch konnte ich mich nicht entschließen meinen Hintern in meinem Daihatsu nach Berlin-West zur Messe zu bewegen. Das hat was mit Faulheit zu tun, klar. Aber auch damit, dass ich in diesem Jahr schon auf so vielen Messen/Konferenzen gewesen bin, dass irgendwann auch mal reicht. Zudem sagten mir die meisten Namen auf den Panel-Listen auch kaum etwas. Warum also extra nach Berlin-West fahren, wo man sich immer ein wenig vorkommt, als hätte man einen schlechtsitzenden, dunkelgrünen Cord Anzug an, um Menschen zuzuhören, die man nicht kennt?
Wenn ich so die Berichterstattung in den Blogs, zum Beispiel bei Herrn Knüwer <a href=blog.handelsblatt.de">lese bin ich ja sehr beruhigt, dass ich nicht da war. Und das wird auch für die LeWeb 3 '07 gelten. Selbst wenn ich umsonst da reinkommen würde, wüsste ich absolut nicht, was ich da soll. Die Lister der Sprecher besteht zum einem nicht unerheblichen Teil aus Menschen, deren Namen ich noch nie gehört habe. Was auch nicht weiter verwunderlich ist, denn diese Menschen arbeiten in Branchen mit denen ich auch noch nie was zu tun haben wollte. Die Konferenzen sind mehr oder weniger langweilig, bietet nur noch selten wirklich Neues und drehen sich darum, wie man aus Web 2.0 Geld machen kann. Ein schönes Beispiel dafür, wo der Begriff Web 2.0 gelandet ist folgendes Panel: 10h45 - 11h00. Evolving innovation. Dave Winer in conversation with Loic Le Meur. Ganze 15 Minuten auf einer zweitägigen Konferenz hat RSS Pionier Dave Winer um sich vom Le Meur ein paar Fragen stellen zu lassen. Jenem Le Meur, der letzes Jahr unter massiven Protesten der Webgemeinde die letzte Ausgabe der LeWeb 3 für einen unangekündigten Besuch des damaligen französischen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy genutzt hatte. Le Meur war/ist Berater im Team von Sarkozy für Internet PR. Seine Arbeit scheint gut angekommen zu sein, denn wie Le Meur (der mittlerweile in San Francisco lebt) in den letzten 24 Stunden per Twitter nicht müde wurde zu verlautbaren, war er zum Dinner beim ersten offiziellen Staatsbesuch des französichen Präsidenten in den USA im Weißen Haus eingeladen. Und erlebte ein paar Überraschungen (French minister of economy Christine Lagarde just kissed me oops [Twitter]).
Ich hab Loic vor ein paar Jahren mal in Berlin bei irgendeiner Präsentation gesehen und mich auch mit ihm unterhalten. Ein wirklich netter Mensch, der sich auf eine angenehme Art und Weise sehr begeistern kann und dem man die Begeisterung für neue Möglichkeiten und Technologien auch abnimmt. Aber sein Engagement für Sarkozy sagt eigentlich schon alles über das, was "Web 2.0" mittlerweile ist.
Ich glaube, dass der Begriff (nicht der Inhalt) Web 2.0 ebenso mausetot ist, wie es die Begriffe "New Media" und "dot com" ca. Ende 2001 waren. Web 2.0 war mal eine Idee, mittels Open Source und Schwarmintelligenz ein komplett neues Medium zu schaffen. Sehr viele "social" Applikationen machten das Internet zu dem, was die Medien gerne etwas linkisch mit "Mit-Mach-Web" umschreiben. Was so klingt, als würde man versuchen einen Seniorenabend im Pfarrhaus zu bewerben und zeigt, wieviel die Medien von der ganzen Sache verstehen.
Web 2.0 hat fast alle Firmen komplett überrascht. Die Musik- und die Verlagsbranche waren nur zwei Bereiche, die sich plötzlich massiv unter Druck sahen und immer noch sehen. Während die Musikbranche lieber ihre Kunden kriminalisierte und sich somit ihr eigenes Grab schaufelte, ist man in den Verlagen schlauer gewesen und hat sich die Geschichte erst einmal angeschaut. Es gab viele Versuche, die von vorn herein zum Scheitern verurteilt waren (Hallo, Holtzbrinck Verlag) und man hat sich lange gefragt, warum die Verlage eigentlich nicht jemanden für ihre Onlineaktivitäten holen, der sich damit auskennt. Die zwei besten Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man jemanden mit Online-Kompetenz holt, sind der Online Auftritt des "Tagesspiegels" durch Mercedes Bunz und die neue Plattform "DerWesten" der WAZ durch Katharina Borchert. Vor allem "DerWesten" hat eine unedliche Anzahl an Web 2.0 Applikationen auf der Seite, und soweit ich weiß, werden das nicht die letzten sein, die man einführen will.
Inhaltlich gesehen hat sich das Internet aber sowieso schon vom Web 2.0 hin zum "mobile web" entwickelt. Dienste wie "Twitter", "Jaiku" oder "Pownce" sind erst der Anfang einer ähnlichen Revolution, wie sie das Usenet in den 90ern und die Blogs seit 2000 losgelöst haben. Wenn das Google Handy kommt, wird der Dienst "Jaiku" vermutlich im Telefon integriert sein (Google hat den Laden noch in der Betaphase gekauft) und social networking nebst Microblogging werden es richtig los gehen. Und wenn denn in ein bis zwei Jahren die UMTS Verbindungen einigermaßen flächendeckend sind und mit der Internet/Telefonflat kostengünstig abgedeckt sind, wird das Netz sowieso seine dritte Revolution erleben. Dafür braucht man aber eine Expo und keine Le Web3 mehr, sondern kleine, dichte Konferenzen und Tagungen wie die von der ZKM in Karlsruhe organisierte "Ich, Wir & Die Anderen".* Wenn man sich zum Beispiel den Abschlussvortrag von Prof. Weibel (Bio) anhört(ganz unten), bekommt man eine Ahnung, welches Potential im Netz und dem social networking steckt.
*Ja, im mp3 hört man mich, denn ich hab die Konferenz im September moderiert.