Montag, 4. Juni 2007

Sehr interessanter Artikel im Standard

"Die Herausforderung an professionelle Journalisten heutzutage ist nicht mehr, zuzuhören, sondern Bloggern beim Sprechen zu helfen", erklärte der britische Journalist und Web 2.0-Experte Paul Bradshaw in seinem Vortrag "Blogs and Journalism" anlässlich des 8. Wiener Globalisierungssymposiums am Donnerstag in Wien. Der Ausspruch, dass Journalisten einen ersten Entwurf der Geschichte verfassten, habe keine Gültigkeit mehr, so Bradshaw.

Aber: auch Bradshaw redet im Kern davon, dass "die Blogger" "den Journalismus" lernen müssen/sollten. Im Grunde ist es weiterhin die Diskussion, ob man Subjeltivität oder Objektivität in einem Artikel lesen will. Ich setze mich mit meinem Einsatz für Subjektivität gerne hier und da mal in die Nesseln. Ich bin weiterhin der Meinung, dass man eine subjektive Meinung in einem von einem Redakteur verfassten Artikel (nicht einer umgeschriebenen dpa Meldung) durchaus lesen sollte. Der Anspruch immer objektiv (unabhängig) sein zu wollen, ist ein performativer Widerspruch analog zu "Ich lüge immer." Man kann nicht niemals wirklich unabhängig und objektiv sein, was schon damit anfängt, dass man Meldungen kürzt oder erst gar nicht bringt.

Es gibt viele, die sagen, dass die Objektivität eines Artikels oder einer Zeitung wichtig sei, da sich durch die Politik eines Chefredakteurs und/oder eines Verlages eine politische Richtung schon heraus bilden würde. Das stimmt, wenn man sich das Spektrum der Zeitungen von der taz bis zur Bild anschaut. Doch in den meisten regionalen Tageszeitungen findet die Objektivität nur noch auf lokalen Sportseiten statt. Den Rest der Zeitung füllen dpa und PR Meldungen. Von einer selbst herbei geführten Objektivität kann da keine Rede mehr sein.

Im Grunde machen Blogs das, was früher eine gutbestückte Redaktion leisten konnte. Unterschiedliche Individuen mit einer Begabung fürs Schreiben werden ohne Beschränkung von der Leine gelassen und kommen Tage später mit leicht verquollen Augen und guten Geschichten wieder. Tatsächlich lesen sich meine RSS Feeds morgens wie eine Zeitung. Herr Knüwer schreibt über die Wirtschaft (und zwar so, dass man es verstehen kann), Udo Vetter übers Rechtssystem, dlisted über den neusten Klatsch, dogfood über Sport, das Hauptstadtblog über lokales usw. usf. Das tun alle sehr subjektiv, aber ich gebe mein Hirn ja nicht ab, wenn ich meinen Feedreader lese.

Und das sollte man auch nicht, wenn man die Zeitung liest. Zeitungen sollten Widerspruch auslösen, sollten zum Nachdenken anregen. Die Zeiten, in denen Zeitungen nur dazu da waren, die Menschen über das zu informieren, was in den letzten Tagen sonstwo passiert ist, sind angesicht von dutzenden von Nachrichtensendern und dem Internet vorbei. Und zwar endgültig. Das die meisten Zeitungen Leser verlieren, hat nicht (nur) damit zu tun, dass ihnen die Leser ins Netz abwandern, sondern damit, dass in ihnen nichts mehr steht, was einen interessieren oder aufregen könnte.

So sehr Blogs durchaus vom klassischen Journalismus was lernen können, so sehr sollte der Journalismus sich überlegen, wo er die nächsten Jahre noch hin will.

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