Kurze Zusammenfassung: Beim US Bookmarksammeldienst digg.com, gab es in den letzten Tagen massiv Ärger. Ein User hatte einen Code gepostet, mit dem man den Kopierschutz von HD-DVDs angeblich knacken kann. Daraufhin nahmen die Betreiber der Seite die Meldung runter, zu mal sie rechtlichen Ärger befürchten. Eine Vielzahl von Usern postet darauf den Code wieder und wieder, mokierte sich über Zensur und löste eine kleine Revolution aus. Am Ende gaben die digg.com Betreiber nach und harren jetzt der (rechtlichen) Dinge, die da eventuell kommen.
Ich sehe das gar nicht so negativ wie es bei Johnny anklingt. Dass sich die User bei digg.com durchgesetzt haben, ist eine interessante Geschichte. Zum einen hätte digg.com die Geschichte auch aussitzen können. Sie sind mittlerweile groß genug, dass sie einen kleinen Sturm aushalten könnten. Man hätte vielleicht etwas Schlagseite bekommen, aber verschwunden wäre man deswegen noch lange nicht. In ein paar Wochen wäre die Sache vergessen gewesen.
Man kennt das Spiel aus Foren und dem Usenet. Informationen, mit welchen Programmen oder Tricks man einen Kopierschutz umgehen kann, kursieren dort schon länger. Doch während solche "Hacker" Foren schwer zu finden sind und meist eine Zugangsbeschränkung haben oder vermeintliche Infos mit Trojanern geliefert werden, ist nun zum ersten Mal auf einer bekannten und offenen Plattform eine solche Information aufgetaucht. Und sie ist nicht gelöscht worden. Wenn man es ein wenig historisch überhöht darstellen möchte, dann hat das Volk gegen die Industrie einen Sieg geholt. Keinen großen, keinen wichtigen, aber einen Interessanten. Die Schwarmintelligenz hat es möglich gemacht.
Nun sind Massenbewegungen auch immer etwas mit Vorsicht zu genießen. Ich bin kein Freund großer Menschenmassen, sie machen mir meist Angst, weil eine zunächst vielleicht sinnvolle Massenbewegung gern auch mal ins Hysterische umschlägt. Zudem sind Massen leicht zu manipulieren, dass kennen wir ja hier aus erster Hand. Eine interessante Frage ist aber, ob die Schwarmintelligenz des Netzes eine Masse darstellt, oder nur eine Ansammlung von Individuen, die zufälligerweise in einem Moment das gleiche Rechts/Unrechtsverständnis haben.
Mein Massenverständnis, und wahrscheinlich das der meisten Menschen, steckt noch irgendwo in den 60er/70er/80ern fest. Man erreicht nur etwas "gegen die da oben", wenn man sich solidarisiert, an die Hand nimmt und auf die Straße geht. Möglichst noch mit einem Bettlaken, auf dem was Sinnvolles steht. Demonstrationen rochen in den 60ern noch nach Revolution, in den 70ern waren sie schon demokratischer Alltag. Oder anders ausgedrückt: Der Staat hatte erkannt, dass von einer Demo prinzipiell keine Gefahr ausgeht. Dementsprechend werden Demos vom Staat und der Wirtschaft ignoriert. Der Protest von Millionen von Menschen konnte weder den NATO Doppelbeschluss noch Hartz IV verhindern.
Im Netz passiert was anderes. Niemand verabredet sich, keiner schreibt Flugblätter, aber es finden sich in Windeseile hunderte, wenn nicht tausende von Menschen, die mit der ihnen zur Verfügung stehenden minimalen Meinungsmacht in wenigen Stunden ein Thema so aufbauschen können, dass es für Firmen eng werden kann. Das konnte man ja selbst im deutschen Blogdorf schon mehrfach erleben. Doch diese Form der politischen oder gesellschaftlichen Meinungsäußerung ist neu. Sie formiert sich unsichtbar, sie kann nicht gefilmt werden, man muss keine Genehmigungen einholen und kann nicht von der Polizei kontrolliert werden.
Diese Form der "Masse" ist neu und, so weit ich weiß, wenig bis gar nicht erforscht. Es ist keine Masse im klassischen Sinn, denn würde man versuchen, auch nur einen Teil derjenigen, die Mails an digg.com geschickt haben zu einem klassischen Protest auf der Straße vor deren Zentrale zu bewegen - kaum einer würde kommen. Ein wenig scheint diese Masse wie ein Flashmob zu funktionieren. Man taucht blitzartig auf, macht einen Heidenlärm und verschwindet ebenso schnell wieder.
Ich finde das spannend, weil sich eine völlig neue Form des Protests zu formieren scheint. So etwas hat es in der Geschichte der Menschheit in der Form noch nicht gegeben und es wird interessant sein, wie man in Zukunft versuchen wird, den Informationsfluss zu steuern. Denn je mehr Menschen ungehinderten Zugang zu Informationen haben werden, desto mehr Informationen werden verfügbar sein. Je mehr davon verfügbar sind, desto schwerer wird es werden Gesetze, die die Freiheits- und Bürgerrechte beschneiden, en passant mal so eben durchzuwinken. Das konnte man in den letzten Monaten auch in Deutschland ansatzweise bei den geplanten Überwachungsgesetzen beobachten. Weniger demokratische Länder sind sich des Dilemmas, dass ihnen das Internet beschert bewusst, und versuchen den Zugang zu Informationen zu beschränken. Während auf der eine Seite in China zehntausende von Menschen täglich das Netz nach nicht genehmen Informationen durchforsten und bestimmte Seite sperren, arbeiten mindestens genauso viele Menschen daran, diese Infos auf einem anderen Weg wieder verfügbar zu machen.
Die Sache bei digg.com ist im Grunde unwichtig, aber die Bewegung, die dahinter steckt, ist es nicht und mit den bisherigen Definitionen von "Volks-" oder "Massenbewegung" kommt man da nicht weiter.