Mittwoch, 7. März 2007

Vor ein paar Tagen wurde ich auf eine Abmahnung aufmerksam, die das Blog Jeriko One erreicht hatte. Jeriko hatte ein Stück vom noch zu erscheinenden neuen Album der Band "Nine Inch Nails" auf seiner gepostet und war darauf hin von einem in diesem Zusammenhang bekannten Rechtsanwalt aus Hamburg abgemahnt worden. Soweit, so o. k. Wer immer noch mp3s in sein Blog reinstellt, der muss eben mit so etwas rechnen. Doch die Sache hat einen gewaltigen Haken, denn das mp3 ist ein Teil einer viralen Kampagne, die von Trent Reznor und vermutlich dem dahinter stehenden Label, Universal Music, lanciert wurde. Mit anderen Worten: Jeriko ist dafür abgemahnt worden, weil er eine virale Kampagne unterstützt hat. Die Sache ist allerdings höchst kompliziert.

Die Band "Nine Inch Nails", nur so zur Info für die Leute, die sich da nicht so gut auskennen, besteht seit 1988 und hat eigentlich nur ein festes Mitglied: Trent Reznor. Der wiederum hat, würden manche Menschen sagen, einen sehr interessanten Dachschaden, den zu erklären hier der Platz fehlt. Nur soviel: die Reha nach jahrelangem Drogenmissbrauch hat gut angeschlagen. Wer mehr über ihn erfahren möchte, möge kurz hier weiterlesen. Reznor hatte schon immer einen Faible für verworrene Szenarien und Geheimniskrämerei und da eignet sich das Medium Internet ja ganz hervorragend für. Besonders, wenn man ein neues Album bewerben will.

Zum Internetauftritt der Band gehört ein Fan Forum namens "The Spiral" in das man nur reinkommt, wenn man Eintritt zahlt. In diesem Forum schreibt Trent Reznor angeblich selber mit, und laut Aussagen verschiedener User die ich zusammen googeln konnte, war es auch Reznor selber, der vor einigen Wochen anfing, einzelne Stücke aus dem neuen Album "Year Zero" in seinem Forum zu leaken. Gleichzeitig passierte aber noch etwas anderes: laut diverser Berichte in verschiedenen Foren, fanden sich während einiger Konzerte der Band in Spanien auf den Toiletten "zufällig" USB Sticks, auf denen ebenfalls verschiedene Tracks des neuen Albums zu hören waren. Gleichzeitig trat irgendjemand (entweder Reznor alleine, oder zusammen mit seinem Label, das lässt sich nicht feststellen) eine gewaltige, höchst verwirrende Kampagne im Netz los. User und Fans wurde auf eine Art Schnitzeljagd über diverse Webseiten geschickt, auf denen sich weitere Hinweise zum Konzept und zur Musik der Band befanden. Wer Lust und Zeit hat, sich auf die Reise zu begeben - das Freiburger Magazin "Fudder" hat eine ausführliche Story mit vielen Links zu diesem Thema. (Danke Caro)

Im Endeffekt läuft es aber vermutlich darauf hinaus, das Reznor und seine Plattenfirma offenbar gezielt Informationen über das neue Album ins Netz streuen. Dazu gehören auch die Tracks, die mittlerweile in Foren, Tauschbörsen und Blogs kursieren. Ich sehe wenig andere Möglichkeiten, wie diese Stücke ins Netz gekommen sind. Zum einen gab vor ein paar Wochen für das Album noch kein offizielles Tracklisting, zum anderen sind bei Universal bis zum heutigen Tag in der Journalistendatenbank keine Stücke des neuen Albums hörbar. Ob Vorabexemplare des neuen Albums verschickt wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Chance, dass ein Journalist genau die Stücke ins Netz geleakt hat, die gerade die Runde machen, würde ich aber mal als äußerst gering einstufen.

Bleibt am Ende noch die in den letzten Wochen oft gestellte Frage, ob Universal Deutschland überhaupt von der Aktion gewusst hat. Offiziell äußert sich Universal nicht. Telefonische Nachfragen werden mit der Bitte um schriftliche Kontaktaufnahme abgewiesen, auf die schriftlichen Fragen über das Kontaktformular der internen Journalistenlounge habe ich bisher keine Antwort erhalten. (Was – am Rande bemerkt – offenbar ein neuer Umgang mit Journalisten ist. Will man sich zur "Echo" Verleihung akkreditieren, muss man wohl vorher unterschreiben, dass man in seiner Berichterstattung auch immer schön den Namen des übertragenden Medienpartners erwähnt. Das hab nicht nur ich so zu hören bekommen)

Dass Ganze ist - gelinde gesagt - eine Sauerei. Selbst wenn die Firma Universal Music nichts von dem weiß, was ihr Künstler so an Werbemaßnahmen treibt, so haben sie doch spätestens mit der vermutlich in ihrem Auftrag erfolgten Abmahnung an den Blogger Jeriko davon Kenntnis erhalten müssen. Da ich ja nun selber ein paar Jahre in der Branche unterwegs war, lehne ich mich mal aus Fenster und sage: Das gibt es nicht, dass eine Plattenfirma vor dem Start eines neuen Albums nicht weiß, was der eigenen Künstler treibt. Schon gar nicht, wenn es sich um eine derartig komplexe Kampagne handelt, wie in diesem Fall.

Jeriko hat die Abmahnung mittlerweile akzeptiert, auch weil ihm nichts anderes übrig geblieben ist. Würde man sehr böse denken, könnte man vermuten, dass die Universal Music und die Band diese Abmahnungen als werbewirksame Kollateralschäden mit eingeplant hat, aber das wäre nur eine bösartige Unterstellung. Dass man auf eine solche Idee kommt, hat aber vielleicht auch etwas damit zu tun, dass sich die Musikindustrie in den letzten Jahren zu einer Art Urheberrechts-Mafia entwickelt hat, die ihre Pfründe um jeden Preis schützen will. Dazu gehört das Rechtsmittel der Abmahnung, dazu gehören wohl auch vermutlich nicht korrekte Angaben über den Schaden, der durch illegale Downloads entsteht. Eine Studie(nur gegen Kostenpflichtigen Login), die es <a href=arstechnica.com">hier kurz zusammengefasst gibt, hat festgestellt, dass die von der RIAA und anderen Verbänden veröffentlichten Zahlen, offenbar hinten und vorne nicht stimmen. Gleichzeitig weist man der Industrie massive Managementfehler in den letzten Jahren nach. Man zeigt aber auch auf, dass die Verluste der Musikindustrie damit zu tun haben, dass in den letzten 10 Jahren auch andere Interessen das Taschengeld der Jugendlichen auffressen. Dazu gehört das Handy mit seinen Klingeltönen und Spielen, dazu gehören Computer und die nicht unerheblichen Kosten für den Internetzugang, dazu gehören aber vor allem Spielekonsolen und die Spiele selber, die ein Vielfaches einer CD kosten. Die Gewinneinbrüche, die die Majors so gerne lautstark beklagen, gehen also bei weiten nicht nur zulasten der Tauschbörsen.

Das alles hilft dem Blogger Jeriko nicht mehr. Er hat, als Fan, in gutem Glauben an einer viralen Kampagne teilgenommen. Ein Musiker hat eine mp3 geleakt, die Plattenfirma hat angeblich von all dem nichts gewusst, distanziert sich aber auch nicht öffentlich von dieser Aktion. Am Ende bleibt ein Blogger auf der Strecke. Und ein weiterer Kunde. Und man kann nur hoffen, dass es nicht der letzte Kunde sein wird, der aufgrund derartiger Aktionen sein Konsumverhalten überdenkt, denn man wird das Gefühl nicht los, dass Teile der Musikindustrie höhnisch und mit großer Arroganz auf seine Käufer herab blickt. Die Mittel, mit man die CD Verkäufe nach oben treibt, scheinen mittlerweile völlig außer Kontrolle geraten zu sein.

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