Montag, 19. September 2005

So eben erreichte mich eine Abschrift von den Minuten vor einer Wahlsendung in einem mitteleuropäischen Land. Leider bin ich gezwungen, die Personen und das Land unkenntlich zu machen.

In einem Wahlstudio eines großen TV Senders kurz vor Sendebeginn:

Wahlverlierer I: Hahahahaahhaahahahahahahaha. HA! Berater von Wahlverlierer I: (hektisch am Telefon) Ich brauche ein Beruhigungsmittel, nein, nicht für mich, für ihn... Wahlverlierer II: schnüff Wahlverlierer I: singt nanananaaaheyheyheeey Isch bleib Kanzler. Wahlverlierer III: Also bitte, ähm, jetzt, ähm, müssen wir, ähm, also bitte, so geht das nicht, ähm, jetzt reissen sie sich, ähm, doch, also bei der Steuer Wahlverlierer I: Die kleine Ostschrapnelle mach ich gleich fertig. Wahlgewinner I: summt: "It´s raining man" und macht kleine Tanzschritte Wahlnichtsoverlierer I: grummelt Wenn die alle wüssten, was ich alles gesehen habe, damals, als mich der Kofi beiseite nahm.... Wahlverlierer II: achachachachach Berater von Wahlverlierer I: (hektisch am zweiten Telefon) Ja, sag dem M****, dass geht nicht gut, ich brauch Valium Wahlverlierer I zu Wahlverlierer II: VERLOREN VERLOOOOOOOREN und Du hast noch nicht mal eine anständige Frisuuuuhhuuur Wahlverlierer II: pffff Moderator I: Also bitte! Wahlverlierer I: Du kleine TV Charge, dich wisch ich auch noch aus dem Amt Moderator: II: So geht das aber nicht! Wahlverlierer I: Boah, gib mir noch mehr von dem Zeug, dann brezel ich der gleich so eins über, dass sie heult Wahlverlierer III: Also, ähm, sie, ähm, sollten doch mal, Steuer, Steuerrabatte, ähm, so nicht. Wahlverlierer II zu Wahlverlierer III: Aber so ein bisschen hab ich doch gewonnen, oder? So ein ganz kleines bisschen? Wahlverlierer I: Gewonnen? Vielleicht wirste ja noch Titelgirl beim Kalender für Physiker im Ruhestand, du mickriges Spreewälder Gürkchen Moderator I: Also so geht das nicht Berater von Wahlverlierer I: (hektisch in irgendein Telefon) Ja, er hat sie Schrapnelle genannt, da ist was schief gelaufen.... Was, wieviel Flaschen Brunello? Ohgottohgottohgott Wahlverlierer I: rülpst leise Gewonnen, ohne misch geht nix. Nix, nix, nix, nix, nix. Ich bin Kanzler. Stimme aus dem Hintergrund: Noch 30 Sekunden Wahlverlierer III: Also, Steuern, das, ähm, also wir haben ein gutes Ergebnis. Moderator I: Sie sind noch nicht dran Wahlverlierer III: Ah, ähm... Wahlverlierer I zu Moderator II: Gib mir mal das Mikro, du schwarzer Weichpups Moderator: II: Also noch hab ich hier das sagen! Moderator I: Ach? Wahlgewinner I: denkt: Die schwitzen ja alle, pfui Berater von Wahlverlierer I: denkt Wenn ich nachher sage, dass er sich einfach so doll gefreut, dann müsste doch....Genau! Endorphine! Stimme aus dem Hintergrund: Noch 10 Sekunden Wahlverlierer III zu Wahlverlierer II: Ähm, gehts jetzt? Wahlverlierer II: Der darf aber nicht mit mir sprechen Wahlverlierer I: Mit dir red ich eh nicht, Du halbe Sättigungsbeilage, wosn der Brunello? Öffentlichtrechtlicher Sauhaufen, jetzt wird aufgeräumt, schab gewonnen. Moderator I: Bitte Ruhe! Stimme aus dem Hintergrund: Noch 5 Wahlverlierer I: Ruhe wirste haben, wenn Du auf 9Live demnächst Tittenspiele moderierst Moderator II: So nicht, ich nenn sie gleich Herr, Herr! Wahlnichtsoverlierer I: grummeltIch will nach Hause, muss den Kofi noch anrufen, stattdessen sitz ich hier mit diesen Möchtegernidioten, die wissen doch gar nicht, was ich alles gehört habe, als mich die Condi neulich... Wahlverlierer I: singtnanananaaaheyheyheeey Isch bleib Kanzler Moderator II: Kann einer den Herrn von der Linken wecken? Stimme aus dem Hintergrund: Noch 3 Wahlverlierer I zu Wahlverlierer II: Dir zieh ich jetzt deine welke Broilerhaut ab, hahahaha Wahlverlierer II zu Wahlverlierer III: Sag doch mal was Wahlverlierer III: Also, ähm, Herr... Stimme aus dem Hintergrund: Und bitte Moderator I: Guten Abend meine Damen und Herrn

Permalink

 


Das Problem mit diesem Ergebnis, ist nicht das Ergebnis einer einzelnen Partei. Es ist ein Problem aller Parteien und der Art und Weise, wie man in den letzten 20 Jahren mit dem Wähler umgegangen ist. Das Vertuschen, Lügen und Verwischen von Wahrheiten, angefangen bei der Rentenlüge bis hin zu den hilflosen Versuchen die Krankenkassenbeiträge im Zehntelprozentbereich zu senken hat bei vielen Wählern wohl eins klar gemacht: Egal, was man wählt, man bekommt man Ende nie das, was einem am Anfang versprochen wurde. Diese Wahl verdeutlicht das Problem sogar noch, weil es aufzeigt, dass die Kluft zwischen denen, die was ändern wollen, aber nicht wissen wie, und denen, die lieber erst mal schauen wollen, bevor man eventuell noch mal was verändert, größer den je ist. Die Unsicherheit wächst aber in beiden Lagern, da man spürt, dass man Antworten auf drängende Fragen braucht, aber nicht weiß, wo und wie man sie suchen soll.

Ob eine große Koalition eine Lösung ist? Ich glaube nicht. Die große Koalition unter Kiesinger/Brandt wird gerne als „doch eigentlich gar nicht so unerfolgreich“ bezeichnet, und so werden die Notstandsgesetze und der Abbau der Staatsverschuldung genannt, der sich am Ende der Koalition in ein Haushaltsüberschuss gewandelt hatte. Das ist sicher richtig. Aber damals ging es um 700.000 Arbeitslose, nicht im 5 + X Millionen. Zudem bietet eine große Koalition keine Alternative, sondern nur einen eingefrorenen Frontverlauf. Als Brandt sich in den Meinungsumfragen vorne sah, tat er dann auch das einzig richtige: Er kündigte den Koalitionsvertrag und schuf so den Weg zu Neuwahlen, die dann mit dem bekannte Ergebnis endeten. Die letzten drei Jahre haben sich von der großen Koalition von 1969 nur dadurch unterschieden, dass es keine direkte Zusammenarbeit zwischen den beiden großen Parteien gegeben hat, sondern dass man den Umweg über die Vermittlungsausschüsse und den Bundesrat gewählt hat. Aber alle großen Entscheidungen, zum Beispiel Hartz IV wurden von SPD und CDU zusammen entschieden. Wir hatten also drei Jahre einer großen Koalition und weiter gebracht hat es niemanden. Noch mal zwei oder drei Jahre mehr mit einer gerupften CDU die sich in interne Machtkämpfe verwickeln wird und einer fröhlichen, aber völlig orientierungs- wie basislosen SPD? Noch mehr Vermittlungsausschüsse, Streitigkeiten, Hinterzimmerpolitik, windelweiche Erklärungen, halbgare Entschlüsse, politisches Intrigenspiel? Das ist Pest und Cholera zusammen und führt am Ende dazu, dass die PDS bei 20 % liegen wird. Und womit? Mit Recht. Denn die PDS war mit der FDP im Wahlkampf die einzigen, bei denen man das Gefühl haben konnte, dass sie klare Vorstellungen von dem haben würden, was sie machen wollen. Ob man den Positionen nun zustimmen möchte oder nicht, sei da hin gestellt.

Womit ich wieder beim Anfang wäre. CDU und SPD sind darüber gestolpert, dass sie nicht die Wahrheit sagen, dass sie sagen „Wir versuchen…“ und nicht „wir machen und es wird verdammt weh tun“ Das hätten sie schon in den 90er Jahren tun müssen, dass hätten sie 2005 sagen können. Je länger sie warten werden, je länger sie sich darum drücken und den Wählern weiterhin ein Macht- und Parteipolitisches Trauerspiel zumuten, desto schneller werden diese Argumente von Leuten besetzt, die eher am linken oder rechten Rand zu suchen sind. Der „große“ Verführer kommt nicht aus dem Nichts, er wird von den großen Lagern aus Ihrer Unfähigkeit zur Bewegung, aus ihren gewerkschaftlichen wie lobbyistischen Verstrickungen und aus ihrer Geringschätzung dem Wähler gegenüber geschaffen. Vielleicht wäre es deswegen besser, wenn man im Dezember einfach noch mal Neuwahlen ansetzt. Lieber drei weitere Monate Stillstand, als am Ende eine weitaus größere Katastrophe.

Permalink