Es war eine sehr kluge Entscheidung genau dann essen zu gehen, als der Kanzler sprach, denn jetzt spricht Müntefering und alle sind was essen gegangen. Saal ist halb leer. Büffet ist voll.
Oh - er hat fertig. Das Parteivolk jubelt. Und jubelt. Und jubelt. Und jubelt. Und jubelt. Laut dem alten Parteitagshasen Ix machen das alle Parteimitglieder auf allen Parteitagen. Natürlich kommt in mir sofort der Verfolgungswahn Verdacht auf, dass es vielleicht auf allen Parteitagen die gleichen Leute sind. Vielleicht gibt es so rund 2000 Menschen, die in ihrem Leben nichts anderes machen, als zu Parteitagen gehen, um zu jubeln. Dabei ist es ihnen egal, ob SPD, CDU oder PBC. Hauptsache der Stundenlohn stimmt. Sie gehen ansonsten völlig normalen Job nach und die Nachbarn sagen über sie "Das ist ein sehr ruhiger Nachbar." Aber dann bekommen sie einen Anruf und - zack - stehen sie jubelnd auf einem Parteitag und rufen "Gerhardt" oder "Angie". (Überings ein Punkt, beim dem die CDU gewinnt. "Angie" kann man deutlich besser gröhlen als "Gerhardt", weil "Gerhardt" doch etwas sperriger ist, als "Angie", aber das nur nebenbei). Ich kann das alles schreiben, weil die aufgepeitschte SPD Masse immer steht und klatscht. Ich kann zur Zeit auch nichts von der Bühne sehen, weswegen ich nicht genau sagen kann, ob Willy Brandt wieder auferstanden ist, oder ob die wirklich den Kanzler meinen, Da ich meine journalistische Sorgfalt sehr wichtig nehme, muss ich das leider erstmal offen lassen.
So. Essen gewesen. Gab lecker Geschnetzeltes mit Reis. Reis mit grüner Einlage. ER redet noch immer. ER redet ganz schön lang. Das Publikum goutiert es und jubelt zwischendurch etwas stärker. Vielleicht habe ich das ja auch falsch verstanden mit diesen Parteitagen, Vielleicht ist es ja gar nicht so, dass derjenige die meiste Zustimmung bekommt, der am tollsten, sondern der, der am längsten redet. War das nicht früher bei Parteitagen im Osten auch so? Wir sind ja hier immerhin in Neukölln, Sonnenallee. Vielleicht weht der Geist von Ullbricht durch die komplett abgesperrten Strassen. Nein, kurz mal ernsthaft. ER versucht weiterhin den Spagat zwischen Staatsmann, Parteimann und Wahlkämpfer, aber so richtig kommt die Stimmung hier nicht zum kochen. Es lahmt weiter und nur wenn Namen wie "Brandt" auftauchen, wird der Beifall herzlicher.
Auf einem SPD Parteitag die Worte "Stolz wie Oskar" zu hören ist auch eher komisch.
Nun redet ER. ER redet nicht so laut, wie die anderen vor ihm. ER kann sich das auch erlauben. ER ist ja derjenige, von dem abhängt, wer in drei Wochen sein Büro in Berlin räumen kann und wer bleiben darf. Nur wenn ER gut ist, dann wird es allen in der SPD gut gehen, das ist klar, und deswegen schweigt der Saal, raunt nicht mal, sondern hängt gebannt an seinen Lippen. Niemand bewegt sich, man drängt sich in der Mitte des Saales im Gang, nach vonre getrieben von ein paar Genossen, denn das sieht ja besser aus, wenn da ein paar jubelnde Parteimitglieder stehen. ER redet also, aber so wirklich redet er auch nicht. ER ist offenbar im Sabine-Christiansen-Modus hängen geblieben und versucht einen ruhigen und gelassenen Eindruck zu machen. Kommt das an? Es bleibt ruhig, es kommt höflicher Beifall auf, aber der eben erwähnte Porsche AG Mensch rockte die Halle deutlich mehr mit seinem Sirenengeheul. Aber gut, ER redet, dass muss erstmal reichen. Aber reicht das wirklich, diese zusammen fabulierte Hauptwörter und herbei gestrickten Adjektive, die man seit Monaten und Jahren kennt? Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich sagen, dass ich enttäuscht bin. Keine "Blut, Schweiß und Tränen" Rede, nur Phrasen, nicht mal heisse, sondern nur weiche Luft. ER redet weiter. ER will wiedergewählt werden und die Delegierten klatschen mit, weil sie das auch wollen, Wenigstens für sich selbst.
Vielleicht hat ER aber auch einfach die Manuskriptblätter vertauscht und liest gerade die Rede vom Parteitag 2003 vor.
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