Dinge ändern sich mit der Zeit, das ist eine Binsenweisheit, ein Partysatz, den man sich eigentlich nur heimlich selber sagen kann. Aber man ist froh, dass sich viele Dinge von alleine verabschieden. Die ganzen Sachen, die einen unruhig haben sein lassen, weil man sie noch ausprobieren musste, weil man Angst hatte, dass man etwas verpasst und man lieber noch die nächsten drei Bier trinkt, weil es könnte ja noch was passieren, diese Sachen sind zum größten Teil weg. Das ist gut, weil man keine Zeit mehr damit verschwendet, sich mit Dingen zu messen. Man findet heraus was man wirklich kann, merkt, dass es keinen Sinn macht, sich mit Dingen zu schmücken, die man nicht wirklich beherrscht.
Man erkennt, dass man nie so schreiben kann, wie Autor X oder Autor Y, weil einem dieser Blick fehlt. Man kann nur versuchen sie zu imitieren, und hoffen, dass man nicht dabei erwischt wird, aber selbst eine gelungene, nie entdeckte Imitation bleibt doch eben auch nur eine Imitation, und die Kraft, die man auf so etwas verwendet, die kann man genauso gut in eigene Projekte stecken. Man beschließt kein Fotograf zu werden. Vielleicht kann man ein wenig fotografieren, vielleicht gelingt einem unter tausend Fotos auch mal ein guter Schuss, aber man ist einfach nicht gut. Man beschließt keine klassische Karriere in einem Büro machen zu wollen. Weil man eingesehen hat, dass man einfach nicht stressresistent ist. Und weil sich permanent fragt, ob das, was man da macht, einen wirklich interessiert. Schlechte Voraussetzungen für eine Karriere. Man beschließt doch keine akademische Karriere zu machen, auch wenn der Politik- und der Geschichtsprofessor einem noch vor dem Magister eine Doktorandenstelle anbieten, weil man Angst davor hat, in einem Reihenhaus in Bonn-Meckenheim zu enden. Man wirft mindesten zwei journalistische Karrieren weg, weil sie einen langweilen und weil man wieder diese vorgefertigte Zukunft nachts vor Augen hat. Und so folgt ein Ding nach dem anderen.
Eine zeitlang habe ich gedacht, dass das schlecht sei, dieser Verlust der unbändigen Kraft, alles tun zu wollen und sich einzubilden und es auch zu können. Am Anfang fühlte sich das bei mir so an, als würde ich versagen. Ich konnte mir doch vorstellen, dieses oder jenes zu tun, aber ich konnte es nicht umsetzen. Führte am Ende zu einer merkwürdigen Lethargie, in der ich gar nichts mehr gemacht habe, weil ich dachte, dass wenn ich das eine nicht kann, es auch keinen Sinn macht, andere Sachen zu tun. Klingt komisch, Melancholiker werden mich verstehen.
Natürlich kann man nicht einfach alles beiseite schieben, weil viele Träume oder Wünsche oder Ideen am Ende schlimme Wunden hinterließen. Manche Verletzungen, gerade jene, die aus Liebe entstanden sind, bleiben hängen, andere perlen an einem ab. Am schlimmsten sind natürlich die Verletzungen, die aus heiterem Himmel kamen. Jene, die einem Erdbeben gleich, alles auseinander gerissen haben, und einen verstört in rauchenden Trümmern haben stehen lassen. Und man nicht mal eine Erklärung hatte, und so monatelang torkelnd durch die Gegend ging, nur aufrecht erhalten durch das Korsett des Alltags mit all seinen grausamen Verpflichtungen wie Miete, Strom, Wasser, Gas. Manchmal war das gut, weil man Zeit hatte und beim durchstöbern der Reste festgestellt hat, dass man bei der Statik ein paar grundlegende Fehler begangen hatte. "Aha", dachte man, "wie dumm, das machen wir aber das nächste Mal anders." Und ganz bewusst schließt man ein Ding nach dem anderem aus seinem Leben aus. Manche aus Angst, manche aus mangelnder Kraft.
Eine Zeit lang hat mir dass richtig Spaß gemacht, diese Reduktion. Alles rauswerfen, das Leben entkernen, wie ein altes Haus, bis man nur noch das nackte Mauerwerk sieht, bis alles Überflüssige weg ist und man erleichtert aufatmen kann und denkt "Das bin ich, ganz ohne alles. Das ist sehr schön." Aber irgendwo klebt immer noch eine Erinnerung, an die man nicht ran kommt, denn genauso, wie man nicht alles perfekt können kann, genauso wenig gibt es die perfekte Reduktion. Ein Phänomen, das man im Übrigen in manchen Blogs beobachten kann. Wenn das Layout im Laufe der Zeit immer mehr reduziert wird, bis am Ende fast nur noch die nackten Buchstaben auf dem einfarbigen Hintergrund stehen, bis der Autor den Gedanken bekommt, das selbst die Buchstaben zuviel sind, und eigentlich eine komplett weiße, grüne, rote oder schwarze Seite reichen würde, und man froh wäre, wenn die Leser einen so gut kennen könnten, dass sie erspüren könnten, was man an dem Tag gerade sagen will.
Ich hab in den letzten Wochen viel darüber nachgedacht. Warum ich manches weggeworfen habe, warum ich manches einfach nicht (mehr) kann, warum ich die Reduktion von Gefühlen und Lebensumständen bis auf ein solches Maß getrieben hatte. Die Antwort war verblüffend einfach: Damit ich wieder anfangen kann. Etwas maßvoller, mit dem Auge dafür, was ich kann und was ich tun will. Mit dem Bewusstsein, wo meine Grenzen liegen und welche ich besser nicht mehr überschreite. Damit ich sehen kann, wann etwas schön und wert ist, in meiner Erinnerung zu verbleiben. Wann es sich mal wieder lohnt Kraft zu investieren. Damit man die falschen von den richtigen, machbaren Träumen unterscheiden kann und man sie leben kann, anstatt nur über sie nachzudenken.