Mittwoch, 8. Dezember 2004

I

Wie oft hatte mich irgendetwas wach werden lassen, meinen unruhigen Schlaf beendet, in dem mich immer wieder eine Bilderflut knapp an der Grenzen der Erschöpfung hielt. Die ersten Lichtstrahlen, die sich selbst noch müde durch die Feuchtigkeit arbeiteten, sorgten für Klarheit zumindest in der Angelegenheit des Schlafs. An Ruhe war nicht mehr zu denken, nur noch an vergangenes. Ich konnte mich noch dunkel daran erinnern, wie früher meine Hand sanft auf einer Hüfte lag und ich spürte, wie sich ihr Körper mit den leichten Atemzügen hob. Immer im gleichen Rhythmus, immer mild und leise, den Kopf ein wenig nach unten gedrückt, die Knie angezogen, so dass man sich einfügen konnte wie ein lange vermisstes Puzzlestück. Manchmal drängte ich in solchen Momenten meinen Körper an den ihrigen, drückte meinen Unterleib gegen sie und wartete darauf, dass ich eine Erektion bekam. Ich umfasste eine Brust, die ich sanft streichelte, küsste kaum merklich ihren Nacken, wischte das Haar aus ihrem Gesicht und ließ die Phantasie kreisen. Wenn die Erektion da war, hörte ich auf, wartete, bis die Lust sich wieder aus meinem Kopf verabschiedete und lauschte ihrem Atem, der in der ganzen Zeit nur ein bisschen schwerer geworden war. Ich sagte ihr nie etwas davon, ich vollendete das Spiel nicht ein einziges mal. Ich wusste selber nicht, warum ich das tat. Vielleicht um nach zu sehen, ob sie mich auch dann liebte, wenn sie gar nicht bei sich war.

II

Es war kindisch, aber ich hatte eine wahnsinnige Angst davor, dass sie mich nicht lieben könne. Das dies alles nur ein Spiel sei, dass ich nicht verstehen würde. Das sie eines Tages einfach nicht mehr kommen würde, weil ich sie langweilte, weil es sowieso doch nur für den Übergang war. Lag vielleicht daran, dass ich selber oft bei diesen Gedanken ertappte, dass ich oft selber Liebe so abgestreift hatte. Wie eine Verpackung, die man nicht mehr braucht, weil einem der Inhalt schon lange abhanden gekommen ist. Ich glaube, so habe ich mehr Liebe verbrannt, als manche Menschen in ihrem ganzen Leben bekommen. Und natürlich ist es eine Sucht. Am Ende will man auch gar nicht mehr die Liebe, sondern nur noch die Insignien. Ich will die Hingabe, ich will die Blicke, ich will das Denken. Von wem ist mir egal. Das ist kalt und dumm, das weiß ich. Aber wie die innere Blockade überwinden, die eigenen Barrikaden, die man sich im Laufe der Zeit aufgebaut hat? Ich war ja froh, wenn ich es überhaupt schaffte mich so für einen Menschen zu interessieren, dass ich ihn in mein Leben lassen konnte.

III

Das war früher leichter. Aber da ging es auch nur um Sex. Da waren die Begegnungen in verrauchten Küchen so zielgerichtet und einfach, dass sich die üblichen Fragen einfach stellen mussten. Da reichten Schlüsselreize wie eine Lackhose, zwei blitzende Augen und ein sarkastisches Gemüt um nicht nur einen Abend, sondern auch die nächsten Monaten zu füllen. Solange der Sex neu war, solange man nicht jeden Quadratzentimeter Haut erkundet, solange man die Grenzen der Lust und des Schmerz nicht gesehen hatte, solange blieb das spannend. Danach wurde es vorhersehbar, ein wenig fad, wie eine Mahlzeit, die man zu oft eingenommen hatte. Der Zauber des Nichtnachdenkens war verflogen und dann fingen die kleinen Dinge an zu stören, die vorher nicht da zu sein schienen. Und diese plötzlich auftretenden Kritik macht mich wahnsinnig, weil sie ein Zeichen für Distanz ist. Dann sieht man den Schmutz, die Art wie jemand aufsteht und wie schlampig sie plötzlich in Fragen der Unterwäsche geworden ist und beginnt zu hassen. Nicht diesen Menschen persönlich, aber doch soweit, dass sie verantwortlich dafür ist, dass das der Zauber verflogen ist, dass der Alltag mit seiner Gartenzwergmentalität gewonnen hat. Die Lust an der gemeinsamen Entdeckung ist vorbei und was folgt ist der Abstieg in die Niederungen des Beziehungsleben.

IV

Am Ende wird der Ton giftiger, weil man nicht mehr damit beschäftigt ist, den anderen zu entdecken, oder gemeinsam neue Sphären zu durchqueren, sondern nur noch damit beschäftigt ist, den eigenen, immer kleiner werdenden Freiraum zu beschützen. Im Grunde ist die Liebe ein ewig andauerndes Rückzugsgefecht. Da gibt es weder einen Status Quo, noch einen Status quo ante über den verhandelt wird, sondern nur den Rückzug auf einen immer kleiner werdenden Raum, den man immer verbissener verteidigt. Der Gedanke ist mir schon zu anstrengend und wenn ich Zeuge solcher Gefechte bin, dann warte ich erschrocken, bis sich der Rauch wieder legt und warte unangenehm berührt darauf, dass ich mit einbezogen werde, dass die böse Frage "Oder hab ich etwas nicht Recht?" fällt. Dabei will ich gar keinen Rat geben, außer einem, aber den will keiner hören. Sie bleiben lieber in einander verbissen, als sich zu überlegen, wie es war als sie noch nicht zusammen waren. Das ist wie mit dem Rauchen. Ich habe in einem Seminar mal den Tipp bekommen, dass ich mir einfach mal vorstellen soll, wie es war, als ich noch nicht geraucht habe. Ich habe das Seminar daraufhin sofort abgebrochen, weil ich mich nicht mehr erinnern konnte und mir war klar, dass ein Nichtraucher Seminar, dass auf einer solchen Prämisse aufgebaut ist, bei mir auf keinen Fall erfolgreich sein würde. Aber vielleicht ist es ja bei diesen Paaren genau wie mit meiner Raucherei. Vielleicht können sie sich auch nicht mehr erinnern, wie es vorher war und liegen lieber Tage,- Wochen-, Monate,- und Jahrelang in einem ebenso stummen wie verbissenen Ringkampf, der niemals einen Sieger haben wird. Da wird dann die Lust an der Entdeckung mit der Angst vor Verlust getauscht. Jedenfalls habe ich Angst vor diesen Dingen, weil sie immer passieren, weil man ihnen nicht entgehen kann. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man feststellt, dass man nicht mehr anders kann, als mit diesem Menschen zusammen zu leben und dann hat man den Salat. Wer hat also Angst vor Virginia Wolff? Ich.

V

Also bleibt die nur die ewige Flucht, aber je älter ich werde, desto schwieriger wird es, weil ich mich nun selber fragen muss, was ich eigentlich will. Ich weiß, dass ich das leise Atmen einer Frau im Nebenzimmer hören möchte, während ich in der Küche sitze und meinen ersten Tee trinke. Ich will dann später wieder unter die Decke, zu ihr, ihren schlafweichen Körper spüren, meine ausgekühlte Haut an ihrer wärmen. Ich will, dass sie sich umdreht und ihren Kopf in die mein Schultertal legt. Aber wie umgeht man den Rest, den man an einem beliebigen Samstag in jedem Kaufhaus beobachten kann, wenn Männer die ultimative Demütigung erfahren, wenn sie in der Herrenausstatterabteilung von ihren Freundinnen und Frauen in braune Hosen gesteckt, wenn sie in Umkleidekabinen gejagt werden und am Ende den Befehl bekommen "Dreh dich mal um." Man fragt sich unweigerlich: War das vielleicht sogar das erste, was die Frau gedacht hat, als sie ihn kennen lernte? "Wenn ich mit ihm zusammen bin, dann kaufen wir erstmal eine vernünftige braune Hose, die hinten vernünftig sitzt". Deswegen gehe ich nie mit meinen Freundinnen einkaufen. Es ist der einzige Weg, dieser Form der Demütigung zu entgehen. Es ist der einzige Weg dem sinnlosen Kampf um die wenigen Millimeter persönlicher Freiheit zum entgehen, es ist ein Mittel, den Zauber zu bewahren.

VI

Und der Zauber ist das wichtigste. Nichts ist schöner, als der Anblick einer Frau, schlafend, die sich in die Bettdecke gewickelt hat, ein Bein angewinkelt, das andere gestreckt, die Haare als fraktales Schauspiel über das Kissen geworfen, die dort liegt, als würde sie dahin gehören, als würde sie nie etwas anderes tun, als sei sie nur für diesen Augenblick geschaffen worden, für diesen einen Moment und jeder Moment, der darauf folgt ist eine Verschwendung von Zeit, Leben und Sein, denn der Anblick ist genug für ein ganzes Leben und er frisst sich hinein und man merkt, wie er sich in das Gehirn hineinätzt, und das er Halt sein wird, in den vielen dunklen Stunden, den kalten, wenn alles vorbei ist, und die Augen der Frau zu einer traurigen Waffenkammer verkommen sind, und die Mauer da ist und man merkt, dass es nun vorbei ist.

VII

Also gibt es eine Grenze. Oder auch eine Angst. Die Angst Schönheit zu sehen, sie wieder zu verlieren um am Ende mit der Erinnerung alleine zu bleiben. Und mit der Frage, warum es einem schon wieder nicht gelungen ist, etwas zu bewahren, warum man schon wieder etwas nicht aufgehalten hat, sondern im besten Fall nur teilnahmslos zugesehen hat. Warum man lachend die erste Risse gesehen hat, warum man nicht so gut sein kann, wie man es selber gerne wäre. Warum man immer wieder genau bei den Menschen landet, die scheinbar für solche Beziehungen gemacht sind, die eben auch nichts anderes haben wollen, als eine hübsche, fette Kerbe im Herzen, die nur sagt „Ich war da“.

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