Dienstag, 18. Mai 2004

Ich stehe mit einem Freund am Bahnhof Zoo, Gleis 4. Wir warten auf den Eurocity, der uns nach Hamburg bringen soll, wo wir wichtige Geschäfte zu erledigen haben. Mit leiser Stimme gehen wir noch einmal unsere Strategie durch, und überlegen schon mal, was wir alles anstellen werden, wenn wir mit stolzgeschwellter Brust später wieder nach Berlin fahren werden, weil wir erfolgreich waren. Da besteht kein Zweifel dran, denn wir sind ja Siegertypen ohne Ellbogenschoner. Wir sind die Rumsfeld, Haffa, Murdochs unserer Branche. Die Massen teilen sich, wenn wir durch wollen, kleine Kinder schenken uns Blumen und junge Frauen schmelzen dahin wie Butter in der Mittagssonne der Wüste Gobi.

Ein bißchen schaut J. genervt, denn ich habe am Bahnhof beim 1A Gourmet Lieferanten "Nordsee" einen exklusives Brötchen namens "Frieser" gegessen. Hierbei handelt es sich um ein von Jungfrauen mit zarten Händen geformtes und gebackenes Brötchen, welches inneliegens ein teures Stück Alaska-Seelachsfilet mit marokkanischen Tomaten hat, das auf einer Sosse aus mallorquinischer Majonaise und hangzupften Dill gebettet ist. Dazu Servietten aus feinstem Leinem, welche das fußgepresste Öl, in dem der teure Seelachs sanft fritiert wurde, auffangen soll. Es nervt ihn deswegen, weil er was anderes gegessen hat, bei dem Zitronensaft eine Rolle spielte und nun sieht er, dass dieses wundervolle Öl langsam in meine Hautporen einzieht und meine Hände noch jünger und frischer aussehen läßt, während er traurig auf seine Hände schaut, die durch den agressiven Zitronensaft welk und rauh sind.

Wo wir da stehen und ich lässig eine Zigarette meines teuren Importtabaks drehe, schreitet Hellmuth Karasek an uns vorbei. Er schaut kurz neidisch auf die modische Breidcordhose von J. und meine lässige Otto Kern Regenjacke, um dann weiter auf seinen Begleiter einzureden. "Der Karasek, " denke ich mir, während ich seine billigen, aber immerhin gutputzten Schuhe betrachte.

Karasek und sein Begleiter bleiben ein paar Meter weiter stehen. J. beginnt zu berichten, wie das damals war, als Karasek immer zu spät zur Arbeit kam, und er ihn genervt ließ, weil J. ein gutes Herz hat. Abermals passieren die beiden uns, und mir fällt auf, dass Karasek wirklich eine Säufernase hat. Und Säuferwangen. Wenn man ein wenig näher kommt, dann kann man sehen, das auf seinen Wangen sehr viele aufgeplatzte Äderchen sind. Sie sehen aus, wie ein unmotivert zusammengeknülltes Spinnennetz und zeugen von vielen langen Abende mit vielen Flaschen Rotwein. Für einen Moment sehe ich Karasek wieder vor mir, wie er bei der Premierenfeier irgendeines Filmes in Hamburg vor mir steht. Einen Pappteller in der Hand, der eingeknickt vor Überlastung leicht schief war, und von dem eine Sossenmischung unbemerkt und langsam runtertropfte, während er mit großen Augen einen mächtigen Schluck aus einem Rotweinglas nahm. Er stand wohl zwei Minuten da, neben seinem linken Fuss breitete sich langsam eine kleine Pfütze aus Salatsosse, Ketchup, Senfsosse und Fett aus, und er trank und trank und trank und schätze ab, wenn er auf der Party kannte und wen nicht. Als er endlich jemanden gefunden hatte, stürmte er los, klatschte seinen Teller auf einen Stehtisch und begann gleichzeitig zu reden und zu essen.

Aber das ist Vergangenheit. Jetzt ist läuft er, erstaunlich behende, an uns vorbei. Kein Schluffen, ein richtiges Gehen, mit durchgedrücktem Kreuz. J. berichtet noch einmal von Karaseks Saufexzessen und wir schütteln traurig den Kopf über so viel Trunkenheit

Aber wir sind Siegertypen und lassen uns von sowas nicht ablenken. Wir werden einen erfolgreichen Tag haben, und dann werden wir auf der Rückfahrt eine Flasche Rotwein trinken und uns mit unserem unglaublichen Humor Kurzweil verschaffen, während die Schaffner Karrieretipps von uns haben wollen.

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