Der erste Sex
Meine Mami hat immer gesagt, wenn sich eine Frau für einen interessiert, dann soll man sich rar machen, weil die Frau dann bald auf dem Zahnfleisch angerobbt kommt und wimmernd auf der Fußmatte vor der Tür liegt. Dann kann man sie in seine Wohnung lassen, und die Frau wird dankbar und voller Freude sofort in die Küche stürmen, ihre Tupper-Boxen auspacken, Reiskörner in den Salzstreuer tun und mit diesem freundlichen Lächeln, mit dem man kleine Kinder bedenkt, den Kleiderschrank aufräumen. Da war ich 16.
Nun gibt es viele Dinge, die man mit 16 sehr gut kann. Man kann zum Beispiel ganze Nächte damit verbringen, vor dem Bücherregal der Eltern zu knien und aus den Bücher die geilsten Stellen raus zu suchen. Oder sich den ganzen Tag damit beschäftigen, wie man die Erektion in der engen Jeans schnellst möglich runter prügelt, damit Claudia aus der dritten Reihe das nicht sehen kann. Außerdem beschäftigt man sich immer, immer, immer damit, wie man endlich mal knutschen kann. Und wenn man denn ein geeignetes Objekt in seiner Nähe hat, dann denkt man gleich drei Schritte weiter und hofft, dass man nicht kläglich am BH Verschluss scheitert. Überhaupt BH Verschlüsse. Sie sind so was, wie die Berliner Mauer des pubärtierenden Jünglings. Zwei Haken, die die Welt bedeuten. Aber anstatt dass sich die Hersteller der BHs mal auf eine Funktionsweise der Haken einigen können, macht jeder was er will. Wenn man stolz einmal einen aufbekommen hat, steht man vor dem nächsten wieder wie ein Depp. Nie werde ich den Abend vergessen, an dem ich zwei Stunden lang einen Rücken und einen BH von hinten gestreichelt habe, nur um später festzustellen, dass man das Scheiß-Ding vorne aufmachte. Es gibt für jeden Mist eine DIN-Norm, nur für BH Verschlüsse nicht. Und Frauen wissen dass. Aber anstatt dass sie sagen: "Haha, das ist kompliziert, laß, ich mach das schon", lassen sie einen stundenlang rum knibbeln und amüsieren sich wahrscheinlich später in den Frauen-Tee-Runden darüber, während man selber in der Dessous Abteilung von Hertie steht und übt.
Jedenfalls sind das Probleme die einen beschäftigen und die man irgendwann kann. Auf gar keinen Fall kann man aber Frauen warten lassen, sich rar machen, oder einen auf unbeeindruckt machen. Das geht nur dann, wenn man wirklich unbeeindruckt ist, aber dann hat die Sache ja eben den Haken, dass man wirklich nicht will. Ich wollte zum Beispiel Nadine nicht. Nadine war 3 Jahre älter, 2cm größer, hörte Marius Müller Westernhagen, hatte eine große Nase und blonde Haare. Ich wollte viel lieber Andrea. Die war kleiner, sehr schlank, schwarzhaarig und hörte Tears for Fears. Außerdem bemalte sie mit einem Kugelschreiber ab und an ihre Unterarme, was ich höchst romantisch fand, meine Mutter aber, als Andrea mich einmal besuchte, zu der Vermutung kommen ließ, "Die bringste nich mehr mit, die ess ja jeck".
Da mag sie nicht völlig falsch gelegen haben, denn Andrea verschwand irgendwann nach Bayern auf eine Hotelfachfrauenschule, machte ein Praktikum auf Elba, ließ sich dort mit 18 von einem Italiener schwängern und ist seit dem verschollen. Zum damaligen Zeitpunkt jedoch lag Andrea jeden Abend nackt auf meinen Bett und sagte Dinge wie "Oh, komm zu mir" oder "Oh, ich hab so lange gewartet". Jedenfalls tat sie es, wenn ich alleine mit mir war, und meinem Radiowecker dabei zusah, wie er die Minuten umblätterte.
Nadine ließ sich durch meine offensichtliche Schwärmerei für Andrea überhaupt nicht aus dem Konzept bringen. Sie nahm mir weiterhin Westernhagen Tapes auf, manchmal auch gemischt mit Heinz Rudolf Kunze und sprach davon, dass sie gerne mit mir in ein besetztes Haus ziehen würde, wo wir uns kalten Nächten an einander reiben würden. Super. Gut, in einem Alter von 16 Jahren ist man moralisch noch nicht so gefestigt. Sicher, man denkt "Ach, Andrea, ach, ach, ach" aber irgendwann schleicht sich dann ein "Naja, Nadine hat auch große Brüste" rein. Also fand ich mich eines Tages nach der Schule knutschend im Rosengarten des Bad Godesberger Kurparks wieder. Mit Nadine. Sie hatte wirklich große Brüste, wie sie mir auch nicht müde wurde stolz zu zeigen. Einmal drückte sie mir sogar mein Gesicht dagegen, und den Geruch von "My Melody" werde ich wohl nie mehr vergessen. Aber Sex ging mit ihr nicht. Ich wollte es ja schließlich mit jemanden "machen" den ich lieben würde. Ich wollte mit jemanden verschmelzen. ich wollte meine Hand in die Baumwollunterhose schieben, während sie den Reißverschluß meiner Buntfalten-Jeans langsam aufzog. Ich wollte, dass man sich gegenseitig mit heißen Küssen bedeckt, dass man sich bei David Bowie übers Bett wälzt, dass man genau in dem Moment, in dem sich seine Stimme bei "Heroes" am Ende völlig überschlägt, zusammen kommt. (Hey, das Stück ist 3:37 min lang) Das ging mit Nadine eher nicht und das sagte ich ihr auch. Nadine zeigte sich beeindruckt und ließ mich in Ruhe. Sie sagte noch "Naja, hab ich beim ersten Mal auch gedacht, mach mal" und "Aber wir bleiben doch sicher Freunde" und drückte mir ein weiteres Westernhagen Tape in die Hand.
Ein paar Monate verstrichen, Andrea vögelte mittlerweile mit einem Kellner der In-Kneipe "Barriere" rum, während ich meine Phantasie auf Velvet Undergrounds "Heroine" (7:09 min) und Judith aus Mayen umgepolt hatte. Judith war aber so ungefähr so scharf auf mich, wie ich auf Jens, der mir auf dem Klo mal kurz an den Schwanz gepackt hatte, zu dem hatte Judith was mit einem Kellner aus dem "Cappuccino". Mit anderen Worten: mein Liebesleben war ein Desaster. Gut, es gab noch Sabine aus Remagen-Kripp, Metzgerstochter, die mir mal bei Barcley James Harvest "Hymn" zwischen die Beine gegriffen hatte. Aber leider sah sie im Gesicht so aus wie die hausgemachte grobe Leberwurst ihres Vaters und fiel somit leider als Alternative auch aus.
Aber ich hatte mittlerweile eine prächtige Freundschaft mit Nadine aufgebaut. Sie schenkte mir keine Tapes mehr, rief nicht mehr jeden Abend an und leckte mir auch nicht über mein Ohr, wenn keiner zusah. Das fand ich sehr entspannend und ich war zu dem sehr stolz auch mich. Denn ich hatte nicht, wie viele andere meines Jahrgangs einfach der Lust nach gegeben. Ich war standhaft geblieben. Irgendwann überreichte mir Nadine in der Schule eine Einladung zu einer Party. Damals waren Einladungen ja noch handgemacht. Kopieren war nicht. Man mußte also dutzende von Einladungen schreiben und mit Bravo Aufklebern versehen. Ich bekam eine sehr schöne, mit Aufklebern von Shakin Stevens und Elton John. Ich möge mich bitte am soundsovielten in Koblenz-Dinges einfinden. Und was zu Essen sollte ich auch mitbringen. Und übernachten könne ich im Gästezimmer.
Meine Mutter machte einen Nudelsalat mit dem sie mich zusammen nach Koblenz fuhr. Ich war natürlich zu früh. Aber damals war das noch nicht so schlimm wie heute, wo nur die Pärchen zu früh auf Partys erscheinen, die froh sind mal raus zu kommen, weil sie sich nichts zu sagen haben und seit sechs Monaten nur noch durchschnittlichen Sex haben. Nadine begrüße ich mit meinem Eimer Nudelsalat fröhlich und ließ mich ein und ich betrat einen Traum in Gelsenkirchener Barock. Ob die Eltern von Nadine es so toll finden würden, wenn später 30 minderjährige Bols Curacau auf dem Eichen-Couchtisch verschütten würden? Na, mir war es egal. Nadine köpfte sofort eine Flasche Sekt. Und dann noch eine. Wir tranken und redeten und irgendwann fiel mein Blick auf die Uhr . "Ui, schon neun Uhr, noch keiner da, wo es doch im acht los gehen soll" kicherte ich. "Jaja" kicherte Nadine und fummelte an meinem Hemd rum. "Hey, ich dachte, dass hätten wir jetzt irgendwie schon mal besprochen" sagte ich debil. "Jaja" kicherte Nadine und kraulte meine Brust. Als mein Hemd offen und meine Erektion bis Tahiti reichte hatte ich noch mal einen klaren Moment. "Sach ma, Nadine," lallte ich leicht angeschlagen, " es kommt gar keiner mehr, oder?" "Nö", kicherte Nadine und machte meine Hose auf. In diesem Moment war mir klar: Aus der Nummer kommst Du nicht mehr raus. Du sitzt leicht besoffen, geil wie ein Seemann auf einem Sofa, neben Dir eine Frau, die offenbar sogar Einladungen zu Partys fälscht nur um Dich ins Bett zu bekommen. Ich mein, wie perfide ist dass denn!
Am nächsten Morgen hatte ich dreimal zum ersten Mal Sex gehabt, einen Knutschfleck am Hals den ich im Sommer niemals verstecken konnte und wachte auf, weil Nadine in mein Ohr schnarchte. Ich erinnerte mich schwach mit ihr bei einem Kunze Song gekuschelt zu haben, an eine, nein zwei, vorzeitige Ejakulationen und das einzige, was mir durch den Kopf ging war der Satz: "Du bist von einer Frau, mit der du nie schlafen wolltest reingelegt worden. So ist es also, ein Mann zu sein."
Zum Einjährigen bei Antville als kleiner Dank an die vielen Leser
Hauptabteilungsleiter unterhaltendes Wort vs. Formatfaschisten
Die Geschichte des Radio der letzten 20 Jahre von Dietmar Wischmeyer
Interessant: Heute habe ich ich (bevor ich über den Link gestolpert bin) zum ersten Mal seit ca. 3000 Millionen Jahren meine auf DLF festgeklebte Sendeanzeige weiter bewegt und bin bei Radio Eins gelandet. Und stolpere über gar nicht sooo schlimme Musik und ein sehr hörenswertes Essay über Malaysia nebst dazu passender Musik. Ob es Hoffnung gibt?