Freitag, 17. Januar 2003

Das gemeine Veilchen

Aldous Huxley ist schuld. Klar. Wer sonst. "Die Pforten der Wahrnehmung" zeigten uns eindeutig, dass wir auf dem Weg ein besseres Hirn zu haben und gleichzeitig Paralleluniversen betreten zu können, mit dem Kiffen nicht so recht weiter kommen würden. Zumal wir beide beim Kiffen eher dazu neigten einzuschlafen, was einer Bewußtseinserweiterung diametral entgegensteht. Zumindest der Bewußtseinserweiterung, die wir so im Sinn hatten. Diese Bewußtseinspyraminde von Leary war unser Ziel. Mit dem Kiffen hatten wir ja schon mal eine Stufe dieser, wenn ich mich recht erinnere, sechsstufigen Pyramide erklommen. Wir hatten uns also über die tumbe Masse erhoben und waren auf dem Weg körperliche Metamorphosen in Gang sezten zu können. Auf diese Schnapsidee hatte ich C. gebracht, und mich wiederum ein Buch über keltische Druiden. Die konnten nämlich, der Sage nach, sich in jedes Tier verwandeln, dass sie ein wollten, gerne aber in Wildschweine, weil die wohl irgendwie heilig waren. Dazu warfen sie sich bewußtseinserweiternde Kräuter ein, und nahmen sich eine Jungfrau, mit der sie schliefen. Dann mussten sie höllisch aufpasen um genau einen Moment beim Orgasmus abzupassen, und - zack - waren sie Wildschweine. Wie sie sich zurück verwandeln konnten stand da allerdings nicht.

Ok - Wildschweine wollten wir jetzt keine werden. Auch das mit der Metamorphose war uns ein wenig suspekt. Aber wenn sein Bewußtsein erweitern will, dann sollte man nicht andauernd einschlafen, wenn man bewußtseinserweiternde Drogen nimmt. Es musste also was neues her. Wir blätterten ein wenig in einschlägiger Literatur rum und wollten dann Pilze. Psilos. Dummerweise waren die Dinger in Deutschland damals nicht eben verbreitet. Da gab es noch keine (zumindest nicht in Bonn) Headshops mit unter dem Ladentisch Verkäufen. Als wir sehr konspirativ im "Bla", dem linken Punklokal in Bonn, mal nachfragten, wurde uns empfohlen, den Quatsch sein zu lassen, und stattdessen einfach im Wald einen hübschen Fliegenpilz zu suchen. "Und wie dosiert man den?" wollten wir wissen. "Na, abknabbern, und wenn einem schlecht wird aufhören." Das erschien uns ein wenig gewagt. Wir wollten ja unser Bewußtsein erweitern, nicht absterben lassen.

Also keine Pilze. Doch was synthetisches? Meine Bedenken gegen synthtische Drogen waren groß. Zum einen wußte man nie wirklich was drin war. Zum anderen war ich der festen Überzeugung, dass es sofort und unwideruflich abhängig macht, ich zwei Tage später Heroinsüchtig in der Gosse liegen, und meine Eltern mich verstossen würden. Erst als C. mit besagtes Buch von Huxley in die Hand drückte, legten sich meine Zweifel etwas. Also LSD. Na gut. Aber woher? Es begann eine wochenlange Suche mit geheimnissvollen Telefonaten und geplatzten Treffen an merkwürdigen Orten. Nach dem dritten geplatzten Treffen mit irgendeinem Dealer, standen wir mal wieder im "Bla" schränkten unser Bewußtsein mit Bier ein, als ich mich lautstark über das "beschissene Kaff" hier beschwerte, wo man noch nicht mal vernünftige Drogen bekommen würde. Kaum ausgesprochen, raunzt mich ein Typ an, was ich denn suchen würde. "LSD," gebe ich erstaunt zurück und fand mich eine Minute später auf dem Klo wieder, wo der Handel perfekt wurde.

Also sassen wir da. Zwei Pillen und die Ungewissheit vor uns. Was ist da drin? Was passiert, wenn wir die nehmen? Verwandeln wir uns in kuhäugige Monster mit blauen Tentakeln? Fallen wir einfach tot um? Oder bleiben wir unser Leben lang in einer bunten Blase hängen, schweben 10cm über dem Boden, sind bei klarem Bewußtsein, können uns aber nicht mehr mitteilen? Naja, irgendwie musste das Zeug halt weg. Also losten wir aus, wer zu erst die Pille einwerfen sollte, während der andere mit dem Hand über dem Telefon nüchtern und klar denkend den anderen überwacht. Ich durfte als erster. Mit einem guten Schwung Cola warf ich das Ding ein, setzte mich gerade aber bequem hin, und wartete. Das sah schon mal sehr blöd aus. Wie Menschen halt aussehen, die rumsitzen und auf was warten. Die Wirkung von Dope gewohnt, erwartete ich die erste Wirkung nach rund 15 Minuten. Es passierte aber nichts. Gar nichts. Ich sass da rum, stierte aus dem Fenster. "Wahrscheinlich hat der uns Traubenzucker angedreht" murmelte ich und ging auf die Toilette. Dort angekommen betrachtete ich die gekachelten Wände seines Badezimmers und dachte: "Waren in der Wand schon immer so Dellen drin? Dellen, die sich bewegen? Wow, das muss ich C. sagen, dass da einer immer gegen die Wand tritt und die sich dann wellt." Ich kam aber nicht mehr dazu. dass C. zu sagen. Auf dem Weg von der Toilette hatte ich es einfach vergessen, weil mich gerade das Logo meiner Marlboro-Schachtel extrem faszinierte. Dieses unglaublich fein gezeichnete Wappen, dachte ich. Sowas feines. Mensch, muss da einer Arbeit gehabt haben, dass zu entwickeln. Das ist ja soooo unglaublich fein. Und dreidimensional. Es dreht sich vor mir, und ich kann das Marlboro-Wappen endlich mal von hinten sehen. Super. Ich kann mich sogar in das Wappen hineinstellen und sehen, wie es sich um mich herum dreht. Klasse. Muss ich C. erzählen.

Aber da kam ich auch nicht zu, denn als ich es machen wollte, hatte C. mich schon aus der Wohnung gezerrt. Es war ihm einfach zu langweilig geworden mit mir drin zu sitzen und mir dabei zuzuschauen, wie seit ungefähr einer Stunde auf eine Marlboropackung starrte und dabei selig lächelte. Draussen war die Packung auch gleich wieder vergessen. Man, war das bunt. Das war ja so bunt. Und die Geräusche! Man, waren das Geräusche. Ne. Also. Echt. Auf jeden Fall war das eindeutig zuviel bunt und Geräusch auf einmal. Die Farben sprangen einen an, und sagten: "Hey, sieh mich an, ich bin total schön" und andere sagten "Quatsch, hier, ich bin total tief". Sehr verwirrend. Nachdem ich wohl ca. eine halbe Stunde verwirrt rum gestanden habe, schob mich C. zu einem Blumenbeet mit Veilchen. Sofort sprang mir ein dunkelblau-lila Veilchen ins Auge und ich kniete mich vor das Veilchen um mir seine Farbe an zu sehen. Es war so schön dunkelblau-lila. Mein Leben lang hatte ich noch nie daran gedacht, dass dunkelblau-lila eine Farbe sein kann, aber jetzt wollte ich, dass diese Farbe in mir ist. Das mein ganzer Körper diese Farbe ins sich trägt und ausstrahlt. Ich wollte nur noch dunkelblau-lila sein, alles andere erschien mir grotesk. Grotesk muss es auch ausgesehen haben, wie ich vor dem Veilchen hing. Auf Knien, die Unterschenkel angewinkelt, die Augen knapp 5 cm von dem Veilchen entfernt, schaukelte ich sanft auf meinen Knien hin und her. C. lachte sich schlapp, ich machte mir langsam Sorgen. Irgendein Teil meines Bewußtsein schien aufgetaut zu sein und wunderte sich darüber, was der Rest gerade machte.

Waches Bewußtsein (WB): "Hallo?" Fliegendes Bewußtsein (FB): "Ist das schön" WB räuspert sich WB:"Ähhhmmmm...das ist ne Blume" FP: "Jaajaa" WB:"Hübsch. Können wir mal was anderes machen?" FP: "Ist das schön" WB: "Mir ist langweilig" FB: "Schau halt die Farben an. Wir wollen nur noch diese Farbe sehen" WB: "Wir????" FB: "Ja, wenn wir alle diese Farbe so sehen würden, dann gäbe es Krieg mehr und so Sachen." WB: "Hast Du eben WIR gesagt"? FB: "Ohja. Das ist sehr schön. Dieses Blau. Wir möchten nur noch so dunkelblau sein." WB: "Ohoh!"

Dieses "Ohoh" meines partiell wieder auftauchenden Bewußtseins weckte wohl weitere Teile meines Hirns auf, die sich nun damit beschäftigten, warum ich diese Blume anstarrte. Große Teile meines Hirns waren nach kurzer Zeit sehr mit dieser Frage beschäftigt, während andere Teile immer noch sehr gerne dunkelblau-lila sein wollten. Mein Gleichgewichtsorgan stellte den mittlerweile sehr lautstarken, mit bösen Worten und hässlichen Gesten geführten Streit meiner verschiedenen Hirnareale dann ein, in dem es einfach kurzzeitig seine Arbeit einstellte und ich mit der Nase in der Blume landete. C. eilte herbei, aber mit einem Schlag war ich halbwegs wieder wach. Benebelt zwar, aber deutlich klarer. Nur Reden ging nicht. "Durst" brachte ich mühsam hervor und bekam Wasser. C. sah nun seinen wissenschaftlichen Ehrgeiz geweckt, zumal er gerade über eine halbe Stunde mir dabei zu gesehen hatte, wie eine Blume anstarrte. Ob ich rauchen wolle? Nein. Essen? Gott bewahre, wie profan. Schlafen? Ja, gleich. Sex? Bitte WAS???? Sex war so ziemlich das dämlichste was ich mir jetzt vorstellen konnte. Diese ganze Arbeit. Dieses aufeinander rumschubern. Dieses Streß und diese hektischen Bewegungen. Wer so einen Quatsch erfunden hat, muss ganz schön einen an der Waffel haben. Wenn man doch mit einer hübschen Farbe viel mehr Spaß haben kann.

Aber so langsam klang die Wirkung ab. Insgesamt waren es wohl drei Stunden, in denen ich nicht eben da gewesen bin. Mir kam es vor wie halbe Stunde höchstens.Ich schlief dann irgendwann selig ein. Am nächsten Tag machte C. das Experiment und ich muss sagen: Es gibt nichts langweiligeres als einem Menschen bei seinem Trip zu zusehen. Er starrte stundenlang auf seinem Teppich, und er behauptete später, sein Bewußtsein habe sich in ein winziges Raumschiff verwandelt und er sei damit dann zwischen den Teppichfransen hin und her geflogen. Letztlich fanden wir das Ergebnis, eine Farbe zu sehen und zwischen Teppichfransen rum zu fliegen nicht soooo bewußtseinserweiternd und haben auf weitere Experimente verzichtet.

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